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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. II. SECTIO XXV.
eine gesunde/ einem andern eine stäts kränckliche natur und beyderley nicht ohne
wichtige ursachen gegeben/ wie er auch die temperamenta des menschen/ so
sich nicht nur in dem leibe zeigen/ sondern vieles auch in dem gemüth würcken/
unterschieden geschaffen hat: da wir auch finden werden/ daß eben in dieser sache
das menschliche temperament sehr vieles hiebey mit dazu thue: wie dann bey
denen/ welche mit geistlichen anfechtungen und mangel der empfindlichkelt geplagt
werden/ sich grossen theils ein solches temperament finden wird/ welches na-
türlicher weise zu einer schwehrmuth und sorgsamen oder zweiffelhaffter überlegung
alles anligens geneigt ist. Welches ich gar nicht dahin meyne/ als wann das
temperament die einige vornehmste ursache und alle dergleichen ansechtungen
in sich nichts anders als miltz-schwachheiten und dero aussteigende dünste wären.
Sondern dieses allein sage ich/ daß sich GOtt der natur dabey gebrauche; wie
zum exempel der heilige Geist auch bey denen unmitelbahr von ihm erleuchteten
männern vieles ihres natürlichen/ stylum, phrasin und solche einige characte-
res animi naturales,
gelassen/ und in seiner inspiration sich nach denselben
accommodiret hat/ aber also/ daß nichts destoweniger seine erleuchtung das
haupt-werck und meisterin der natur wäre. Ja weil GOtt auch nicht ungefehr
lässet solche temperamenten unterschieden seyn/ diesem dieses/ einem andern
ein anders/ gibet/ sondern auch solche austheilung nach seinem rath anstellet/ so
glauben wir billich/ daß also je nachdem er auf einem oder andern pfad jeden zu
führen weißlich bestimmet/ er ihm auch nachmal ein solches temperament er-
theilet habe/ welches dazu das beqvemste ist. Alsdann handelt er auch mit ihnen
nach demselben/ daß wir offt alles vor blosse wirckung des temperaments achten
solten/ und ist doch wahrhafftig GOttes gnaden-werck in demselben. Es kan
aber zuweilen auch geschehen/ daß der mensch aus eigener schuld einiges an
seinem temperament verderbet/ als wo man aus ungedult eusserlicher trübsa-
len sich erstlich/ da mans wol lassen können/ in eine schwehrmuth gibet/ und nach-
mal die natur dermassen niedergeschlagen wird/ daß das gantze temperament
sich gleichsam ändert. Wo alsdann solche leute zwahr ihre eigene schuld erken-
nen müssen/ daß sie sich selbst dadurch zu einiger göttlichen trost-wirckung unge-
schickter gemacht/ daher auch desto gedultiger und ohne murren als gegen sich selbst
tragen sollen/ aber wiederum dabey zu erkennen/ es sey auch solcher ihr sehler nicht
ohne göttlichen rath geschehen/ der sie hinkünfftig in einem zwahr beschwehrlichern
zustand ihr leben zubringen lassen wolle/ indessen aber doch die gnade/ die ihnen in
demselben nöthig/ nicht versagen werde. Weil also die wege GOttes so unter-
schiedlich sind/ so werden wir auch bey der hellesten vortragung des Evangelii fin-
den/ daß zwahr einige dadurch zu einem solchen empfindlichen glauben kommen/

der

ARTIC. II. SECTIO XXV.
eine geſunde/ einem andern eine ſtaͤts kraͤnckliche natur und beyderley nicht ohne
wichtige urſachen gegeben/ wie er auch die temperamenta des menſchen/ ſo
ſich nicht nur in dem leibe zeigen/ ſondern vieles auch in dem gemuͤth wuͤrcken/
unterſchieden geſchaffen hat: da wir auch finden werden/ daß eben in dieſer ſache
das menſchliche temperament ſehr vieles hiebey mit dazu thue: wie dann bey
denen/ welche mit geiſtlichen anfechtungen und mangel der empfindlichkelt geplagt
werden/ ſich groſſen theils ein ſolches temperament finden wird/ welches na-
tuͤrlicher weiſe zu einer ſchwehrmuth und ſorgſamen oder zweiffelhaffter uͤberlegung
alles anligens geneigt iſt. Welches ich gar nicht dahin meyne/ als wann das
temperament die einige vornehmſte urſache und alle dergleichen anſechtungen
in ſich nichts anders als miltz-ſchwachheiten und dero auſſteigende duͤnſte waͤren.
Sondern dieſes allein ſage ich/ daß ſich GOtt der natur dabey gebrauche; wie
zum exempel der heilige Geiſt auch bey denen unmitelbahr von ihm erleuchteten
maͤnnern vieles ihres natuͤrlichen/ ſtylum, phraſin und ſolche einige characte-
res animi naturales,
gelaſſen/ und in ſeiner inſpiration ſich nach denſelben
accommodiret hat/ aber alſo/ daß nichts deſtoweniger ſeine erleuchtung das
haupt-werck und meiſterin der natur waͤre. Ja weil GOtt auch nicht ungefehr
laͤſſet ſolche temperamenten unterſchieden ſeyn/ dieſem dieſes/ einem andern
ein anders/ gibet/ ſondern auch ſolche austheilung nach ſeinem rath anſtellet/ ſo
glauben wir billich/ daß alſo je nachdem er auf einem oder andern pfad jeden zu
fuͤhren weißlich beſtimmet/ er ihm auch nachmal ein ſolches temperament er-
theilet habe/ welches dazu das beqvemſte iſt. Alsdann handelt er auch mit ihnen
nach demſelben/ daß wir offt alles vor bloſſe wirckung des temperaments achten
ſolten/ und iſt doch wahrhafftig GOttes gnaden-werck in demſelben. Es kan
aber zuweilen auch geſchehen/ daß der menſch aus eigener ſchuld einiges an
ſeinem temperament verderbet/ als wo man aus ungedult euſſerlicher truͤbſa-
len ſich erſtlich/ da mans wol laſſen koͤnnen/ in eine ſchwehrmuth gibet/ und nach-
mal die natur dermaſſen niedergeſchlagen wird/ daß das gantze temperament
ſich gleichſam aͤndert. Wo alsdann ſolche leute zwahr ihre eigene ſchuld erken-
nen muͤſſen/ daß ſie ſich ſelbſt dadurch zu einiger goͤttlichen troſt-wirckung unge-
ſchickter gemacht/ daher auch deſto gedultiger und ohne murren als gegen ſich ſelbſt
tragen ſollen/ aber wiederum dabey zu erkennen/ es ſey auch ſolcher ihr ſehler nicht
ohne goͤttlichen rath geſchehen/ der ſie hinkuͤnfftig in einem zwahr beſchwehrlichern
zuſtand ihr leben zubringen laſſen wolle/ indeſſen aber doch die gnade/ die ihnen in
demſelben noͤthig/ nicht verſagen werde. Weil alſo die wege GOttes ſo unter-
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den/ daß zwahr einige dadurch zu einem ſolchen empfindlichen glauben kommen/

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[807/0815] ARTIC. II. SECTIO XXV. eine geſunde/ einem andern eine ſtaͤts kraͤnckliche natur und beyderley nicht ohne wichtige urſachen gegeben/ wie er auch die temperamenta des menſchen/ ſo ſich nicht nur in dem leibe zeigen/ ſondern vieles auch in dem gemuͤth wuͤrcken/ unterſchieden geſchaffen hat: da wir auch finden werden/ daß eben in dieſer ſache das menſchliche temperament ſehr vieles hiebey mit dazu thue: wie dann bey denen/ welche mit geiſtlichen anfechtungen und mangel der empfindlichkelt geplagt werden/ ſich groſſen theils ein ſolches temperament finden wird/ welches na- tuͤrlicher weiſe zu einer ſchwehrmuth und ſorgſamen oder zweiffelhaffter uͤberlegung alles anligens geneigt iſt. Welches ich gar nicht dahin meyne/ als wann das temperament die einige vornehmſte urſache und alle dergleichen anſechtungen in ſich nichts anders als miltz-ſchwachheiten und dero auſſteigende duͤnſte waͤren. Sondern dieſes allein ſage ich/ daß ſich GOtt der natur dabey gebrauche; wie zum exempel der heilige Geiſt auch bey denen unmitelbahr von ihm erleuchteten maͤnnern vieles ihres natuͤrlichen/ ſtylum, phraſin und ſolche einige characte- res animi naturales, gelaſſen/ und in ſeiner inſpiration ſich nach denſelben accommodiret hat/ aber alſo/ daß nichts deſtoweniger ſeine erleuchtung das haupt-werck und meiſterin der natur waͤre. Ja weil GOtt auch nicht ungefehr laͤſſet ſolche temperamenten unterſchieden ſeyn/ dieſem dieſes/ einem andern ein anders/ gibet/ ſondern auch ſolche austheilung nach ſeinem rath anſtellet/ ſo glauben wir billich/ daß alſo je nachdem er auf einem oder andern pfad jeden zu fuͤhren weißlich beſtimmet/ er ihm auch nachmal ein ſolches temperament er- theilet habe/ welches dazu das beqvemſte iſt. Alsdann handelt er auch mit ihnen nach demſelben/ daß wir offt alles vor bloſſe wirckung des temperaments achten ſolten/ und iſt doch wahrhafftig GOttes gnaden-werck in demſelben. Es kan aber zuweilen auch geſchehen/ daß der menſch aus eigener ſchuld einiges an ſeinem temperament verderbet/ als wo man aus ungedult euſſerlicher truͤbſa- len ſich erſtlich/ da mans wol laſſen koͤnnen/ in eine ſchwehrmuth gibet/ und nach- mal die natur dermaſſen niedergeſchlagen wird/ daß das gantze temperament ſich gleichſam aͤndert. Wo alsdann ſolche leute zwahr ihre eigene ſchuld erken- nen muͤſſen/ daß ſie ſich ſelbſt dadurch zu einiger goͤttlichen troſt-wirckung unge- ſchickter gemacht/ daher auch deſto gedultiger und ohne murren als gegen ſich ſelbſt tragen ſollen/ aber wiederum dabey zu erkennen/ es ſey auch ſolcher ihr ſehler nicht ohne goͤttlichen rath geſchehen/ der ſie hinkuͤnfftig in einem zwahr beſchwehrlichern zuſtand ihr leben zubringen laſſen wolle/ indeſſen aber doch die gnade/ die ihnen in demſelben noͤthig/ nicht verſagen werde. Weil alſo die wege GOttes ſo unter- ſchiedlich ſind/ ſo werden wir auch bey der helleſten vortragung des Evangelii fin- den/ daß zwahr einige dadurch zu einem ſolchen empfindlichen glauben kommen/ der

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 807. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/815>, abgerufen am 23.11.2024.