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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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SECTIO XIX.
freywillige annehmung nicht verbindet/ und nunmehr durch Christi zu-
kunfft/ endlich auch des jüdischen gemeinen wesens untergang/ auch auff-
gehoben worden. Und ob zwahr möchte angeführet werden/ daß ein
unterscheid zu machen/ unter denjenigen Mosaischen gesetzen/ welche
bloß dahin auf die jüdische republic ihre absicht gehabt/ und dann den-
jenigen/ welche sich auf das zucht-gesetz der zehen gebot beziehen/ zum
exempel dieses von straff der ehebrecher/ welches laster das sechste gebot
verdammet: So finde ich doch solchen unterscheid/ der in dem übrigen
an seinem ort beruhet/ und sonsten seinen nutzen haben mag/ nicht so
bewandt/ daß derentwegen die straffe eines solchen lasters müste noth-
tringlich nach der satzung Mosis gerichtet seyn. Weilen insgesamt die
zehen gebot einige weltliche straffen der sünden/ so sie verbieten/ nicht
bestimmen/ vielmehr denen menschen allein den göttlichen zorn und dar-
aus fliessende straffen nur insgemein antrohen. Daher die bestimmung
der straffen aus anderwertlichen satzungen herzunehmen ist. Warum ich
auch nicht sehe/ daß wir einiges lasters straff also von GOTT bestimmt
haben/ daß davon nicht abgetreten/ oder dieselbe geändert werden möch-
te/ als die straffe des todtschlags/ welche daß sie capital seyn solle/ ich
nicht so wol aus dem Mosaischen policey-gesetz herziehe/ noch auch weil
das laster in dem fünfften gebot verboten seye/ als daraus/ weil GOtt
solche straffe selbs dictirt/ 1. Mos. 9. und solches gesetz allen nachkömlin-
gen Noä/ unter die wir alle gehören/ gegeben. Weswegen auch in kei-
nes menschen macht und hand stehet/ einen schuldigen todtschläger an-
ders zu straffen. Alle übrige laster haben ihre absonderliche straffen nir-
gend auf solche weise ausgetruckt/ daß wir schliessen könten/ daß nach
denselben nothwendig müste gerichtet werden. Unterdessen dienen solche
Mosaische straffen dazu/ daß wo zum exempel GOTT lebens-straff hat
dictiren lassen/ wir daraus erkennen/ daß solches laster so schwehr seye/
daß demjenigen/ der es begangen/ nicht unrecht geschehe/ wo er an dem
leben abgestrafft würde: So dann daß christliche Obrigkeiten/ in dero
macht stehet/ selds gesetze zu machen/ und sie nicht allein von einem hö-
hern annehmen müssen/ nicht unrecht thun/ daß sie gegen dergleichen
laster/ sonderlich wo sie etwa mehr überhand nehmen/ solche Mosaische
straffen einführen/ und vornemlich wo sonderbare umstände dazu kom-
men/ dieselbe also exequiren lassen. Weiter sehe ich nicht/ wie man
mit bestand die Mosaische straffen extendiren oder andern auffbürden
wolte.

2. Ob
K k k k 3

SECTIO XIX.
freywillige annehmung nicht verbindet/ und nunmehr durch Chriſti zu-
kunfft/ endlich auch des juͤdiſchen gemeinen weſens untergang/ auch auff-
gehoben worden. Und ob zwahr moͤchte angefuͤhret werden/ daß ein
unterſcheid zu machen/ unter denjenigen Moſaiſchen geſetzen/ welche
bloß dahin auf die juͤdiſche republic ihre abſicht gehabt/ und dann den-
jenigen/ welche ſich auf das zucht-geſetz der zehen gebot beziehen/ zum
exempel dieſes von ſtraff der ehebrecher/ welches laſter das ſechſte gebot
verdammet: So finde ich doch ſolchen unterſcheid/ der in dem uͤbrigen
an ſeinem ort beruhet/ und ſonſten ſeinen nutzen haben mag/ nicht ſo
bewandt/ daß derentwegen die ſtraffe eines ſolchen laſters muͤſte noth-
tringlich nach der ſatzung Moſis gerichtet ſeyn. Weilen insgeſamt die
zehen gebot einige weltliche ſtraffen der ſuͤnden/ ſo ſie verbieten/ nicht
beſtimmen/ vielmehr denen menſchen allein den goͤttlichen zorn und dar-
aus flieſſende ſtraffen nur insgemein antrohen. Daher die beſtimmung
der ſtraffen aus anderwertlichen ſatzungen herzunehmen iſt. Warum ich
auch nicht ſehe/ daß wir einiges laſters ſtraff alſo von GOTT beſtimmt
haben/ daß davon nicht abgetreten/ oder dieſelbe geaͤndert werden moͤch-
te/ als die ſtraffe des todtſchlags/ welche daß ſie capital ſeyn ſolle/ ich
nicht ſo wol aus dem Moſaiſchen policey-geſetz herziehe/ noch auch weil
das laſter in dem fuͤnfften gebot verboten ſeye/ als daraus/ weil GOtt
ſolche ſtraffe ſelbs dictirt/ 1. Moſ. 9. und ſolches geſetz allen nachkoͤmlin-
gen Noaͤ/ unter die wir alle gehoͤren/ gegeben. Weswegen auch in kei-
nes menſchen macht und hand ſtehet/ einen ſchuldigen todtſchlaͤger an-
ders zu ſtraffen. Alle uͤbrige laſter haben ihre abſonderliche ſtraffen nir-
gend auf ſolche weiſe ausgetruckt/ daß wir ſchlieſſen koͤnten/ daß nach
denſelben nothwendig muͤſte gerichtet werden. Unterdeſſen dienen ſolche
Moſaiſche ſtraffen dazu/ daß wo zum exempel GOTT lebens-ſtraff hat
dictiren laſſen/ wir daraus erkennen/ daß ſolches laſter ſo ſchwehr ſeye/
daß demjenigen/ der es begangen/ nicht unrecht geſchehe/ wo er an dem
leben abgeſtrafft wuͤrde: So dann daß chriſtliche Obrigkeiten/ in dero
macht ſtehet/ ſelds geſetze zu machen/ und ſie nicht allein von einem hoͤ-
hern annehmen muͤſſen/ nicht unrecht thun/ daß ſie gegen dergleichen
laſter/ ſonderlich wo ſie etwa mehr uͤberhand nehmen/ ſolche Moſaiſche
ſtraffen einfuͤhren/ und vornemlich wo ſonderbare umſtaͤnde dazu kom-
men/ dieſelbe alſo exequiren laſſen. Weiter ſehe ich nicht/ wie man
mit beſtand die Moſaiſche ſtraffen extendiren oder andern auffbuͤrden
wolte.

2. Ob
K k k k 3
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[629/0637] SECTIO XIX. freywillige annehmung nicht verbindet/ und nunmehr durch Chriſti zu- kunfft/ endlich auch des juͤdiſchen gemeinen weſens untergang/ auch auff- gehoben worden. Und ob zwahr moͤchte angefuͤhret werden/ daß ein unterſcheid zu machen/ unter denjenigen Moſaiſchen geſetzen/ welche bloß dahin auf die juͤdiſche republic ihre abſicht gehabt/ und dann den- jenigen/ welche ſich auf das zucht-geſetz der zehen gebot beziehen/ zum exempel dieſes von ſtraff der ehebrecher/ welches laſter das ſechſte gebot verdammet: So finde ich doch ſolchen unterſcheid/ der in dem uͤbrigen an ſeinem ort beruhet/ und ſonſten ſeinen nutzen haben mag/ nicht ſo bewandt/ daß derentwegen die ſtraffe eines ſolchen laſters muͤſte noth- tringlich nach der ſatzung Moſis gerichtet ſeyn. Weilen insgeſamt die zehen gebot einige weltliche ſtraffen der ſuͤnden/ ſo ſie verbieten/ nicht beſtimmen/ vielmehr denen menſchen allein den goͤttlichen zorn und dar- aus flieſſende ſtraffen nur insgemein antrohen. Daher die beſtimmung der ſtraffen aus anderwertlichen ſatzungen herzunehmen iſt. Warum ich auch nicht ſehe/ daß wir einiges laſters ſtraff alſo von GOTT beſtimmt haben/ daß davon nicht abgetreten/ oder dieſelbe geaͤndert werden moͤch- te/ als die ſtraffe des todtſchlags/ welche daß ſie capital ſeyn ſolle/ ich nicht ſo wol aus dem Moſaiſchen policey-geſetz herziehe/ noch auch weil das laſter in dem fuͤnfften gebot verboten ſeye/ als daraus/ weil GOtt ſolche ſtraffe ſelbs dictirt/ 1. Moſ. 9. und ſolches geſetz allen nachkoͤmlin- gen Noaͤ/ unter die wir alle gehoͤren/ gegeben. Weswegen auch in kei- nes menſchen macht und hand ſtehet/ einen ſchuldigen todtſchlaͤger an- ders zu ſtraffen. Alle uͤbrige laſter haben ihre abſonderliche ſtraffen nir- gend auf ſolche weiſe ausgetruckt/ daß wir ſchlieſſen koͤnten/ daß nach denſelben nothwendig muͤſte gerichtet werden. Unterdeſſen dienen ſolche Moſaiſche ſtraffen dazu/ daß wo zum exempel GOTT lebens-ſtraff hat dictiren laſſen/ wir daraus erkennen/ daß ſolches laſter ſo ſchwehr ſeye/ daß demjenigen/ der es begangen/ nicht unrecht geſchehe/ wo er an dem leben abgeſtrafft wuͤrde: So dann daß chriſtliche Obrigkeiten/ in dero macht ſtehet/ ſelds geſetze zu machen/ und ſie nicht allein von einem hoͤ- hern annehmen muͤſſen/ nicht unrecht thun/ daß ſie gegen dergleichen laſter/ ſonderlich wo ſie etwa mehr uͤberhand nehmen/ ſolche Moſaiſche ſtraffen einfuͤhren/ und vornemlich wo ſonderbare umſtaͤnde dazu kom- men/ dieſelbe alſo exequiren laſſen. Weiter ſehe ich nicht/ wie man mit beſtand die Moſaiſche ſtraffen extendiren oder andern auffbuͤrden wolte. 2. Ob K k k k 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 629. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/637>, abgerufen am 23.11.2024.