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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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DISTINCTIO II. SECTIO XXIII.
fen werden muß/ damit sie nicht vergebens seyn/ und durch der worte anmuth oder
artlichkeit/ was der krafft der sachen abgehet/ ersetzet werde. Die Göttlichen
warheiten aber sind von solchem licht und krafft/ daß sie auch in ihrer einfalt vorge-
tragen selbst in die seelen eintringen/ und ihre krafft nicht erst von menschlicher
wolredenheit zu entlehnen bedörffen. Daher/ wo ie noch etwas aus der rhetoric
zu entlehnen wäre/ würde es in nichts anders bestehen/ als daß man daraus etwas
ersehe/ wie man eine sache verständlicher machen/ und in die füglichste ordnung/
damit es zu fassen leichter werde/ bringen könne. Jch versichre auch Mhhr. daß ich
dieser meinung allezeit gewesen bin/ und die artem oratoriam stets von den pre-
digten entfernet gewünschet habe. Daher ich auch mit fleiß nie keine bücher von der
oratoria ecclesiastica lesen wollen noch gelesen habe/ und mirs daher vor keine
schande achte/ daß ich derselben regeln und praecepta nicht weiß/ nach dem ich mit
reiffen bedacht mich derselben enthalten/ auch so ungern sehe/ wo man gleichsam
gewisse leges vorschreibet/ also/ da dieselbe nicht observiret werden/ solches vor ei-
nen fehler solle geachtet werden. Daher/ wo iemand dergleichen nothwendigkeit
aufdringen wolte/ würde ich eher mit fleiß das gegentheil thun/ als mich solches le-
gis
wegen lassen an etwas verbinden. Wie meine predigten selbst weisen werden/
daß ich mir allezeit die freyheit behalte/ iegliches auf die weise allemahl vorzutra-
gen/ wie mich deucht/ dißmal am erbaulichsten zu seyn/ ohne die geringste reflexion
auf gewisse oratorische regeln: Ja ich achte immer meinem amt am meisten eine
gnüge gethan zu haben/ wann ich mich vor allen am fleißigsten gehütet/ was nach
der arte oratoria schmecket. 2. Ob die persvasio allein der zweck seye der orato-
riae,
überlasse ich deren ermessen/ welche von solcher kunst profession machen/ und
bekümmere mich nichts darum: Aber in den predigten ist mein zweck die erbau-
ung allerley art/ so wol insgemein als nach erforderung iegliches textes. Daher
ich zwey stücke der predigten nöthig finde/ und also einen doppelten zweck habe
bey ieglicher predigt/ nehmlich 1. daß der eigentliche verstand des textes aus der-
selben selbst und gegenhaltung andrer stellen aufs gründlichste und deutlichste den
zuhörern vorgestellet/ so dann 2. desselben früchten gewiesen werden/ theils so fern
solche früchten darinnen bestehen/ eine Göttliche wahrheit/ die zu unsrer glaubens-
stärckung nöthig ist/ deutlicher vorzutragen/ und also eine solche lehr mit zuziehung
anderer sprüche auszuführen/ oder auch einige irrthum zu widerlegen/ theils so fern
sie in einrichtung oder besserung des lebens bestehen/ theils so fern dadurch das hertz
getröstet werden solle: Daher zu solchen früchten die unterrichte/ die bestraffungen
und vermahnung/ und die vorstellungen des trostes gehören. Davon hats nun die
erklärung des textes und die glaubens lehren meistentheils mit dem verstand des
menschen zu thun/ die andere fruchten berühren mehr den willen. Welches aber un-
ter allen ausgelassen wird/ wird der erbauung dadurch etwas abgehen. Wo hin-
gegen diese dinge recht/ wie sichs geziemet/ getrieben werden/ mag man erst sagen/

daß

DISTINCTIO II. SECTIO XXIII.
fen werden muß/ damit ſie nicht vergebens ſeyn/ und durch der worte anmuth oder
artlichkeit/ was der krafft der ſachen abgehet/ erſetzet werde. Die Goͤttlichen
warheiten aber ſind von ſolchem licht und krafft/ daß ſie auch in ihrer einfalt vorge-
tragen ſelbſt in die ſeelen eintringen/ und ihre krafft nicht erſt von menſchlicher
wolredenheit zu entlehnen bedoͤrffen. Daher/ wo ie noch etwas aus der rhetoric
zu entlehnen waͤre/ wuͤrde es in nichts anders beſtehen/ als daß man daraus etwas
erſehe/ wie man eine ſache verſtaͤndlicher machen/ und in die fuͤglichſte ordnung/
damit es zu faſſen leichter werde/ bringen koͤnne. Jch verſichre auch Mhhr. daß ich
dieſer meinung allezeit geweſen bin/ und die artem oratoriam ſtets von den pre-
digten entfernet gewuͤnſchet habe. Daher ich auch mit fleiß nie keine buͤcher von der
oratoria eccleſiaſtica leſen wollen noch geleſen habe/ und mirs daher vor keine
ſchande achte/ daß ich derſelben regeln und præcepta nicht weiß/ nach dem ich mit
reiffen bedacht mich derſelben enthalten/ auch ſo ungern ſehe/ wo man gleichſam
gewiſſe leges vorſchreibet/ alſo/ da dieſelbe nicht obſerviret werden/ ſolches vor ei-
nen fehler ſolle geachtet werden. Daher/ wo iemand dergleichen nothwendigkeit
aufdringen wolte/ wuͤrde ich eher mit fleiß das gegentheil thun/ als mich ſolches le-
gis
wegen laſſen an etwas verbinden. Wie meine predigten ſelbſt weiſen werden/
daß ich mir allezeit die freyheit behalte/ iegliches auf die weiſe allemahl vorzutra-
gen/ wie mich deucht/ dißmal am erbaulichſten zu ſeyn/ ohne die geringſte reflexion
auf gewiſſe oratoriſche regeln: Ja ich achte immer meinem amt am meiſten eine
gnuͤge gethan zu haben/ wann ich mich vor allen am fleißigſten gehuͤtet/ was nach
der arte oratoria ſchmecket. 2. Ob die perſvaſio allein der zweck ſeye der orato-
riæ,
uͤberlaſſe ich deren ermeſſen/ welche von ſolcher kunſt profeſſion machen/ und
bekuͤmmere mich nichts darum: Aber in den predigten iſt mein zweck die erbau-
ung allerley art/ ſo wol insgemein als nach erforderung iegliches textes. Daher
ich zwey ſtuͤcke der predigten noͤthig finde/ und alſo einen doppelten zweck habe
bey ieglicher predigt/ nehmlich 1. daß der eigentliche verſtand des textes aus der-
ſelben ſelbſt und gegenhaltung andrer ſtellen aufs gruͤndlichſte und deutlichſte den
zuhoͤrern vorgeſtellet/ ſo dann 2. deſſelben fruͤchten gewieſen werden/ theils ſo fern
ſolche fruͤchten darinnen beſtehen/ eine Goͤttliche wahrheit/ die zu unſrer glaubens-
ſtaͤrckung noͤthig iſt/ deutlicher vorzutragen/ und alſo eine ſolche lehr mit zuziehung
anderer ſpruͤche auszufuͤhren/ oder auch einige irrthum zu widerlegen/ theils ſo fern
ſie in einrichtung oder beſſerung des lebens beſtehen/ theils ſo fern dadurch das hertz
getroͤſtet werden ſolle: Daher zu ſolchen fruͤchten die unterrichte/ die beſtraffungen
und vermahnung/ und die vorſtellungen des troſtes gehoͤren. Davon hats nun die
erklaͤrung des textes und die glaubens lehren meiſtentheils mit dem verſtand des
menſchen zu thun/ die andere fruchten beruͤhren mehr den willen. Welches aber un-
ter allen ausgelaſſen wird/ wird der erbauung dadurch etwas abgehen. Wo hin-
gegen dieſe dinge recht/ wie ſichs geziemet/ getrieben werden/ mag man erſt ſagen/

daß
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[751/0769] DISTINCTIO II. SECTIO XXIII. fen werden muß/ damit ſie nicht vergebens ſeyn/ und durch der worte anmuth oder artlichkeit/ was der krafft der ſachen abgehet/ erſetzet werde. Die Goͤttlichen warheiten aber ſind von ſolchem licht und krafft/ daß ſie auch in ihrer einfalt vorge- tragen ſelbſt in die ſeelen eintringen/ und ihre krafft nicht erſt von menſchlicher wolredenheit zu entlehnen bedoͤrffen. Daher/ wo ie noch etwas aus der rhetoric zu entlehnen waͤre/ wuͤrde es in nichts anders beſtehen/ als daß man daraus etwas erſehe/ wie man eine ſache verſtaͤndlicher machen/ und in die fuͤglichſte ordnung/ damit es zu faſſen leichter werde/ bringen koͤnne. Jch verſichre auch Mhhr. daß ich dieſer meinung allezeit geweſen bin/ und die artem oratoriam ſtets von den pre- digten entfernet gewuͤnſchet habe. Daher ich auch mit fleiß nie keine buͤcher von der oratoria eccleſiaſtica leſen wollen noch geleſen habe/ und mirs daher vor keine ſchande achte/ daß ich derſelben regeln und præcepta nicht weiß/ nach dem ich mit reiffen bedacht mich derſelben enthalten/ auch ſo ungern ſehe/ wo man gleichſam gewiſſe leges vorſchreibet/ alſo/ da dieſelbe nicht obſerviret werden/ ſolches vor ei- nen fehler ſolle geachtet werden. Daher/ wo iemand dergleichen nothwendigkeit aufdringen wolte/ wuͤrde ich eher mit fleiß das gegentheil thun/ als mich ſolches le- gis wegen laſſen an etwas verbinden. Wie meine predigten ſelbſt weiſen werden/ daß ich mir allezeit die freyheit behalte/ iegliches auf die weiſe allemahl vorzutra- gen/ wie mich deucht/ dißmal am erbaulichſten zu ſeyn/ ohne die geringſte reflexion auf gewiſſe oratoriſche regeln: Ja ich achte immer meinem amt am meiſten eine gnuͤge gethan zu haben/ wann ich mich vor allen am fleißigſten gehuͤtet/ was nach der arte oratoria ſchmecket. 2. Ob die perſvaſio allein der zweck ſeye der orato- riæ, uͤberlaſſe ich deren ermeſſen/ welche von ſolcher kunſt profeſſion machen/ und bekuͤmmere mich nichts darum: Aber in den predigten iſt mein zweck die erbau- ung allerley art/ ſo wol insgemein als nach erforderung iegliches textes. Daher ich zwey ſtuͤcke der predigten noͤthig finde/ und alſo einen doppelten zweck habe bey ieglicher predigt/ nehmlich 1. daß der eigentliche verſtand des textes aus der- ſelben ſelbſt und gegenhaltung andrer ſtellen aufs gruͤndlichſte und deutlichſte den zuhoͤrern vorgeſtellet/ ſo dann 2. deſſelben fruͤchten gewieſen werden/ theils ſo fern ſolche fruͤchten darinnen beſtehen/ eine Goͤttliche wahrheit/ die zu unſrer glaubens- ſtaͤrckung noͤthig iſt/ deutlicher vorzutragen/ und alſo eine ſolche lehr mit zuziehung anderer ſpruͤche auszufuͤhren/ oder auch einige irrthum zu widerlegen/ theils ſo fern ſie in einrichtung oder beſſerung des lebens beſtehen/ theils ſo fern dadurch das hertz getroͤſtet werden ſolle: Daher zu ſolchen fruͤchten die unterrichte/ die beſtraffungen und vermahnung/ und die vorſtellungen des troſtes gehoͤren. Davon hats nun die erklaͤrung des textes und die glaubens lehren meiſtentheils mit dem verſtand des menſchen zu thun/ die andere fruchten beruͤhren mehr den willen. Welches aber un- ter allen ausgelaſſen wird/ wird der erbauung dadurch etwas abgehen. Wo hin- gegen dieſe dinge recht/ wie ſichs geziemet/ getrieben werden/ mag man erſt ſagen/ daß

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 751. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/769>, abgerufen am 23.11.2024.