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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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Das sechste Capitel.
nochmals wiederholen/ daß wir freylich dergleichen Christenthum nicht vor just hal-
ten/ wie oben bereits erinnert/ wo so offt nach einander wiederholende fälle und im-
mer folgende buß alterniren. Denn da ist unmüglich/ daß es dem kan ernst mit
der busse gewesen seyn/ der kaum von derselben komt/ und also balden wieder muth-
willig sündiget/ gleich wieder buß zu thun sich stellet/ und solches immerfort conti-
nui
ret: Die betrachtung der hertzlichen reu und deß inbrünstigen vorsatzes/ so
bey wahren büssenden sich findet/ lässet nicht zu dergleichen zugedencken: Aber da-
mit ist Herr Stengers meinung noch nicht gebilliget: Es wiederholet sich die gros-
se busse nicht so offt und gleichsam wöchentlich. E. nur einmahl. Dahero was itzo
die Argumenta selbst anlanget/ so folget es nicht: Die Christen könten sonst nicht
sagen mit David: Jch wehre meinem fusse alle böse wege/ daß ich dein
wort halte. Jch will dein gesetz halten alle wege/ immer und ewiglich
Psalm. 119.
Dann wir fragen: Ob David solches habe sagen können/ oder
nicht? Dieses letztere wird Herr Stenger nicht erwehlen; Weil ja solches die ge-
meine arth aller wahren kinder GOttes ist und seyn muß/ daß sie solchen eyfrigen
vorsatz haben/ und demselben nachsetzen. Hat ers aber sagen können/ so siehet
man ja/ daß dann die jenige auch nachsprechen mögen/ welche sich vor allem muth-
willigen fall zuhüten eyfrig entschlossen/ ob es schon geschehen mag/ daß sie wiederum
von dem teuffel verführet werden/ wie es David ergangen. Da aber der schluß
gemacht wird (So dörfften auch die bußfertigen bey ihrer busse nicht angelo-
ben/ daß sie wolten CHRJSTJ gebot hinfüro beständig halten/ und nie-
mals muthwillig sündigen. Dann so doch die Christen hernach solch ihr
gelübde niemals redlich bezahlen/ so mögten sie lieber des angelobens sich
gar enthalten.)
Jst wiederum keine gültige folge. Herr Stenger gestehet/ daß
eben solches gelübde in der tauffe auch geschiehet/ ob schon durch den mund der tauff-
pathen/ aber gleichwohl von dem kinde/ und der heilige Geist/ der den wahren glau-
ben bey solchem kinde in der tauffe würcket/ würcket auch solchen vorsatz/ und also
gelübde bey derselben. Er gestehet weiter/ daß solcher getaufften sehr viele wieder
abtreten/ und auffs neue müssen bekehret werden: So siehet er ja selbsten/ daß
aus dem gelübde bey der busse sich das jenige eben so wohl nicht schließen lasse. 3.
Nicht besser schliesset das jenige argument/ daß er haben will: daß mit der gegenlehr
auffgehaben werde die gewißheit eines wiedergebohrnen/ und die gewisse hoffnung
der beständigkeit/ ja die hoffnung des ewigen lebens. Jst das argument/ dessen
sich auch die Reformirte gegen uns bedienen/ um die blosse unmügligkeit des abfalls
der rechtgläubigen zu erweisen/ darinnen Herr Stenger ihme selbst widerspricht.
Auch würde es der Reformirten als Herrn Stengers meinung mehr bekräfftigen/
wo es bündig wäre. Dann macht die müglichkeit des wiederabfalls die gewißheit
der seligkeit zu nicht/ wie dieses argument wil/ so muß eins unter beyden seyn:
Entweder wir müssen der gewißheit unserer seligkeit uns gar nicht rühmen können/

und

Das ſechſte Capitel.
nochmals wiederholen/ daß wir freylich dergleichen Chriſtenthum nicht vor juſt hal-
ten/ wie oben bereits erinnert/ wo ſo offt nach einander wiederholende faͤlle und im-
mer folgende buß alterniren. Denn da iſt unmuͤglich/ daß es dem kan ernſt mit
der buſſe geweſen ſeyn/ der kaum von derſelben komt/ und alſo balden wieder muth-
willig ſuͤndiget/ gleich wieder buß zu thun ſich ſtellet/ und ſolches immerfort conti-
nui
ret: Die betrachtung der hertzlichen reu und deß inbruͤnſtigen vorſatzes/ ſo
bey wahren buͤſſenden ſich findet/ laͤſſet nicht zu dergleichen zugedencken: Aber da-
mit iſt Herr Stengers meinung noch nicht gebilliget: Es wiederholet ſich die groſ-
ſe buſſe nicht ſo offt und gleichſam woͤchentlich. E. nur einmahl. Dahero was itzo
die Argumenta ſelbſt anlanget/ ſo folget es nicht: Die Chriſten koͤnten ſonſt nicht
ſagen mit David: Jch wehre meinem fuſſe alle boͤſe wege/ daß ich dein
wort halte. Jch will dein geſetz halten alle wege/ immer und ewiglich
Pſalm. 119.
Dann wir fragen: Ob David ſolches habe ſagen koͤnnen/ oder
nicht? Dieſes letztere wird Herr Stenger nicht erwehlen; Weil ja ſolches die ge-
meine arth aller wahren kinder GOttes iſt und ſeyn muß/ daß ſie ſolchen eyfrigen
vorſatz haben/ und demſelben nachſetzen. Hat ers aber ſagen koͤnnen/ ſo ſiehet
man ja/ daß dann die jenige auch nachſprechen moͤgen/ welche ſich vor allem muth-
willigen fall zuhuͤten eyfrig entſchloſſen/ ob es ſchon geſchehen mag/ daß ſie wiederum
von dem teuffel verfuͤhret werden/ wie es David ergangen. Da aber der ſchluß
gemacht wird (So doͤrfften auch die bußfertigen bey ihrer buſſe nicht angelo-
ben/ daß ſie wolten CHRJSTJ gebot hinfuͤro beſtaͤndig halten/ und nie-
mals muthwillig ſuͤndigen. Dann ſo doch die Chriſten hernach ſolch ihr
geluͤbde niemals redlich bezahlen/ ſo moͤgten ſie lieber des angelobens ſich
gar enthalten.)
Jſt wiederum keine guͤltige folge. Herr Stenger geſtehet/ daß
eben ſolches geluͤbde in der tauffe auch geſchiehet/ ob ſchon durch den mund der tauff-
pathen/ aber gleichwohl von dem kinde/ und der heilige Geiſt/ der den wahren glau-
ben bey ſolchem kinde in der tauffe wuͤrcket/ wuͤrcket auch ſolchen vorſatz/ und alſo
geluͤbde bey derſelben. Er geſtehet weiter/ daß ſolcher getaufften ſehr viele wieder
abtreten/ und auffs neue muͤſſen bekehret werden: So ſiehet er ja ſelbſten/ daß
aus dem geluͤbde bey der buſſe ſich das jenige eben ſo wohl nicht ſchließen laſſe. 3.
Nicht beſſer ſchlieſſet das jenige argument/ daß er haben will: daß mit der gegenlehr
auffgehaben werde die gewißheit eines wiedergebohrnen/ und die gewiſſe hoffnung
der beſtaͤndigkeit/ ja die hoffnung des ewigen lebens. Jſt das argument/ deſſen
ſich auch die Reformirte gegen uns bedienen/ um die bloſſe unmuͤgligkeit des abfalls
der rechtglaͤubigen zu erweiſen/ darinnen Herr Stenger ihme ſelbſt widerſpricht.
Auch wuͤrde es der Reformirten als Herrn Stengers meinung mehr bekraͤfftigen/
wo es buͤndig waͤre. Dann macht die muͤglichkeit des wiederabfalls die gewißheit
der ſeligkeit zu nicht/ wie dieſes argument wil/ ſo muß eins unter beyden ſeyn:
Entweder wir muͤſſen der gewißheit unſerer ſeligkeit uns gar nicht ruͤhmen koͤnnen/

und
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[56/0074] Das ſechſte Capitel. nochmals wiederholen/ daß wir freylich dergleichen Chriſtenthum nicht vor juſt hal- ten/ wie oben bereits erinnert/ wo ſo offt nach einander wiederholende faͤlle und im- mer folgende buß alterniren. Denn da iſt unmuͤglich/ daß es dem kan ernſt mit der buſſe geweſen ſeyn/ der kaum von derſelben komt/ und alſo balden wieder muth- willig ſuͤndiget/ gleich wieder buß zu thun ſich ſtellet/ und ſolches immerfort conti- nuiret: Die betrachtung der hertzlichen reu und deß inbruͤnſtigen vorſatzes/ ſo bey wahren buͤſſenden ſich findet/ laͤſſet nicht zu dergleichen zugedencken: Aber da- mit iſt Herr Stengers meinung noch nicht gebilliget: Es wiederholet ſich die groſ- ſe buſſe nicht ſo offt und gleichſam woͤchentlich. E. nur einmahl. Dahero was itzo die Argumenta ſelbſt anlanget/ ſo folget es nicht: Die Chriſten koͤnten ſonſt nicht ſagen mit David: Jch wehre meinem fuſſe alle boͤſe wege/ daß ich dein wort halte. Jch will dein geſetz halten alle wege/ immer und ewiglich Pſalm. 119. Dann wir fragen: Ob David ſolches habe ſagen koͤnnen/ oder nicht? Dieſes letztere wird Herr Stenger nicht erwehlen; Weil ja ſolches die ge- meine arth aller wahren kinder GOttes iſt und ſeyn muß/ daß ſie ſolchen eyfrigen vorſatz haben/ und demſelben nachſetzen. Hat ers aber ſagen koͤnnen/ ſo ſiehet man ja/ daß dann die jenige auch nachſprechen moͤgen/ welche ſich vor allem muth- willigen fall zuhuͤten eyfrig entſchloſſen/ ob es ſchon geſchehen mag/ daß ſie wiederum von dem teuffel verfuͤhret werden/ wie es David ergangen. Da aber der ſchluß gemacht wird (So doͤrfften auch die bußfertigen bey ihrer buſſe nicht angelo- ben/ daß ſie wolten CHRJSTJ gebot hinfuͤro beſtaͤndig halten/ und nie- mals muthwillig ſuͤndigen. Dann ſo doch die Chriſten hernach ſolch ihr geluͤbde niemals redlich bezahlen/ ſo moͤgten ſie lieber des angelobens ſich gar enthalten.) Jſt wiederum keine guͤltige folge. Herr Stenger geſtehet/ daß eben ſolches geluͤbde in der tauffe auch geſchiehet/ ob ſchon durch den mund der tauff- pathen/ aber gleichwohl von dem kinde/ und der heilige Geiſt/ der den wahren glau- ben bey ſolchem kinde in der tauffe wuͤrcket/ wuͤrcket auch ſolchen vorſatz/ und alſo geluͤbde bey derſelben. Er geſtehet weiter/ daß ſolcher getaufften ſehr viele wieder abtreten/ und auffs neue muͤſſen bekehret werden: So ſiehet er ja ſelbſten/ daß aus dem geluͤbde bey der buſſe ſich das jenige eben ſo wohl nicht ſchließen laſſe. 3. Nicht beſſer ſchlieſſet das jenige argument/ daß er haben will: daß mit der gegenlehr auffgehaben werde die gewißheit eines wiedergebohrnen/ und die gewiſſe hoffnung der beſtaͤndigkeit/ ja die hoffnung des ewigen lebens. Jſt das argument/ deſſen ſich auch die Reformirte gegen uns bedienen/ um die bloſſe unmuͤgligkeit des abfalls der rechtglaͤubigen zu erweiſen/ darinnen Herr Stenger ihme ſelbſt widerſpricht. Auch wuͤrde es der Reformirten als Herrn Stengers meinung mehr bekraͤfftigen/ wo es buͤndig waͤre. Dann macht die muͤglichkeit des wiederabfalls die gewißheit der ſeligkeit zu nicht/ wie dieſes argument wil/ ſo muß eins unter beyden ſeyn: Entweder wir muͤſſen der gewißheit unſerer ſeligkeit uns gar nicht ruͤhmen koͤnnen/ und

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/74>, abgerufen am 25.11.2024.