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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO XXVI.
dahin zurichten/ daß jeglicher der desselben bedürfftig ist/ sein habhafft werden mö-
ge/ ob ihm wol die wissenschafft nicht mitgetheilet wird/ jedoch auch also/ daß der
besitzer solcher kunst sie nicht mit sich ersterben lasse/ sondern die medicamenta also
schätze/ daß die dessen benöthigte wider Christliche lieb nicht beschwehret werden:
daß er aber blosser dings in publico seine kunst offenbahren müsse/ und keine ergötz-
lichkeit in der welt vor das jenige nehmen dörffe/ was ihm GOtt gegeben/ sehe ich
noch keine bündige ursach; Wol aber daß er seine gabe in hertzlicher liebe anwen-
de.

Uber das wort epiou'sios bekenne daß ich nicht einerley meinung seyn kan;
wo es von epi und ou'sia käme/ müste es nicht epiou'sios sonder epou'sios heissen/
gleich wie epouranios von epi und ouranos; allso heissets epousiodes ad substanti-
am accedens.
epeimi, nicht epiousiodes, epieimi. etc. verbleibe also lieber dabey/
daß es seye o artos tes epiou'ses diei insequentis. So kan nicht wol sehen/
daß wir hierinn die nahrung der seelen und das geistliche begehren/ dann solche
stecket sch[o]n völlig in der zweyten bitte/ daß es einer wiederholung nicht nöthig ist;
jedoch lasse einem jeglichen hierinn auch seine guthe gedancken/ nur daß die bitte um
das leibliche nicht ausgeschlossen werde; Dann ob wol dieses das geringste unter
denen dingen ist/ die wir von GOtt zu bitten bedürffen/ so ists gleichwol auch eine
sache/ die wir täglich von GOTT empfangen/ und also würdig/ daß er darum ge-
beten werde.

Die klage über die Buchhändler ist auch gantz gerecht/ aber vielleicht auch
eben derselben/ und Buchtrucker/ unrecht/ da sie solche kunst und die daraus getru-
ckte bücher nicht vornemlich zu dem hauptzweck nemlich göttlicher ehre und des
nechsten nutzen anwenden/ eine ursach/ das fast unter allen handlungen dieselbe am
meisten in das stecken gerathen anfängt.

Die Sabbathsfeyer anlangend/ bleibet freylich dabey/ daß wir noch das
geboth derselben in dem Neuen Testament übrig haben/ aber auf eine/ diesem/ und
seiner allgemeinen beschaffenheit gemässe art/ davon ich in meinen Catech. fragen
qv. 161. meine gedancken kurtz erklähret habe. Wo wir auch das gebot nicht auß-
trucklich hätten/ würde uns doch die nothwendigkeit der sache selbst und des zwecks
dahin verbinden/ wir haben je nichts guthes von natur an uns/ seynd ohne göttliche
erkäntnüß und krafft/ soll also etwas gutes in uns gewircket werden/ so muß es
GOtt thun/ der will solches durch das wort und Sacramenta würcken/ aber nicht
in einem augenblick ein-für allemahl/ sondern es müssen solche fleißig gebraucht und
und erwogen werden; wann aber zu dero würckung nöthig ist/ daß der mensch muß
seyn gemüth frey halten/ und um solche zeit nicht mit andern sorgen und geschäfften
verwickelt seyn/ so bedurffen wir je einer zeit/ darinn wir frey seyn/ und uns allein
göttlicher würckung überlassen/ in dem wir seine gnaden-mittel behandlen/ wel-
ches gewißlich nicht mit der verlangten krafft um die zeit geschehen kan/ da wir von

allen
Kkk 3

ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO XXVI.
dahin zurichten/ daß jeglicher der deſſelben beduͤrfftig iſt/ ſein habhafft werden moͤ-
ge/ ob ihm wol die wiſſenſchafft nicht mitgetheilet wird/ jedoch auch alſo/ daß der
beſitzer ſolcher kunſt ſie nicht mit ſich erſterben laſſe/ ſondern die medicamenta alſo
ſchaͤtze/ daß die deſſen benoͤthigte wider Chriſtliche lieb nicht beſchwehret werden:
daß er aber bloſſer dings in publico ſeine kunſt offenbahren muͤſſe/ und keine ergoͤtz-
lichkeit in der welt vor das jenige nehmen doͤrffe/ was ihm GOtt gegeben/ ſehe ich
noch keine buͤndige urſach; Wol aber daß er ſeine gabe in hertzlicher liebe anwen-
de.

Uber das wort ἐπιου´σιος bekenne daß ich nicht einerley meinung ſeyn kan;
wo es von ἐπὶ und ου᾽σία kaͤme/ muͤſte es nicht ἐπιου´σιος ſonder ἐπου´σιος heiſſen/
gleich wie ἐπουράνιος von ἐπὶ und οὐρανὸς· allſo heiſſets ἐπουσιώδης ad ſubſtanti-
am accedens.
ἔπειμι, nicht ἐπιουσιώδης, ἐπίειμι. ꝛc. verbleibe alſo lieber dabey/
daß es ſeye ὁ ἄρτος τής ἐπιου´σης diei inſequentis. So kan nicht wol ſehen/
daß wir hierinn die nahrung der ſeelen und das geiſtliche begehren/ dann ſolche
ſtecket ſch[o]n voͤllig in der zweyten bitte/ daß es einer wiederholung nicht noͤthig iſt;
jedoch laſſe einem jeglichen hierinn auch ſeine guthe gedancken/ nur daß die bitte um
das leibliche nicht ausgeſchloſſen werde; Dann ob wol dieſes das geringſte unter
denen dingen iſt/ die wir von GOtt zu bitten beduͤrffen/ ſo iſts gleichwol auch eine
ſache/ die wir taͤglich von GOTT empfangen/ und alſo wuͤrdig/ daß er darum ge-
beten werde.

Die klage uͤber die Buchhaͤndler iſt auch gantz gerecht/ aber vielleicht auch
eben derſelben/ und Buchtrucker/ unrecht/ da ſie ſolche kunſt und die daraus getru-
ckte buͤcher nicht vornemlich zu dem hauptzweck nemlich goͤttlicher ehre und des
nechſten nutzen anwenden/ eine urſach/ das faſt unter allen handlungen dieſelbe am
meiſten in das ſtecken gerathen anfaͤngt.

Die Sabbathsfeyer anlangend/ bleibet freylich dabey/ daß wir noch das
geboth derſelben in dem Neuen Teſtament uͤbrig haben/ aber auf eine/ dieſem/ uñ
ſeiner allgemeinen beſchaffenheit gemaͤſſe art/ davon ich in meinen Catech. fragen
qv. 161. meine gedancken kurtz erklaͤhret habe. Wo wir auch das gebot nicht auß-
trucklich haͤtten/ wuͤrde uns doch die nothwendigkeit der ſache ſelbſt und des zwecks
dahin verbinden/ wir haben je nichts guthes von natur an uns/ ſeynd ohne goͤttliche
erkaͤntnuͤß und krafft/ ſoll alſo etwas gutes in uns gewircket werden/ ſo muß es
GOtt thun/ der will ſolches durch das wort und Sacramenta wuͤrcken/ aber nicht
in einem augenblick ein-fuͤr allemahl/ ſondern es muͤſſen ſolche fleißig gebraucht und
und erwogen werden; wann aber zu dero wuͤrckung noͤthig iſt/ daß der menſch muß
ſeyn gemuͤth frey halten/ und um ſolche zeit nicht mit andern ſorgen und geſchaͤfften
verwickelt ſeyn/ ſo bedurffen wir je einer zeit/ darinn wir frey ſeyn/ und uns allein
goͤttlicher wuͤrckung uͤberlaſſen/ in dem wir ſeine gnaden-mittel behandlen/ wel-
ches gewißlich nicht mit der verlangten krafft um die zeit geſchehen kan/ da wir von

allen
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[445/0463] ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO XXVI. dahin zurichten/ daß jeglicher der deſſelben beduͤrfftig iſt/ ſein habhafft werden moͤ- ge/ ob ihm wol die wiſſenſchafft nicht mitgetheilet wird/ jedoch auch alſo/ daß der beſitzer ſolcher kunſt ſie nicht mit ſich erſterben laſſe/ ſondern die medicamenta alſo ſchaͤtze/ daß die deſſen benoͤthigte wider Chriſtliche lieb nicht beſchwehret werden: daß er aber bloſſer dings in publico ſeine kunſt offenbahren muͤſſe/ und keine ergoͤtz- lichkeit in der welt vor das jenige nehmen doͤrffe/ was ihm GOtt gegeben/ ſehe ich noch keine buͤndige urſach; Wol aber daß er ſeine gabe in hertzlicher liebe anwen- de. Uber das wort ἐπιου´σιος bekenne daß ich nicht einerley meinung ſeyn kan; wo es von ἐπὶ und ου᾽σία kaͤme/ muͤſte es nicht ἐπιου´σιος ſonder ἐπου´σιος heiſſen/ gleich wie ἐπουράνιος von ἐπὶ und οὐρανὸς· allſo heiſſets ἐπουσιώδης ad ſubſtanti- am accedens. ἔπειμι, nicht ἐπιουσιώδης, ἐπίειμι. ꝛc. verbleibe alſo lieber dabey/ daß es ſeye ὁ ἄρτος τής ἐπιου´σης diei inſequentis. So kan nicht wol ſehen/ daß wir hierinn die nahrung der ſeelen und das geiſtliche begehren/ dann ſolche ſtecket ſchon voͤllig in der zweyten bitte/ daß es einer wiederholung nicht noͤthig iſt; jedoch laſſe einem jeglichen hierinn auch ſeine guthe gedancken/ nur daß die bitte um das leibliche nicht ausgeſchloſſen werde; Dann ob wol dieſes das geringſte unter denen dingen iſt/ die wir von GOtt zu bitten beduͤrffen/ ſo iſts gleichwol auch eine ſache/ die wir taͤglich von GOTT empfangen/ und alſo wuͤrdig/ daß er darum ge- beten werde. Die klage uͤber die Buchhaͤndler iſt auch gantz gerecht/ aber vielleicht auch eben derſelben/ und Buchtrucker/ unrecht/ da ſie ſolche kunſt und die daraus getru- ckte buͤcher nicht vornemlich zu dem hauptzweck nemlich goͤttlicher ehre und des nechſten nutzen anwenden/ eine urſach/ das faſt unter allen handlungen dieſelbe am meiſten in das ſtecken gerathen anfaͤngt. Die Sabbathsfeyer anlangend/ bleibet freylich dabey/ daß wir noch das geboth derſelben in dem Neuen Teſtament uͤbrig haben/ aber auf eine/ dieſem/ uñ ſeiner allgemeinen beſchaffenheit gemaͤſſe art/ davon ich in meinen Catech. fragen qv. 161. meine gedancken kurtz erklaͤhret habe. Wo wir auch das gebot nicht auß- trucklich haͤtten/ wuͤrde uns doch die nothwendigkeit der ſache ſelbſt und des zwecks dahin verbinden/ wir haben je nichts guthes von natur an uns/ ſeynd ohne goͤttliche erkaͤntnuͤß und krafft/ ſoll alſo etwas gutes in uns gewircket werden/ ſo muß es GOtt thun/ der will ſolches durch das wort und Sacramenta wuͤrcken/ aber nicht in einem augenblick ein-fuͤr allemahl/ ſondern es muͤſſen ſolche fleißig gebraucht und und erwogen werden; wann aber zu dero wuͤrckung noͤthig iſt/ daß der menſch muß ſeyn gemuͤth frey halten/ und um ſolche zeit nicht mit andern ſorgen und geſchaͤfften verwickelt ſeyn/ ſo bedurffen wir je einer zeit/ darinn wir frey ſeyn/ und uns allein goͤttlicher wuͤrckung uͤberlaſſen/ in dem wir ſeine gnaden-mittel behandlen/ wel- ches gewißlich nicht mit der verlangten krafft um die zeit geſchehen kan/ da wir von allen Kkk 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/463>, abgerufen am 22.11.2024.