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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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Das fünffte Capitel.
der einen süssen trost bey sich hat/ (nemlich welchender HErr diesen nützlich findet/ u.
ihnen gemeiniglich einige beqvemheit auch in demnatürlichen dazu gegeben.) An-
dere aber ob sie wol wahrhafftig zu dem glauben kommen/ werden von dieser em-
pfindlichkeit abgehalten. Daher ob mein werther bruder einige derjenigen/ welche
hier gewesen und in denen der freudige geist/ dasjenige was er an ihnen wahrge-
nommen/ gewircket/ wo ich nicht leugnen will/ daß es eine frucht der lehre des
Evangelii seye; so sey er hingegen versichert/ daß unter denjenigen/ welche von mir
und meinen Hn. Collegis einerley Evangelische wahrheit hören/ derer abermal
nicht wenige seyen/ welche mit ihm in gleichem spittal ligen/ und dero hertzens-be-
wandnüß er an dem seinigen so abgemahlet hat/ als sie es mit eigenen worten nicht
völliger hätten zu thun vermöcht. Zu der sache nun selber zu gehen/ so sehe/ daß sein
einiges anligen seye/ weil er an seinem glauben zu zweiffeln ursach zu ha-
ben vermeinet.
Nun dieses ist die gemeinste klage der auch GOtt liebster see-
len/ und weiß ich nicht/ ob ich nicht den zustand solcher leute als anderer/ bey wel-
chen sich die empfindlichkeit mehr offenbahret/ nicht zwahr vergnüglicher (denn frey-
lich ists ihnen eine harte probe) aber der endlichen seeligkeit versicherter achten solle;
indem ihre daher entstehende demuth und ängstliche sorge/ sie vor der grösten gefahr
der sicherheit stattlich verwahret. Als viel ich aber aus seinem schreiben seine liebe per-
son und dero innern zustand sehen kan/ weiß ich nicht anders vor GOtt zu urtheilen/
als daß er wahrhafftig in einem glaubigen stande stehe: finde auch dessen so viele
kennzeichen/ die sich bey so vielen nicht in solcher anzahl finden/ von denen doch
eben sowol nicht zweifle. Es ist fast ungemein ein solches gemüth zu finden/ wel-
ches so bald von jugend auf eine solche begierde/ und also erkäntnüß göttlicher gnade/
in sich gehabt/ und auf sein heil acht gegeben/ welches seines gewissens anklage umb
die zeit/ da sonsten meistens wenig daran gedacht wird/ nicht nur gefühlet/ sondern
solche bey sich fruchten lassen; welches seines glaubens schwachheit erkant/ aber
dagegen zu streiten sich beflissen/ und immer eine so stätige begierde gehabt/ sei-
nes GOttes wort fester anhangen zu können: ja bey welchem die begierde nach
dem wahren glauben so beständig und eifferig geblieben/ daß die vermeinte aus-
bleibung der erhörung auff so lang anhaltendes seufftzen und beten/ es dennoch
weder von der fortsetzung des gebets noch übrigem gebrauch der glaubens-mittel
abgezogen/ oder weil es doch verlohrne sache wäre/ den eiffer der gottseligkeit
ausgelöschet/ vielmehr dazu so viel ernstlicher angespohret hat/ daß er deswegen
seine allermeiste sorge seines lebens noch hierauff schläget/ und ihm sein gewissen/
obs ihm die wahrheit des glaubens selbs will in zweiffel ziehen/ auffs we-
nigste die auffrichtigkeit seiner begierde nicht mit einigem schein in zweiffel zie-
hen kan. Alles dieses zusammen genommen (ein anders ists wo man aus
einer einmaligen angeflogener andacht eines verlangen nach göttlicher gnade

und

Das fuͤnffte Capitel.
der einen ſuͤſſen troſt bey ſich hat/ (nemlich welchender HErr dieſen nuͤtzlich findet/ u.
ihnen gemeiniglich einige beqvemheit auch in demnatuͤrlichen dazu gegeben.) An-
dere aber ob ſie wol wahrhafftig zu dem glauben kommen/ werden von dieſer em-
pfindlichkeit abgehalten. Daher ob mein werther bruder einige derjenigen/ welche
hier geweſen und in denen der freudige geiſt/ dasjenige was er an ihnen wahrge-
nommen/ gewircket/ wo ich nicht leugnen will/ daß es eine frucht der lehre des
Evangelii ſeye; ſo ſey er hingegen verſichert/ daß unter denjenigen/ welche von mir
und meinen Hn. Collegis einerley Evangeliſche wahrheit hoͤren/ derer abermal
nicht wenige ſeyen/ welche mit ihm in gleichem ſpittal ligen/ und dero hertzens-be-
wandnuͤß er an dem ſeinigen ſo abgemahlet hat/ als ſie es mit eigenen worten nicht
voͤlliger haͤtten zu thun vermoͤcht. Zu der ſache nun ſelber zu gehen/ ſo ſehe/ daß ſein
einiges anligen ſeye/ weil er an ſeinem glauben zu zweiffeln urſach zu ha-
ben vermeinet.
Nun dieſes iſt die gemeinſte klage der auch GOtt liebſter ſee-
len/ und weiß ich nicht/ ob ich nicht den zuſtand ſolcher leute als anderer/ bey wel-
chen ſich die empfindlichkeit mehr offenbahret/ nicht zwahr vergnuͤglicher (denn frey-
lich iſts ihnen eine harte probe) aber der endlichen ſeeligkeit verſicherter achten ſolle;
indem ihre daher entſtehende demuth und aͤngſtliche ſorge/ ſie vor der groͤſten gefahr
der ſicherheit ſtattlich verwahret. Als viel ich aber aus ſeinem ſchreiben ſeine liebe per-
ſon und dero innern zuſtand ſehen kan/ weiß ich nicht anders vor GOtt zu urtheilen/
als daß er wahrhafftig in einem glaubigen ſtande ſtehe: finde auch deſſen ſo viele
kennzeichen/ die ſich bey ſo vielen nicht in ſolcher anzahl finden/ von denen doch
eben ſowol nicht zweifle. Es iſt faſt ungemein ein ſolches gemuͤth zu finden/ wel-
ches ſo bald von jugend auf eine ſolche begierde/ und alſo erkaͤntnuͤß goͤttlicher gnade/
in ſich gehabt/ und auf ſein heil acht gegeben/ welches ſeines gewiſſens anklage umb
die zeit/ da ſonſten meiſtens wenig daran gedacht wird/ nicht nur gefuͤhlet/ ſondern
ſolche bey ſich fruchten laſſen; welches ſeines glaubens ſchwachheit erkant/ aber
dagegen zu ſtreiten ſich befliſſen/ und immer eine ſo ſtaͤtige begierde gehabt/ ſei-
nes GOttes wort feſter anhangen zu koͤnnen: ja bey welchem die begierde nach
dem wahren glauben ſo beſtaͤndig und eifferig geblieben/ daß die vermeinte aus-
bleibung der erhoͤrung auff ſo lang anhaltendes ſeufftzen und beten/ es dennoch
weder von der fortſetzung des gebets noch uͤbrigem gebrauch der glaubens-mittel
abgezogen/ oder weil es doch verlohrne ſache waͤre/ den eiffer der gottſeligkeit
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ſeine allermeiſte ſorge ſeines lebens noch hierauff ſchlaͤget/ und ihm ſein gewiſſen/
obs ihm die wahrheit des glaubens ſelbs will in zweiffel ziehen/ auffs we-
nigſte die auffrichtigkeit ſeiner begierde nicht mit einigem ſchein in zweiffel zie-
hen kan. Alles dieſes zuſammen genommen (ein anders iſts wo man aus
einer einmaligen angeflogener andacht eines verlangen nach goͤttlicher gnade

und
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[808/0816] Das fuͤnffte Capitel. der einen ſuͤſſen troſt bey ſich hat/ (nemlich welchender HErr dieſen nuͤtzlich findet/ u. ihnen gemeiniglich einige beqvemheit auch in demnatuͤrlichen dazu gegeben.) An- dere aber ob ſie wol wahrhafftig zu dem glauben kommen/ werden von dieſer em- pfindlichkeit abgehalten. Daher ob mein werther bruder einige derjenigen/ welche hier geweſen und in denen der freudige geiſt/ dasjenige was er an ihnen wahrge- nommen/ gewircket/ wo ich nicht leugnen will/ daß es eine frucht der lehre des Evangelii ſeye; ſo ſey er hingegen verſichert/ daß unter denjenigen/ welche von mir und meinen Hn. Collegis einerley Evangeliſche wahrheit hoͤren/ derer abermal nicht wenige ſeyen/ welche mit ihm in gleichem ſpittal ligen/ und dero hertzens-be- wandnuͤß er an dem ſeinigen ſo abgemahlet hat/ als ſie es mit eigenen worten nicht voͤlliger haͤtten zu thun vermoͤcht. Zu der ſache nun ſelber zu gehen/ ſo ſehe/ daß ſein einiges anligen ſeye/ weil er an ſeinem glauben zu zweiffeln urſach zu ha- ben vermeinet. Nun dieſes iſt die gemeinſte klage der auch GOtt liebſter ſee- len/ und weiß ich nicht/ ob ich nicht den zuſtand ſolcher leute als anderer/ bey wel- chen ſich die empfindlichkeit mehr offenbahret/ nicht zwahr vergnuͤglicher (denn frey- lich iſts ihnen eine harte probe) aber der endlichen ſeeligkeit verſicherter achten ſolle; indem ihre daher entſtehende demuth und aͤngſtliche ſorge/ ſie vor der groͤſten gefahr der ſicherheit ſtattlich verwahret. Als viel ich aber aus ſeinem ſchreiben ſeine liebe per- ſon und dero innern zuſtand ſehen kan/ weiß ich nicht anders vor GOtt zu urtheilen/ als daß er wahrhafftig in einem glaubigen ſtande ſtehe: finde auch deſſen ſo viele kennzeichen/ die ſich bey ſo vielen nicht in ſolcher anzahl finden/ von denen doch eben ſowol nicht zweifle. Es iſt faſt ungemein ein ſolches gemuͤth zu finden/ wel- ches ſo bald von jugend auf eine ſolche begierde/ und alſo erkaͤntnuͤß goͤttlicher gnade/ in ſich gehabt/ und auf ſein heil acht gegeben/ welches ſeines gewiſſens anklage umb die zeit/ da ſonſten meiſtens wenig daran gedacht wird/ nicht nur gefuͤhlet/ ſondern ſolche bey ſich fruchten laſſen; welches ſeines glaubens ſchwachheit erkant/ aber dagegen zu ſtreiten ſich befliſſen/ und immer eine ſo ſtaͤtige begierde gehabt/ ſei- nes GOttes wort feſter anhangen zu koͤnnen: ja bey welchem die begierde nach dem wahren glauben ſo beſtaͤndig und eifferig geblieben/ daß die vermeinte aus- bleibung der erhoͤrung auff ſo lang anhaltendes ſeufftzen und beten/ es dennoch weder von der fortſetzung des gebets noch uͤbrigem gebrauch der glaubens-mittel abgezogen/ oder weil es doch verlohrne ſache waͤre/ den eiffer der gottſeligkeit ausgeloͤſchet/ vielmehr dazu ſo viel ernſtlicher angeſpohret hat/ daß er deswegen ſeine allermeiſte ſorge ſeines lebens noch hierauff ſchlaͤget/ und ihm ſein gewiſſen/ obs ihm die wahrheit des glaubens ſelbs will in zweiffel ziehen/ auffs we- nigſte die auffrichtigkeit ſeiner begierde nicht mit einigem ſchein in zweiffel zie- hen kan. Alles dieſes zuſammen genommen (ein anders iſts wo man aus einer einmaligen angeflogener andacht eines verlangen nach goͤttlicher gnade und

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 808. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/816>, abgerufen am 23.11.2024.