Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.ARTIC. IV. SECTIO XXX. wonnener engelischen und frantzösischen kirchen/ das übrige herbey zu bringen violleichter worden seyn. Jn gegenwärtigem stand aber mit Engelland wegen des nun päbstischen königs/ förchte ich/ daß es nun zehenmal schwerer seye/ doch will es noch nicht verlohren geben. 8. Wie aber die sache anzugreiffen/ erkläre ich mich dahin/ daß (1.) die controversien nicht vermehret/ sondern die zahl derselben en- ger zusammen gezogen werde/ da derselben nicht mehr viel übrig bleiben/ mit bald anfänglicher abschneidung aller derjenigen/ so zwischen privat-doctoribus getrieben worden/ und sich die gesamte kirche niemals derselben theilhafftig gemacht/ oder welche in nebens-sachen/adiaphoris und solchen dingen bestehen. (2) in den we- nig überbleibenden wäre nützlich gleichsam eine amnestiam (wie in andern frie- dens-schlüssen) auf gewisse weiß zum grunde zu legen: daß die reformirten nicht schuldig seyn solten etwas desjenigen zu defendiren/ oder sich aufbürden zu lassen/ was von ihrer seiten ie geschrieben worden/ noch auch wir auf unsere vorige leh- rer sehen/ sondern in der haubt-sache selbsten zusammen treten auf eine solche art/ als ob wir niemals etwas mit einander zu thun gehabt hätten: geschiehet dieses nicht/ so kommen stracks neue fragen auf/ da je ein theil seine lehrer retten will/ und lauffet vieles da hinaus/ wie jeglicher seine wort gemeinet habe: damit wer- den die gemüther gegen einander erhitzet/ und die handelung sehr gestöret. Man könte sich aber wol anfangs dahin erklären/ es trüge jeder theil gegen seine vorige und noch habende lehrer dasjenige gute vertrauen/ daß sie zu ihrer zeit als vor GOTT/ wie sie es in ihren gewissen befunden/ würden geschrieben haben/ und mit fleiß nicht haben lästern wollen: man erkenne aber auch gern/ daß sie menschen gewesen/ und hätten nicht nur irren/ sondern auch in der guten sache u. dem heiligen eifer unwissend etwas von fleischlichen einmischen können; von welcher seite es nun mit falschen auflagen/ invectivis und auf andere art am meisten geschehen/ möge dermaleins lieber die posterität/ nachdem alle partheyliche passiones erloschen/ urtheilen/ und gehöre mehr vor GOttes gericht/ wie auch die bereits bisher ver- storbene vor ihrem richter gestanden seyn/ und uns aufs neue nicht zukommen wolle/ bey ihnen über dasjenige sonderlich zu urtheilen/ das vielmal kaum recht ohne forschung des hertzens grund geurtheilet werden kan. Wo man sich erstlich dessen verglieche/ wäre eine stattliche vorbereitung der gemüther gemacht. (3.) Wäre dann erstlich in solchen streitigen puncten beyderseits die thesis deutlich und völlig zu setzen/ wie jetzo beyde partheyen dieselbe vor ihre bekäntnüß achten. (4.) Jn der gegeneinanderhaltung derselbigen wäre so bald zu bemercken/ worinne man wahr- haftig übereinkommet/ welches nachmal der gemeine grund bleibet. Hingegen (5) worinnen noch der unterscheid bestehe/ und zwar in diesen abermal/ was in sol- chem IV. Theil. r r r
ARTIC. IV. SECTIO XXX. wonnener engeliſchen und frantzoͤſiſchen kirchen/ das uͤbrige herbey zu bringen violleichter worden ſeyn. Jn gegenwaͤrtigem ſtand aber mit Engelland wegen des nun paͤbſtiſchen koͤnigs/ foͤrchte ich/ daß es nun zehenmal ſchwerer ſeye/ doch will es noch nicht verlohren geben. 8. Wie aber die ſache anzugreiffen/ eꝛklaͤꝛe ich mich dahin/ daß (1.) die controverſien nicht vermehret/ ſondern die zahl derſelben en- ger zuſammen gezogen werde/ da derſelben nicht mehr viel uͤbrig bleiben/ mit bald anfaͤnglicher abſchneidung aller derjenigen/ ſo zwiſchen privat-doctoribus getrieben worden/ und ſich die geſamte kirche niemals derſelben theilhafftig gemacht/ oder welche in nebens-ſachen/adiaphoris und ſolchen dingen beſtehen. (2) in den we- nig uͤberbleibenden waͤre nuͤtzlich gleichſam eine amneſtiam (wie in andern frie- dens-ſchluͤſſen) auf gewiſſe weiß zum grunde zu legen: daß die reformirten nicht ſchuldig ſeyn ſolten etwas desjenigen zu defendiren/ oder ſich aufbuͤrden zu laſſen/ was von ihrer ſeiten ie geſchrieben worden/ noch auch wir auf unſere vorige leh- rer ſehen/ ſondern in der haubt-ſache ſelbſten zuſammen treten auf eine ſolche art/ als ob wir niemals etwas mit einander zu thun gehabt haͤtten: geſchiehet dieſes nicht/ ſo kommen ſtracks neue fragen auf/ da je ein theil ſeine lehrer retten will/ und lauffet vieles da hinaus/ wie jeglicher ſeine wort gemeinet habe: damit wer- den die gemuͤther gegen einander erhitzet/ und die handelung ſehr geſtoͤret. Man koͤnte ſich aber wol anfangs dahin erklaͤren/ es truͤge jeder theil gegen ſeine vorige und noch habende lehrer dasjenige gute vertrauen/ daß ſie zu ihrer zeit als vor GOTT/ wie ſie es in ihren gewiſſen befunden/ wuͤrden geſchrieben haben/ und mit fleiß nicht haben laͤſtern wollen: man erkenne aber auch gern/ daß ſie menſchen geweſen/ und haͤtten nicht nur irren/ ſondern auch in der guten ſache u. dem heiligen eifer unwiſſend etwas von fleiſchlichen einmiſchen koͤnnen; von welcher ſeite es nun mit falſchen auflagen/ invectivis und auf andere art am meiſten geſchehen/ moͤge dermaleins lieber die poſteritaͤt/ nachdem alle partheyliche paſſiones erloſchen/ urtheilen/ und gehoͤre mehr vor GOttes gericht/ wie auch die bereits bisher ver- ſtorbene vor ihrem richter geſtanden ſeyn/ und uns aufs neue nicht zukommen wolle/ bey ihnen uͤber dasjenige ſonderlich zu urtheilen/ das vielmal kaum recht ohne forſchung des hertzens grund geurtheilet werden kan. Wo man ſich erſtlich deſſen verglieche/ waͤre eine ſtattliche vorbereitung der gemuͤther gemacht. (3.) Waͤre dann erſtlich in ſolchen ſtreitigen puncten beyderſeits die theſis deutlich und voͤllig zu ſetzen/ wie jetzo beyde partheyen dieſelbe vor ihre bekaͤntnuͤß achten. (4.) Jn der gegeneinanderhaltung derſelbigen waͤre ſo bald zu bemercken/ worinne man wahr- haftig uͤbereinkommet/ welches nachmal der gemeine grund bleibet. Hingegen (5) worinnen noch der unterſcheid beſtehe/ und zwar in dieſen abermal/ was in ſol- chem IV. Theil. r r r
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ARTIC. IV. SECTIO XXX.
wonnener engeliſchen und frantzoͤſiſchen kirchen/ das uͤbrige herbey zu bringen viol
leichter worden ſeyn. Jn gegenwaͤrtigem ſtand aber mit Engelland wegen des
nun paͤbſtiſchen koͤnigs/ foͤrchte ich/ daß es nun zehenmal ſchwerer ſeye/ doch
will es noch nicht verlohren geben. 8. Wie aber die ſache anzugreiffen/ eꝛklaͤꝛe ich mich
dahin/ daß (1.) die controverſien nicht vermehret/ ſondern die zahl derſelben en-
ger zuſammen gezogen werde/ da derſelben nicht mehr viel uͤbrig bleiben/ mit
bald anfaͤnglicher abſchneidung aller derjenigen/ ſo zwiſchen privat-doctoribus
getrieben worden/ und ſich die geſamte kirche niemals derſelben theilhafftig gemacht/
oder welche in nebens-ſachen/adiaphoris und ſolchen dingen beſtehen. (2) in den we-
nig uͤberbleibenden waͤre nuͤtzlich gleichſam eine amneſtiam (wie in andern frie-
dens-ſchluͤſſen) auf gewiſſe weiß zum grunde zu legen: daß die reformirten nicht
ſchuldig ſeyn ſolten etwas desjenigen zu defendiren/ oder ſich aufbuͤrden zu laſſen/
was von ihrer ſeiten ie geſchrieben worden/ noch auch wir auf unſere vorige leh-
rer ſehen/ ſondern in der haubt-ſache ſelbſten zuſammen treten auf eine ſolche art/
als ob wir niemals etwas mit einander zu thun gehabt haͤtten: geſchiehet dieſes
nicht/ ſo kommen ſtracks neue fragen auf/ da je ein theil ſeine lehrer retten will/
und lauffet vieles da hinaus/ wie jeglicher ſeine wort gemeinet habe: damit wer-
den die gemuͤther gegen einander erhitzet/ und die handelung ſehr geſtoͤret. Man
koͤnte ſich aber wol anfangs dahin erklaͤren/ es truͤge jeder theil gegen ſeine vorige
und noch habende lehrer dasjenige gute vertrauen/ daß ſie zu ihrer zeit als vor
GOTT/ wie ſie es in ihren gewiſſen befunden/ wuͤrden geſchrieben haben/ und
mit fleiß nicht haben laͤſtern wollen: man erkenne aber auch gern/ daß ſie menſchen
geweſen/ und haͤtten nicht nur irren/ ſondern auch in der guten ſache u. dem heiligen
eifer unwiſſend etwas von fleiſchlichen einmiſchen koͤnnen; von welcher ſeite es nun
mit falſchen auflagen/ invectivis und auf andere art am meiſten geſchehen/ moͤge
dermaleins lieber die poſteritaͤt/ nachdem alle partheyliche paſſiones erloſchen/
urtheilen/ und gehoͤre mehr vor GOttes gericht/ wie auch die bereits bisher ver-
ſtorbene vor ihrem richter geſtanden ſeyn/ und uns aufs neue nicht zukommen
wolle/ bey ihnen uͤber dasjenige ſonderlich zu urtheilen/ das vielmal kaum recht ohne
forſchung des hertzens grund geurtheilet werden kan. Wo man ſich erſtlich deſſen
verglieche/ waͤre eine ſtattliche vorbereitung der gemuͤther gemacht. (3.) Waͤre
dann erſtlich in ſolchen ſtreitigen puncten beyderſeits die theſis deutlich und voͤllig zu
ſetzen/ wie jetzo beyde partheyen dieſelbe vor ihre bekaͤntnuͤß achten. (4.) Jn der
gegeneinanderhaltung derſelbigen waͤre ſo bald zu bemercken/ worinne man wahr-
haftig uͤbereinkommet/ welches nachmal der gemeine grund bleibet. Hingegen (5)
worinnen noch der unterſcheid beſtehe/ und zwar in dieſen abermal/ was in ſol-
chem
IV. Theil. r r r
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Zitationshilfe: | Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 497. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/509>, abgerufen am 26.06.2024. |