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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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SECTIO VIII.
nen gewiß ist/ daß man nicht sündige. Es lautet die allgemeine regel des
Apostels Pauli Rom. 14/ 23. Was nicht aus glauben gehet/ ist sünde:
Jn welchem haupt-spruch (so zwahr noch weiter gehet) ohnzweiffentlich diese
meinung mit darinn stecket/ welche durch die gantze disputation des Apostels
erwiesen wird/ daß alles dasjenige sünde sey/ wo der mensch nicht eine solche
versicherung seines gewissens habe/ die glauben genennet werden mag/ daß
dasjenige/ was er thut/ nicht unrecht seye. Weßwegen nicht genug ist/ eine
action zu justisiciren/ wo der mensch nicht eben versichert ist/ daß es unrecht
seye/ was er vorhat/ indessen doch zweiffeln muß/ es möchte unrecht seyn. Mas-
sen es schon an sich sünde ist/ sich in die gefahr zu sündigen selbs stecken. Hin-
gegen ist einmal vonnöthen/ wo ich etwas nach geschehener berathschlagung
resolviren will zu thun/ daß ich in meiner seelen eine gewißheit habe/ daß ich
recht daran thue. Wie der angezogene Apostel an dem bedeuteten ort von
dem geniessen der an sich nicht verbotenen speisen lehret/ daß wer auch nur mit
einem zweiffel ässe/ der sey verdammt. Daher in solchem fall entweder ge-
trachtet werden muß/ daß man zu einer völligen beruhigung des gewissens
komme/ und des göttlichen willens versichert werde/ oder man muß den sicher-
sten theil erwehlen/ wo man an göttlichem willen nicht zweiffeln darff: Als
zum exempel in dieser sach/ diese disputirliche ehe unterlassen/ wo wir alsdann
gewiß wissen/ daß wir mit solcher unterlassung nicht s[ü]ndigen. Nun in der
vorhabenden materie/ sihe ich nicht/ wie derjenige/ so eine solche heyrath vor-
hätte/ so weit kommen könte/ daß er mit einer versicherung seines gewissens
sich darauf verlassen möchte/ sondern alles was er zu seinem behuff brauchen
könte/ möchte auffs höchste die sach so weit bringen/ daß er darvor hielte/ das
verbot seye ihm noch nicht deutlich genug dargethan; indessen werden ihn die
oben angeführte fundamenta nimmermehr zu einer ruhe lassen/ ohngezweif-
felt und ohne scrupel zu glauben/ daß er recht thue. Die 3. Mos. 18. zu dem
gebot angehengte wort/ aufdie man sich insgemein bezeucht/ machen denen die
das verbot behaupten etwas zu schaffen/ aber sie geben doch dem andern theil
noch nicht eine solche versicherung/ worauf das gewissen beruhete: Daß eini-
ge so Juristen als Theologi, sonderlich als aus einer gelegenheit zu ende des
vorigen jahrhunderts über eines Juden heyrath der streit entstanden/ für die
erlaubnüß gestanden/ und noch etzliche dafür stehen mögen/ mag als eine
menschliche autorität abermal dem gewissen nicht genug thun/ so vielmehr/
weil hingegen die fast allgemeinste übriger vornehmster unserer Theologo-
rum
lehr für das verbot stehet/ und wo das gewissen in jenen suffragiis ruhe
suchen wolte/ solche ruhe ihm nicht lassen würde. Also daß ich nach allem er-
messen nicht sehen kan/ wie eine person von gutem verstand/ welche die mo-
menta controversiae
zu erwegen vermag/ und auch mit gehörigem fleiß solche

un-
Y y y 3

SECTIO VIII.
nen gewiß iſt/ daß man nicht ſuͤndige. Es lautet die allgemeine regel des
Apoſtels Pauli Rom. 14/ 23. Was nicht aus glauben gehet/ iſt ſuͤnde:
Jn welchem haupt-ſpruch (ſo zwahr noch weiter gehet) ohnzweiffentlich dieſe
meinung mit darinn ſtecket/ welche durch die gantze diſputation des Apoſtels
erwieſen wird/ daß alles dasjenige ſuͤnde ſey/ wo der menſch nicht eine ſolche
verſicherung ſeines gewiſſens habe/ die glauben genennet werden mag/ daß
dasjenige/ was er thut/ nicht unrecht ſeye. Weßwegen nicht genug iſt/ eine
action zu juſtiſiciren/ wo der menſch nicht eben verſichert iſt/ daß es unrecht
ſeye/ was er vorhat/ indeſſen doch zweiffeln muß/ es moͤchte unrecht ſeyn. Maſ-
ſen es ſchon an ſich ſuͤnde iſt/ ſich in die gefahr zu ſuͤndigen ſelbs ſtecken. Hin-
gegen iſt einmal vonnoͤthen/ wo ich etwas nach geſchehener berathſchlagung
reſolviren will zu thun/ daß ich in meiner ſeelen eine gewißheit habe/ daß ich
recht daran thue. Wie der angezogene Apoſtel an dem bedeuteten ort von
dem genieſſen der an ſich nicht verbotenen ſpeiſen lehret/ daß wer auch nur mit
einem zweiffel aͤſſe/ der ſey verdammt. Daher in ſolchem fall entweder ge-
trachtet werden muß/ daß man zu einer voͤlligen beruhigung des gewiſſens
komme/ und des goͤttlichen willens verſichert werde/ oder man muß den ſicher-
ſten theil erwehlen/ wo man an goͤttlichem willen nicht zweiffeln darff: Als
zum exempel in dieſer ſach/ dieſe diſputirliche ehe unterlaſſen/ wo wir alsdann
gewiß wiſſen/ daß wir mit ſolcher unterlaſſung nicht ſ[uͤ]ndigen. Nun in der
vorhabenden materie/ ſihe ich nicht/ wie derjenige/ ſo eine ſolche heyrath vor-
haͤtte/ ſo weit kommen koͤnte/ daß er mit einer verſicherung ſeines gewiſſens
ſich darauf verlaſſen moͤchte/ ſondern alles was er zu ſeinem behuff brauchen
koͤnte/ moͤchte auffs hoͤchſte die ſach ſo weit bringen/ daß er darvor hielte/ das
verbot ſeye ihm noch nicht deutlich genug dargethan; indeſſen werden ihn die
oben angefuͤhrte fundamenta nimmermehr zu einer ruhe laſſen/ ohngezweif-
felt und ohne ſcrupel zu glauben/ daß er recht thue. Die 3. Moſ. 18. zu dem
gebot angehengte wort/ aufdie man ſich insgemein bezeucht/ machen denẽ die
das verbot behaupten etwas zu ſchaffen/ aber ſie geben doch dem andern theil
noch nicht eine ſolche verſicherung/ worauf das gewiſſen beruhete: Daß eini-
ge ſo Juriſten als Theologi, ſonderlich als aus einer gelegenheit zu ende des
vorigen jahrhunderts uͤber eines Juden heyrath der ſtreit entſtanden/ fuͤr die
erlaubnuͤß geſtanden/ und noch etzliche dafuͤr ſtehen moͤgen/ mag als eine
menſchliche autoritaͤt abermal dem gewiſſen nicht genug thun/ ſo vielmehr/
weil hingegen die faſt allgemeinſte uͤbriger vornehmſter unſerer Theologo-
rum
lehr fuͤr das verbot ſtehet/ und wo das gewiſſen in jenen ſuffragiis ruhe
ſuchen wolte/ ſolche ruhe ihm nicht laſſen wuͤrde. Alſo daß ich nach allem er-
meſſen nicht ſehen kan/ wie eine perſon von gutem verſtand/ welche die mo-
menta controverſiæ
zu erwegen vermag/ und auch mit gehoͤrigem fleiß ſolche

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[541/0549] SECTIO VIII. nen gewiß iſt/ daß man nicht ſuͤndige. Es lautet die allgemeine regel des Apoſtels Pauli Rom. 14/ 23. Was nicht aus glauben gehet/ iſt ſuͤnde: Jn welchem haupt-ſpruch (ſo zwahr noch weiter gehet) ohnzweiffentlich dieſe meinung mit darinn ſtecket/ welche durch die gantze diſputation des Apoſtels erwieſen wird/ daß alles dasjenige ſuͤnde ſey/ wo der menſch nicht eine ſolche verſicherung ſeines gewiſſens habe/ die glauben genennet werden mag/ daß dasjenige/ was er thut/ nicht unrecht ſeye. Weßwegen nicht genug iſt/ eine action zu juſtiſiciren/ wo der menſch nicht eben verſichert iſt/ daß es unrecht ſeye/ was er vorhat/ indeſſen doch zweiffeln muß/ es moͤchte unrecht ſeyn. Maſ- ſen es ſchon an ſich ſuͤnde iſt/ ſich in die gefahr zu ſuͤndigen ſelbs ſtecken. Hin- gegen iſt einmal vonnoͤthen/ wo ich etwas nach geſchehener berathſchlagung reſolviren will zu thun/ daß ich in meiner ſeelen eine gewißheit habe/ daß ich recht daran thue. Wie der angezogene Apoſtel an dem bedeuteten ort von dem genieſſen der an ſich nicht verbotenen ſpeiſen lehret/ daß wer auch nur mit einem zweiffel aͤſſe/ der ſey verdammt. Daher in ſolchem fall entweder ge- trachtet werden muß/ daß man zu einer voͤlligen beruhigung des gewiſſens komme/ und des goͤttlichen willens verſichert werde/ oder man muß den ſicher- ſten theil erwehlen/ wo man an goͤttlichem willen nicht zweiffeln darff: Als zum exempel in dieſer ſach/ dieſe diſputirliche ehe unterlaſſen/ wo wir alsdann gewiß wiſſen/ daß wir mit ſolcher unterlaſſung nicht ſuͤndigen. Nun in der vorhabenden materie/ ſihe ich nicht/ wie derjenige/ ſo eine ſolche heyrath vor- haͤtte/ ſo weit kommen koͤnte/ daß er mit einer verſicherung ſeines gewiſſens ſich darauf verlaſſen moͤchte/ ſondern alles was er zu ſeinem behuff brauchen koͤnte/ moͤchte auffs hoͤchſte die ſach ſo weit bringen/ daß er darvor hielte/ das verbot ſeye ihm noch nicht deutlich genug dargethan; indeſſen werden ihn die oben angefuͤhrte fundamenta nimmermehr zu einer ruhe laſſen/ ohngezweif- felt und ohne ſcrupel zu glauben/ daß er recht thue. Die 3. Moſ. 18. zu dem gebot angehengte wort/ aufdie man ſich insgemein bezeucht/ machen denẽ die das verbot behaupten etwas zu ſchaffen/ aber ſie geben doch dem andern theil noch nicht eine ſolche verſicherung/ worauf das gewiſſen beruhete: Daß eini- ge ſo Juriſten als Theologi, ſonderlich als aus einer gelegenheit zu ende des vorigen jahrhunderts uͤber eines Juden heyrath der ſtreit entſtanden/ fuͤr die erlaubnuͤß geſtanden/ und noch etzliche dafuͤr ſtehen moͤgen/ mag als eine menſchliche autoritaͤt abermal dem gewiſſen nicht genug thun/ ſo vielmehr/ weil hingegen die faſt allgemeinſte uͤbriger vornehmſter unſerer Theologo- rum lehr fuͤr das verbot ſtehet/ und wo das gewiſſen in jenen ſuffragiis ruhe ſuchen wolte/ ſolche ruhe ihm nicht laſſen wuͤrde. Alſo daß ich nach allem er- meſſen nicht ſehen kan/ wie eine perſon von gutem verſtand/ welche die mo- menta controverſiæ zu erwegen vermag/ und auch mit gehoͤrigem fleiß ſolche un- Y y y 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 541. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/549>, abgerufen am 23.11.2024.