Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.Das sechste Capitel. gesamt in dem gemeinen leben geschehen soll/ also auch wo man von eines lehrersund scribenten lehr und schrifften zu urtheilen hat/ solle billich diese regel allemal zu förderst vor augen stehen/ daß gleich wie auff einer seiten nicht wieder die christ- liche warheit/ also anderseits nicht wider die christliche liebe gesündiget werde. Ja es ist unmüglich daß nicht auch wider die warheit gefehlet werde/ wo nicht die christliche liebe der jenigen gemüther regieret welche urtheilen sollen/ und wegen mangel derselben/ aus ungnugsamen ursachen undvermuthungen einen üblern ver- stand in eines mannes worten würden vermeinen gefunden zuhaben; Aber eben damit des wahren und von ihme intendirten verstandes verfehleten. Wann denn uns über Herr Johann Melchior Stengern Diaconi zu Erf- Wir finden aber zum allerfördersten/ ehe noch zur sache selbst geschritten Nicht ob könten sonsten rechtgläubige nicht zuweilen sich auch mit irrthum etwas
Das ſechſte Capitel. geſamt in dem gemeinen leben geſchehen ſoll/ alſo auch wo man von eines lehrersund ſcribenten lehr und ſchrifften zu urtheilen hat/ ſolle billich dieſe regel allemal zu foͤrderſt vor augen ſtehen/ daß gleich wie auff einer ſeiten nicht wieder die chriſt- liche warheit/ alſo anderſeits nicht wider die chriſtliche liebe geſuͤndiget werde. Ja es iſt unmuͤglich daß nicht auch wider die warheit gefehlet werde/ wo nicht die chriſtliche liebe der jenigen gemuͤther regieret welche urtheilen ſollen/ und wegen mangel derſelben/ aus ungnugſamen urſachen undvermuthungen einen uͤblern ver- ſtand in eines mannes worten wuͤrden vermeinen gefunden zuhaben; Aber eben damit des wahren und von ihme intendirten verſtandes verfehleten. Wann denn uns uͤber Herr Johann Melchior Stengern Diaconi zu Erf- Wir finden aber zum allerfoͤrderſten/ ehe noch zur ſache ſelbſt geſchritten Nicht ob koͤnten ſonſten rechtglaͤubige nicht zuweilen ſich auch mit irrthum etwas
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Das ſechſte Capitel.
geſamt in dem gemeinen leben geſchehen ſoll/ alſo auch wo man von eines lehrers
und ſcribenten lehr und ſchrifften zu urtheilen hat/ ſolle billich dieſe regel allemal
zu foͤrderſt vor augen ſtehen/ daß gleich wie auff einer ſeiten nicht wieder die chriſt-
liche warheit/ alſo anderſeits nicht wider die chriſtliche liebe geſuͤndiget werde. Ja
es iſt unmuͤglich daß nicht auch wider die warheit gefehlet werde/ wo nicht die
chriſtliche liebe der jenigen gemuͤther regieret welche urtheilen ſollen/ und wegen
mangel derſelben/ aus ungnugſamen urſachen undvermuthungen einen uͤblern ver-
ſtand in eines mannes worten wuͤrden vermeinen gefunden zuhaben; Aber eben
damit des wahren und von ihme intendirten verſtandes verfehleten.
Wann denn uns uͤber Herr Johann Melchior Stengern Diaconi zu Erf-
furt zwey ſcripta, nemlich das buch der Bußpredigten/ und Einſchaͤrffung zweyer
puncten, unſere meynung zugeben von den jenigen ſo ſolches zu begehren fug ha-
ben/ zugemuthet worden/ wir auch aus allgemeiner pflicht der kirchen beſtes aller
orten nach vermoͤgen zubefoͤrdern/ ſothanen chriſtlichen begehren ſtatt zu geben
uns verbunden achten/ ſo ſetzen wir uns billig in wahrer furcht GOttes zum aller
forderſten die angedeutete regul vor augen/ auff daß wir (wie es ſich ſonſt ohne das
in allem/ ohne menſchliche und privat affecten/ in dergleichen heiligen und der kir-
chen ruh mercklich betreffenden werck zuverfahren geziemet) ſo wohl insgeſamt ge-
wiſſenhafft und bedaͤchtlich/ als die dem jenigen/ deſſen ſache es ſelbs und er der
hertzenskuͤndiger iſt/ deßwegen rechenſchafft geben muͤſſen/ das vorgelegte
erwegen/ und dannenher ſonderlich niemanden/ wider chriſtliche liebe eini-
ges auffbuͤrden moͤgten/ ſo deſſelben meinung nicht waͤre/ und wir nach reiffer
erwegung/ aus gnugſamen umſtaͤnden/ daß ein beſſerer verſtand in einigen
worten zu ſuchen ſey/ uns uͤberzeugt befinden: Hingegen auch ohngeſcheut was
wir irrig erkennen andeuten/ und gegen der regul der geſunden glaubens lehre
halten. Dazu wir uns bey chriſtlichem dieſem vorſatz/ des goͤttlichen beyſtandes/
den wir demuͤthig darum erſucht/ mit glaubigen vertrauen gewiß verſehen/ und
nochmals erſuchen.
Wir finden aber zum allerfoͤrderſten/ ehe noch zur ſache ſelbſt geſchritten
werde/ dieſe obſervation, und anmerckung hoͤchſtnothwendig: Daß gemeinig-
lich die betrachtung des jenigen der eine ſache redet oder ſchreibet/ zu dem ver-
ſtand deſſelben viel thue/ und dahero ein groſſer unterſcheid ſey/ nachdem jemand
etwas geredet oder geſchrieben.
Nicht ob koͤnten ſonſten rechtglaͤubige nicht zuweilen ſich auch mit irrthum
verſtoſſen/ und hingegen/ welche ſich zu falſcher religion bekennen/ zuweilen etwas
wahres lehren und ſchreiben; Oder aber muͤſten als dann allezeit jene irrthume des
wegen gebilliget/ und aus anſehen der perſon vor warheiten angenommen; Dieſer zu
weilen nicht falſche ſaͤtze aber um ihrent willen verworffen werden. Sondern dar-
zu dienet ſolche anmerckung/ daß wo etwa die worte und redensarten eines lehrers
etwas
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Zitationshilfe: | Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/34>, abgerufen am 03.07.2024. |