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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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Das sechste Capitel.
mit dem weltförmigem leben nicht stehen möge/ sondern wo dieses sich annoch nicht
nur iu äusserlichen groben schand und lastern/ sondern in der welt liebe/ so mit flei-
sches lust/ augen lust und hoffärtigem leben herrscht/ daher ein ob wohl vor der welt
ehrliches/ jedoch nach jenem zweck und der eigenem liebe gerichtetes/ leben folget/
bey den leuten findet/ daß solches ein zeugnüß des unglaubens seye) mit eyffer von
jedem nach der gabe/ die ihm gegeben ist/ getrieben und geschärffet wird/ (welches
nichts so neues ist/ daß von nöthen gewesen wäre/ daß GOTT solche sonderbare
und mit ungemeinen gaben des Geistes außgerüstete leute hätte müssen erwecken)
daß eben so wohl bey solchen treiben mißbräuche entstehen können/ und einige un-
verständige die sach übel fassen/ der teuffel aber auch daraus einen vortheil zugewin-
nen sich bemühen möchte: Welches alles/ wo mit mehrerem ernst und nachdruck
angegriffen würde/ gewißlich eben so wol auch noch stärcker geschehen würde und
müste. Gleich wie aber wir weder um solcher ursach willen unsers lieben Lutheri re-
formation
straffen/ noch verlangen sollen/ daß dann die von so vielen mißbrauchte
schrifft den leuten nicht ohne unterscheid in die hände gegeben/ oder nunmehr wie-
der aus denselben gerissen würde/ sondern wir erkennen die wolthaten GOTTes/
wir halten die warheit der lehr in ehren/ und unterscheiden dieselbe sorgfältig von
dem aus anderer menschen schuld entstehenden mißbrauch/ straffen diesen und su-
chen ihm zu begegnen/ so gut wir können. Also meine ich/ daß wir noch heut zu ta-
ge die h. lehr solches müßbrauchs wegen/ oder wo sich unter solchen schein und deck-
mantel nachmal falsche brüder wolten hervorthun/ nicht zu verwerffen oder zu
meiden/ sondern vielmehr mit fleiß zu zeigen haben/ daß sich die jenige derselben zur
ungebühr behelffen/ und darauff beruffen/ welche nicht mit redlichen hertzen der-
selben anhangen/ ob sie auch schon solten in einigen stücken gleiche reden führen/ sich
damit zu verbergen: Wie unser liebe Lutherus die von ihm so genannte himm-
lische Propheten/
ob sie wol sich bey seiner lehre hervor gethan/ u. in vielen stücken
fast gleiche worte mit ihm gebraucht/ und die Antinomer, von denen gleiches zu-
sagen/ ja die sich fast allein auf seine worte beruffen konten/ vor die seinige nicht er-
kant/ noch dero schuld aufbürden lassen/ sondern mit ihnen nichts zuschaffen haben
wollen/ aber doch seine lehren/ darauff sich jene berufften/ von der innern erleuch-
tung/ freyheit der kinder GOttes/ von des gesetzes fluch und joch/ und dergleichen/
den andern zugefallen oder sich weiter von jenen zu sonderen/ nichts geändert/ wol
aber sich so viel deutlicher erkläret; damit ihnen von redlichen leuten mit fug nicht
möchte schuld gegeben werden; ob er wol von andern nicht wenig darüber lästerung
leiden mußte/ die aber keine lästerung sondern göttlicher eyffer oder vorsichtigkeit ü-
ber die gefahr der kirchen hätten heissen sollen/ wann die jenige propria solten gül-
tig seyn/ aus welchen manches gutes bißher hat bestritten werden/ und alles solches
grosse klugheit seyn sollen.

Aber der HERR bewahre uns vor solcher klugheit wo wir wolten aus un-

serer

Das ſechſte Capitel.
mit dem weltfoͤrmigem leben nicht ſtehen moͤge/ ſondern wo dieſes ſich annoch nicht
nur iu aͤuſſerlichen groben ſchand und laſtern/ ſondern in der welt liebe/ ſo mit flei-
ſches luſt/ augen luſt und hoffaͤrtigem leben herrſcht/ daher ein ob wohl vor der welt
ehrliches/ jedoch nach jenem zweck und der eigenem liebe gerichtetes/ leben folget/
bey den leuten findet/ daß ſolches ein zeugnuͤß des unglaubens ſeye) mit eyffer von
jedem nach der gabe/ die ihm gegeben iſt/ getrieben und geſchaͤrffet wird/ (welches
nichts ſo neues iſt/ daß von noͤthen geweſen waͤre/ daß GOTT ſolche ſonderbare
und mit ungemeinen gaben des Geiſtes außgeruͤſtete leute haͤtte muͤſſen erwecken)
daß eben ſo wohl bey ſolchen treiben mißbraͤuche entſtehen koͤnnen/ und einige un-
verſtaͤndige die ſach uͤbel faſſen/ der teuffel aber auch daraus einen vortheil zugewin-
nen ſich bemuͤhen moͤchte: Welches alles/ wo mit mehrerem ernſt und nachdruck
angegriffen wuͤrde/ gewißlich eben ſo wol auch noch ſtaͤrcker geſchehen wuͤrde und
muͤſte. Gleich wie abeꝛ wir wedeꝛ um ſolcheꝛ urſach willen unſers lieben Lutheri re-
formation
ſtraffen/ noch verlangen ſollen/ daß dann die von ſo vielen mißbrauchte
ſchrifft den leuten nicht ohne unterſcheid in die haͤnde gegeben/ oder nunmehr wie-
der aus denſelben geriſſen wuͤrde/ ſondern wir erkennen die wolthaten GOTTes/
wir halten die warheit der lehr in ehren/ und unterſcheiden dieſelbe ſorgfaͤltig von
dem aus anderer menſchen ſchuld entſtehenden mißbrauch/ ſtraffen dieſen und ſu-
chen ihm zu begegnen/ ſo gut wir koͤnnen. Alſo meine ich/ daß wir noch heut zu ta-
ge die h. lehr ſolches muͤßbrauchs wegen/ oder wo ſich unter ſolchen ſchein und deck-
mantel nachmal falſche bruͤder wolten hervorthun/ nicht zu verwerffen oder zu
meiden/ ſondern vielmehr mit fleiß zu zeigen haben/ daß ſich die jenige derſelben zur
ungebuͤhr behelffen/ und darauff beruffen/ welche nicht mit redlichen hertzen der-
ſelben anhangen/ ob ſie auch ſchon ſolten in einigen ſtuͤcken gleiche reden fuͤhren/ ſich
damit zu verbergen: Wie unſer liebe Lutherus die von ihm ſo genannte himm-
liſche Propheten/
ob ſie wol ſich bey ſeiner lehre hervor gethan/ u. in vielen ſtuͤcken
faſt gleiche worte mit ihm gebraucht/ und die Antinomer, von denen gleiches zu-
ſagen/ ja die ſich faſt allein auf ſeine worte beruffen konten/ vor die ſeinige nicht er-
kant/ noch dero ſchuld aufbuͤrden laſſen/ ſondern mit ihnen nichts zuſchaffen haben
wollen/ aber doch ſeine lehren/ darauff ſich jene berufften/ von der innern erleuch-
tung/ freyheit der kinder GOttes/ von des geſetzes fluch und joch/ und dergleichen/
den andern zugefallen oder ſich weiter von jenen zu ſonderen/ nichts geaͤndert/ wol
aber ſich ſo viel deutlicher erklaͤret; damit ihnen von redlichen leuten mit fug nicht
moͤchte ſchuld gegeben werden; ob er wol von andern nicht wenig daruͤber laͤſterung
leiden mußte/ die abeꝛ keine laͤſterung ſondern goͤttlicher eyffer oder vorſichtigkeit uͤ-
ber die gefahr der kirchen haͤtten heiſſen ſollen/ wann die jenige propria ſolten guͤl-
tig ſeyn/ aus welchen manches gutes bißher hat beſtritten werden/ und alles ſolches
groſſe klugheit ſeyn ſollen.

Aber der HERR bewahre uns vor ſolcher klugheit wo wir wolten aus un-

ſerer
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[552/0570] Das ſechſte Capitel. mit dem weltfoͤrmigem leben nicht ſtehen moͤge/ ſondern wo dieſes ſich annoch nicht nur iu aͤuſſerlichen groben ſchand und laſtern/ ſondern in der welt liebe/ ſo mit flei- ſches luſt/ augen luſt und hoffaͤrtigem leben herrſcht/ daher ein ob wohl vor der welt ehrliches/ jedoch nach jenem zweck und der eigenem liebe gerichtetes/ leben folget/ bey den leuten findet/ daß ſolches ein zeugnuͤß des unglaubens ſeye) mit eyffer von jedem nach der gabe/ die ihm gegeben iſt/ getrieben und geſchaͤrffet wird/ (welches nichts ſo neues iſt/ daß von noͤthen geweſen waͤre/ daß GOTT ſolche ſonderbare und mit ungemeinen gaben des Geiſtes außgeruͤſtete leute haͤtte muͤſſen erwecken) daß eben ſo wohl bey ſolchen treiben mißbraͤuche entſtehen koͤnnen/ und einige un- verſtaͤndige die ſach uͤbel faſſen/ der teuffel aber auch daraus einen vortheil zugewin- nen ſich bemuͤhen moͤchte: Welches alles/ wo mit mehrerem ernſt und nachdruck angegriffen wuͤrde/ gewißlich eben ſo wol auch noch ſtaͤrcker geſchehen wuͤrde und muͤſte. Gleich wie abeꝛ wir wedeꝛ um ſolcheꝛ urſach willen unſers lieben Lutheri re- formation ſtraffen/ noch verlangen ſollen/ daß dann die von ſo vielen mißbrauchte ſchrifft den leuten nicht ohne unterſcheid in die haͤnde gegeben/ oder nunmehr wie- der aus denſelben geriſſen wuͤrde/ ſondern wir erkennen die wolthaten GOTTes/ wir halten die warheit der lehr in ehren/ und unterſcheiden dieſelbe ſorgfaͤltig von dem aus anderer menſchen ſchuld entſtehenden mißbrauch/ ſtraffen dieſen und ſu- chen ihm zu begegnen/ ſo gut wir koͤnnen. Alſo meine ich/ daß wir noch heut zu ta- ge die h. lehr ſolches muͤßbrauchs wegen/ oder wo ſich unter ſolchen ſchein und deck- mantel nachmal falſche bruͤder wolten hervorthun/ nicht zu verwerffen oder zu meiden/ ſondern vielmehr mit fleiß zu zeigen haben/ daß ſich die jenige derſelben zur ungebuͤhr behelffen/ und darauff beruffen/ welche nicht mit redlichen hertzen der- ſelben anhangen/ ob ſie auch ſchon ſolten in einigen ſtuͤcken gleiche reden fuͤhren/ ſich damit zu verbergen: Wie unſer liebe Lutherus die von ihm ſo genannte himm- liſche Propheten/ ob ſie wol ſich bey ſeiner lehre hervor gethan/ u. in vielen ſtuͤcken faſt gleiche worte mit ihm gebraucht/ und die Antinomer, von denen gleiches zu- ſagen/ ja die ſich faſt allein auf ſeine worte beruffen konten/ vor die ſeinige nicht er- kant/ noch dero ſchuld aufbuͤrden laſſen/ ſondern mit ihnen nichts zuſchaffen haben wollen/ aber doch ſeine lehren/ darauff ſich jene berufften/ von der innern erleuch- tung/ freyheit der kinder GOttes/ von des geſetzes fluch und joch/ und dergleichen/ den andern zugefallen oder ſich weiter von jenen zu ſonderen/ nichts geaͤndert/ wol aber ſich ſo viel deutlicher erklaͤret; damit ihnen von redlichen leuten mit fug nicht moͤchte ſchuld gegeben werden; ob er wol von andern nicht wenig daruͤber laͤſterung leiden mußte/ die abeꝛ keine laͤſterung ſondern goͤttlicher eyffer oder vorſichtigkeit uͤ- ber die gefahr der kirchen haͤtten heiſſen ſollen/ wann die jenige propria ſolten guͤl- tig ſeyn/ aus welchen manches gutes bißher hat beſtritten werden/ und alles ſolches groſſe klugheit ſeyn ſollen. Aber der HERR bewahre uns vor ſolcher klugheit wo wir wolten aus un- ſerer

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 552. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/570>, abgerufen am 22.11.2024.