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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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Das sechste Capitel.
busse solte gewesen seyn. Nach diesem 4. Mos. 11. versündiget sich das volck wie-
derum etlichmahl boßhafftig/ und zog schwere straffe auff sich/ daß viel darüber
umkommen sind. Solten aber auch nicht aus ansehung der straffen immer un-
terschiedliche sich haben thätlich bekehret? Asaph saget Psalm. 78/ 36. 37. Wenn
er sie erwürget/ suchten sie ihn/ und bekehrten sich frühe zu GOTT/ und ge-
dachten/ daß GOTT ihr Hort ist/ und GOTT der höchste ihr Erlöser ist.

Es folget zwar darauff: Und heuchleten ihm mit ihrem munde/ und logen
ihm mit ihren zungen/ aber ihr hertz war nicht fest an ihm/ und hielten nicht
treulich an seinem bunde.
Wir haben aber solche worte (wie von dem wohlver-
dienten Theologo D. Höpfnern mit mehreren gezeiget worden) vielmehr anzuse-
hen/ daß damit angedeutet werde/ wie ihre busse nicht sey beständig gewesen/ als
daß sie gar vor keine wahre busse erkant würde/ und ob wäre es ihnen nicht ernst ge-
wesen/ da gleichwohl es eine solche busse gewesen/ darauff folgen könte: Er aber
war barmhertzig/ und vergab die missethat.
Welches ja einer heuchel busse
nicht mag zugeschrieben werden: Jn dessen heisset es doch/ daß sie mit dem mun-
de geheuchelt/ und mit der zungen gelogen haben/ alldieweil sie ihren verspruch/
ob wohl solcher erstlich von hertzen gegangen/ nachmahl beständig ins werck zuse-
tzen ihnen nicht haben lassen angelegen seyn/ u. also ihr hertz nicht fest an Gott geblie-
ben ist. Daraus wir sehen/ daß GOTT die kinder Jfrael nicht gleich das an-
dere mahl/ als sie ihn boßhafftig erzürnet/ zur straffe hingerissen/ sondern zum öff-
tern mahl ihnen vergebung habe wiederfahren lassen. Ja wir mögen eben hierinnen
wiederum exempel sehen solcher leute/ die nichtnur einmahl die grosse busse wiederho-
let haben/ heist daher to demteron bey dem Apostel Juda/ nicht eigentlich zum andern-
mahl/ in dem gegensatz/ daß das erste mahl der HERR seinem volck verziehen/ das
anderemahl aber seinen zorn gehen lassen/ sondern wie die Phiologi bemercken/ ist
so viel als deinde, rursus, wie auch die lateinische dolmetschung Erasmi, Bezae, Ca-
stalionis
hierbey bleiben abermahl oder nach mahl. Daß also die meynung
diese sey: Der HERR habe die kinder Jsrael aus Egypten geführet/ und in sol-
chem ausgang viel so leiblich als geistliche wohlthaten ihnen erwiesen/ (unter wel-
che billich zu zehlen die öfftere vergebung ihrer sünden) aber darnach/ wie nehmlich
sie so offt seine güte misbrauchet/ brachte er um die nicht glaubten. Wir gehen a-
ber weiter. 6. Werden angezogen die worte Christi Luc. 11. Wenn der vom bö-
sen geist erlösete mensch denselben wieder einlasse/ so werde es da wohl sieben
mahl ärger denn zuvor.
Aber wir sehen nicht/ wie nur mit einem schein sich etwas
schliessen lasse/ was Herr Stenger will: Daß es immer gefährlicher mit einem men-
schen werde/ je mehrmahl er von seinen Gott ab getretten/ und seine gütigkeit ver-
achtet hat/ folget wohl daraus/ aber davon ist die frage nicht: Hingegen sehen
wir hie/ daß es nicht so unmüglich sey/ daß der teuffel/ wo er schon einmahl gewal-
tig ausgetrieben/ wiederum einnisten könne. Christus saget nicht darbey/ daß es

gar

Das ſechſte Capitel.
buſſe ſolte geweſen ſeyn. Nach dieſem 4. Moſ. 11. verſuͤndiget ſich das volck wie-
derum etlichmahl boßhafftig/ und zog ſchwere ſtraffe auff ſich/ daß viel daruͤber
umkommen ſind. Solten aber auch nicht aus anſehung der ſtraffen immer un-
terſchiedliche ſich haben thaͤtlich bekehret? Aſaph ſaget Pſalm. 78/ 36. 37. Wenn
er ſie erwuͤrget/ ſuchten ſie ihn/ und bekehrten ſich fruͤhe zu GOTT/ und ge-
dachten/ daß GOTT ihr Hort iſt/ und GOTT der hoͤchſte ihr Erloͤſer iſt.

Es folget zwar darauff: Und heuchleten ihm mit ihrem munde/ und logen
ihm mit ihren zungen/ aber ihr hertz war nicht feſt an ihm/ und hielten nicht
treulich an ſeinem bunde.
Wir haben aber ſolche worte (wie von dem wohlver-
dienten Theologo D. Hoͤpfnern mit mehreren gezeiget worden) vielmehr anzuſe-
hen/ daß damit angedeutet werde/ wie ihre buſſe nicht ſey beſtaͤndig geweſen/ als
daß ſie gar vor keine wahre buſſe erkant wuͤrde/ und ob waͤre es ihnen nicht ernſt ge-
weſen/ da gleichwohl es eine ſolche buſſe geweſen/ darauff folgen koͤnte: Er aber
war barmhertzig/ und vergab die miſſethat.
Welches ja einer heuchel buſſe
nicht mag zugeſchrieben werden: Jn deſſen heiſſet es doch/ daß ſie mit dem mun-
de geheuchelt/ und mit der zungen gelogen haben/ alldieweil ſie ihren verſpruch/
ob wohl ſolcher erſtlich von hertzen gegangen/ nachmahl beſtaͤndig ins werck zuſe-
tzen ihnen nicht haben laſſen angelegen ſeyn/ u. alſo ihr heꝛtz nicht feſt an Gott geblie-
ben iſt. Daraus wir ſehen/ daß GOTT die kinder Jfrael nicht gleich das an-
dere mahl/ als ſie ihn boßhafftig erzuͤrnet/ zur ſtraffe hingeriſſen/ ſondern zum oͤff-
tern mahl ihnen vergebung habe wiederfahren laſſen. Ja wir moͤgen eben hierinnen
wiederum exempel ſehen ſolcheꝛ leute/ die nichtnur einmahl die groſſe buſſe wiedeꝛho-
let haben/ heiſt daher τὸ δέμτερον bey dem Apoſtel Juda/ nicht eigentlich zum andern-
mahl/ in dem gegenſatz/ daß das erſte mahl der HERR ſeinem volck verziehen/ das
anderemahl aber ſeinen zorn gehen laſſen/ ſondern wie die Phiologi bemercken/ iſt
ſo viel als deinde, rurſus, wie auch die lateiniſche dolmetſchung Eraſmi, Bezæ, Ca-
ſtalionis
hierbey bleiben abermahl oder nach mahl. Daß alſo die meynung
dieſe ſey: Der HERR habe die kinder Jſrael aus Egypten gefuͤhret/ und in ſol-
chem ausgang viel ſo leiblich als geiſtliche wohlthaten ihnen erwieſen/ (unter wel-
che billich zu zehlen die oͤfftere vergebung ihrer ſuͤnden) aber darnach/ wie nehmlich
ſie ſo offt ſeine guͤte misbrauchet/ brachte er um die nicht glaubten. Wir gehen a-
ber weiter. 6. Werden angezogen die worte Chriſti Luc. 11. Wenn der vom boͤ-
ſen geiſt erloͤſete menſch denſelben wieder einlaſſe/ ſo werde es da wohl ſieben
mahl aͤrger denn zuvor.
Aber wir ſehen nicht/ wie nur mit einem ſchein ſich etwas
ſchlieſſen laſſe/ was Herr Stenger will: Daß es immer gefaͤhrlicher mit einem men-
ſchen werde/ je mehrmahl er von ſeinen Gott ab getretten/ und ſeine guͤtigkeit ver-
achtet hat/ folget wohl daraus/ aber davon iſt die frage nicht: Hingegen ſehen
wir hie/ daß es nicht ſo unmuͤglich ſey/ daß der teuffel/ wo er ſchon einmahl gewal-
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[54/0072] Das ſechſte Capitel. buſſe ſolte geweſen ſeyn. Nach dieſem 4. Moſ. 11. verſuͤndiget ſich das volck wie- derum etlichmahl boßhafftig/ und zog ſchwere ſtraffe auff ſich/ daß viel daruͤber umkommen ſind. Solten aber auch nicht aus anſehung der ſtraffen immer un- terſchiedliche ſich haben thaͤtlich bekehret? Aſaph ſaget Pſalm. 78/ 36. 37. Wenn er ſie erwuͤrget/ ſuchten ſie ihn/ und bekehrten ſich fruͤhe zu GOTT/ und ge- dachten/ daß GOTT ihr Hort iſt/ und GOTT der hoͤchſte ihr Erloͤſer iſt. Es folget zwar darauff: Und heuchleten ihm mit ihrem munde/ und logen ihm mit ihren zungen/ aber ihr hertz war nicht feſt an ihm/ und hielten nicht treulich an ſeinem bunde. Wir haben aber ſolche worte (wie von dem wohlver- dienten Theologo D. Hoͤpfnern mit mehreren gezeiget worden) vielmehr anzuſe- hen/ daß damit angedeutet werde/ wie ihre buſſe nicht ſey beſtaͤndig geweſen/ als daß ſie gar vor keine wahre buſſe erkant wuͤrde/ und ob waͤre es ihnen nicht ernſt ge- weſen/ da gleichwohl es eine ſolche buſſe geweſen/ darauff folgen koͤnte: Er aber war barmhertzig/ und vergab die miſſethat. Welches ja einer heuchel buſſe nicht mag zugeſchrieben werden: Jn deſſen heiſſet es doch/ daß ſie mit dem mun- de geheuchelt/ und mit der zungen gelogen haben/ alldieweil ſie ihren verſpruch/ ob wohl ſolcher erſtlich von hertzen gegangen/ nachmahl beſtaͤndig ins werck zuſe- tzen ihnen nicht haben laſſen angelegen ſeyn/ u. alſo ihr heꝛtz nicht feſt an Gott geblie- ben iſt. Daraus wir ſehen/ daß GOTT die kinder Jfrael nicht gleich das an- dere mahl/ als ſie ihn boßhafftig erzuͤrnet/ zur ſtraffe hingeriſſen/ ſondern zum oͤff- tern mahl ihnen vergebung habe wiederfahren laſſen. Ja wir moͤgen eben hierinnen wiederum exempel ſehen ſolcheꝛ leute/ die nichtnur einmahl die groſſe buſſe wiedeꝛho- let haben/ heiſt daher τὸ δέμτερον bey dem Apoſtel Juda/ nicht eigentlich zum andern- mahl/ in dem gegenſatz/ daß das erſte mahl der HERR ſeinem volck verziehen/ das anderemahl aber ſeinen zorn gehen laſſen/ ſondern wie die Phiologi bemercken/ iſt ſo viel als deinde, rurſus, wie auch die lateiniſche dolmetſchung Eraſmi, Bezæ, Ca- ſtalionis hierbey bleiben abermahl oder nach mahl. Daß alſo die meynung dieſe ſey: Der HERR habe die kinder Jſrael aus Egypten gefuͤhret/ und in ſol- chem ausgang viel ſo leiblich als geiſtliche wohlthaten ihnen erwieſen/ (unter wel- che billich zu zehlen die oͤfftere vergebung ihrer ſuͤnden) aber darnach/ wie nehmlich ſie ſo offt ſeine guͤte misbrauchet/ brachte er um die nicht glaubten. Wir gehen a- ber weiter. 6. Werden angezogen die worte Chriſti Luc. 11. Wenn der vom boͤ- ſen geiſt erloͤſete menſch denſelben wieder einlaſſe/ ſo werde es da wohl ſieben mahl aͤrger denn zuvor. Aber wir ſehen nicht/ wie nur mit einem ſchein ſich etwas ſchlieſſen laſſe/ was Herr Stenger will: Daß es immer gefaͤhrlicher mit einem men- ſchen werde/ je mehrmahl er von ſeinen Gott ab getretten/ und ſeine guͤtigkeit ver- achtet hat/ folget wohl daraus/ aber davon iſt die frage nicht: Hingegen ſehen wir hie/ daß es nicht ſo unmuͤglich ſey/ daß der teuffel/ wo er ſchon einmahl gewal- tig ausgetrieben/ wiederum einniſten koͤnne. Chriſtus ſaget nicht darbey/ daß es gar

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/72>, abgerufen am 25.11.2024.