Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.ARTIC. IV. SECTIO XXV. mißbrauchen würde. Was aber die übrige puncten betrifft/ so habe nicht zuleugnen/ daß ich nach meinem gewissen nicht anders kan/ als von der römischen sowol lehr als kirchen-verfassung/ eine hertzliche aversion zu haben: und ist also freylich nicht nur die lehr selbs in übrigen articulen/ sondern hauptsächlich mit in dem pun- cto des praetendirenden vic[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]riatus und sedis Apostolicae diejenige/ dero ich nicht anders als entgegen seyn kan/ und sie vor dasjenige halte/ so das übrige irrige bisher unterhalten/ und als lang eine verfassung stehet/ unterhalten wird. Es gehöret einmal in die kirche keine monarchia. oder daß einige kirche/ vielweniger person/ nur welche allgemeine direction über die andere alle haben solle/ ist auch dieselbe niemal in der alten und ersten kirchen erkant worden/ also daß das dictum Gregorii M. ziemlich bekant/ daß er denjenigen vor einen vorläuffer des Antichrists hielte/ welcher sich vor einen oecumenicum oder allgemeinen bischoff ausgeben wolte. bey welcher meinung gut gewesen/ wann seine nachfolgere stets geblieben wären/ so würden wir solche schreckliche trennungen in der gantzen christenheit nicht haben/ die grösten theils aus solcher veranlassung sich erhoben. Einmal in der schrifft ist eine solche verfassung einer kirchen/ welche ein sichtbares oberhaupt haben/ und alles davon dependiren müßte/ nirgend gegründet/ auch später in der kirchen aufgekommen. Wann man aber gleichwol in der alten kirchen nö- thig erachtet/ daß um der ordnung willen eine allgemeine verfassung gemachet würde/ so war es eine art vielmehr einer aristocratiae, daß mehrere der vornehm- sten patriarchen/ und namentlich die fünff bekante/ als mit gleicher macht die allgemeine sorge der christenheit trügen/ und wo es nöthig wäre/ durch die concilia deroselben bestes beförderten. Ob nun wol unter denselben jeglicher in seinem districtu alles auf gewisse weise dirigiret/ so war dannoch nicht müglich/ daß einiger sich zuviel seiner gewalt mißbrauchte/ indem die andere ihnen stets die wage halten konten/ und daher waren auch damal die concilia ein nützliches mit- tel/ als lange es in solcher verfassung bliebe/ und kein einiger sich einer allgemei- nen macht gebrauchen konte: damit hatte man alle diejenige vortheil/ die man etwa von einem sichtbaren oberhaupt erwarten mag/ und war doch alle gewalt so eingeschrenckt/ daß sie der kirchen nutzen und nicht schaden bringen konte. Da ich hingegen jetzo/ wo nur ein oberhaupt zu seyn praetendiret/ nicht sehe/ wie das geringste von einem concilio gutes zu erwarten seye. Und obwol diese abend- länder unter Rom patriarchatu romano von altem gestanden und stehen mögen/ als lange demselben noch die hände durch die morgenländische patriarchen gebun- den werden könten/ so hätte es doch/ nachdem jene selbs zu Rom vor schismati- cos gehalten und von der kirchen abgesondert worden/ gantz eine andere be- wandnüß/ und würde die klugheit/ welche die alte catholische kirche dazu be- wogen/ IV. Theil. o o o
ARTIC. IV. SECTIO XXV. mißbrauchen wuͤrde. Was aber die uͤbrige puncten betrifft/ ſo habe nicht zuleugnen/ daß ich nach meinem gewiſſen nicht anders kan/ als von der roͤmiſchen ſowol lehr als kirchen-verfaſſung/ eine hertzliche averſion zu haben: und iſt alſo freylich nicht nur die lehr ſelbs in uͤbrigen articulen/ ſondern hauptſaͤchlich mit in dem pun- cto des prætendirenden vic[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]riatus und ſedis Apoſtolicæ diejenige/ dero ich nicht anders als entgegen ſeyn kan/ und ſie vor dasjenige halte/ ſo das uͤbrige irrige bisher unterhalten/ und als lang eine verfaſſung ſtehet/ unterhalten wird. Es gehoͤret einmal in die kirche keine monarchia. oder daß einige kirche/ vielweniger perſon/ nur welche allgemeine direction uͤber die andere alle haben ſolle/ iſt auch dieſelbe niemal in der alten und erſten kirchen erkant worden/ alſo daß das dictum Gregorii M. ziemlich bekant/ daß er denjenigen vor einen vorlaͤuffer des Antichriſts hielte/ welcher ſich vor einen œcumenicum oder allgemeinen biſchoff ausgeben wolte. bey welcher meinung gut geweſen/ wann ſeine nachfolgere ſtets geblieben waͤren/ ſo wuͤrden wir ſolche ſchreckliche trennungen in der gantzen chriſtenheit nicht haben/ die groͤſten theils aus ſolcher veranlaſſung ſich erhoben. Einmal in der ſchrifft iſt eine ſolche verfaſſung einer kirchen/ welche ein ſichtbares oberhaupt haben/ und alles davon dependiren muͤßte/ nirgend gegruͤndet/ auch ſpaͤter in der kirchen aufgekommen. Wann man aber gleichwol in der alten kirchen noͤ- thig erachtet/ daß um der ordnung willen eine allgemeine verfaſſung gemachet wuͤrde/ ſo war es eine art vielmehr einer ariſtocratiæ, daß mehrere der vornehm- ſten patriarchen/ und namentlich die fuͤnff bekante/ als mit gleicher macht die allgemeine ſorge der chriſtenheit truͤgen/ und wo es noͤthig waͤre/ durch die concilia deroſelben beſtes befoͤrderten. Ob nun wol unter denſelben jeglicher in ſeinem diſtrictu alles auf gewiſſe weiſe dirigiret/ ſo war dannoch nicht muͤglich/ daß einiger ſich zuviel ſeiner gewalt mißbrauchte/ indem die andere ihnen ſtets die wage halten konten/ und daher waren auch damal die concilia ein nuͤtzliches mit- tel/ als lange es in ſolcher verfaſſung bliebe/ und kein einiger ſich einer allgemei- nen macht gebrauchen konte: damit hatte man alle diejenige vortheil/ die man etwa von einem ſichtbaren oberhaupt erwarten mag/ und war doch alle gewalt ſo eingeſchrenckt/ daß ſie der kirchen nutzen und nicht ſchaden bringen konte. Da ich hingegen jetzo/ wo nur ein oberhaupt zu ſeyn prætendiret/ nicht ſehe/ wie das geringſte von einem concilio gutes zu erwarten ſeye. Und obwol dieſe abend- laͤnder unter Rom patriarchatu romano von altem geſtanden und ſtehen moͤgen/ als lange demſelben noch die haͤnde durch die morgenlaͤndiſche patriarchen gebun- den werden koͤnten/ ſo haͤtte es doch/ nachdem jene ſelbs zu Rom vor ſchismati- cos gehalten und von der kirchen abgeſondert worden/ gantz eine andere be- wandnuͤß/ und wuͤrde die klugheit/ welche die alte catholiſche kirche dazu be- wogen/ IV. Theil. o o o
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ARTIC. IV. SECTIO XXV.
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leugnen/ daß ich nach meinem gewiſſen nicht anders kan/ als von der roͤmiſchen ſowol
lehr als kirchen-verfaſſung/ eine hertzliche averſion zu haben: und iſt alſo freylich
nicht nur die lehr ſelbs in uͤbrigen articulen/ ſondern hauptſaͤchlich mit in dem pun-
cto des prætendirenden vic_riatus und ſedis Apoſtolicæ diejenige/ dero ich nicht
anders als entgegen ſeyn kan/ und ſie vor dasjenige halte/ ſo das uͤbrige irrige
bisher unterhalten/ und als lang eine verfaſſung ſtehet/ unterhalten wird. Es
gehoͤret einmal in die kirche keine monarchia. oder daß einige kirche/ vielweniger
perſon/ nur welche allgemeine direction uͤber die andere alle haben ſolle/ iſt auch
dieſelbe niemal in der alten und erſten kirchen erkant worden/ alſo daß das dictum
Gregorii M. ziemlich bekant/ daß er denjenigen vor einen vorlaͤuffer des Antichriſts
hielte/ welcher ſich vor einen œcumenicum oder allgemeinen biſchoff ausgeben
wolte. bey welcher meinung gut geweſen/ wann ſeine nachfolgere ſtets geblieben
waͤren/ ſo wuͤrden wir ſolche ſchreckliche trennungen in der gantzen chriſtenheit
nicht haben/ die groͤſten theils aus ſolcher veranlaſſung ſich erhoben. Einmal in
der ſchrifft iſt eine ſolche verfaſſung einer kirchen/ welche ein ſichtbares oberhaupt
haben/ und alles davon dependiren muͤßte/ nirgend gegruͤndet/ auch ſpaͤter in
der kirchen aufgekommen. Wann man aber gleichwol in der alten kirchen noͤ-
thig erachtet/ daß um der ordnung willen eine allgemeine verfaſſung gemachet
wuͤrde/ ſo war es eine art vielmehr einer ariſtocratiæ, daß mehrere der vornehm-
ſten patriarchen/ und namentlich die fuͤnff bekante/ als mit gleicher macht die
allgemeine ſorge der chriſtenheit truͤgen/ und wo es noͤthig waͤre/ durch die
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ſeinem diſtrictu alles auf gewiſſe weiſe dirigiret/ ſo war dannoch nicht muͤglich/
daß einiger ſich zuviel ſeiner gewalt mißbrauchte/ indem die andere ihnen ſtets die
wage halten konten/ und daher waren auch damal die concilia ein nuͤtzliches mit-
tel/ als lange es in ſolcher verfaſſung bliebe/ und kein einiger ſich einer allgemei-
nen macht gebrauchen konte: damit hatte man alle diejenige vortheil/ die man
etwa von einem ſichtbaren oberhaupt erwarten mag/ und war doch alle gewalt
ſo eingeſchrenckt/ daß ſie der kirchen nutzen und nicht ſchaden bringen konte. Da
ich hingegen jetzo/ wo nur ein oberhaupt zu ſeyn prætendiret/ nicht ſehe/ wie das
geringſte von einem concilio gutes zu erwarten ſeye. Und obwol dieſe abend-
laͤnder unter Rom patriarchatu romano von altem geſtanden und ſtehen moͤgen/
als lange demſelben noch die haͤnde durch die morgenlaͤndiſche patriarchen gebun-
den werden koͤnten/ ſo haͤtte es doch/ nachdem jene ſelbs zu Rom vor ſchismati-
cos gehalten und von der kirchen abgeſondert worden/ gantz eine andere be-
wandnuͤß/ und wuͤrde die klugheit/ welche die alte catholiſche kirche dazu be-
wogen/
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Zitationshilfe: | Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 473. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/485>, abgerufen am 28.07.2024. |