Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.SECTIO XIV. so sich fein darinn schicken können/ beygebracht habe: Man könne göttliche ge-bot nicht halten nach der strenge des gesetzes/ wie dasselbe die höchste vollkom- menheit von uns erfordert (nemlich/ daß wir nicht nur nicht sünde thun/ son- dern auch die sünde nicht an uns haben solten) und wir daraus selig werden könten: aber man könne sie halten/ nemlich in der krafft des Heil. Geistes/ nach der gütigkeit und epieikeia des Evangelii/ wie der himmlische vater mit dem auch unvollkommenen aber auffrichtigen gehorsam seiner kinder gedult tragen/ und da sie nach vermögen thun/ um Christi willen ihme solches wol- gefallen und gnädig auffnehmen wolle. Auff diese weise bin versichert/ daß weder der sicherheit (wie bey der blossen verneinung der frag geschihet) auff- geholffen/ noch der reinigkeit des articuls der rechtfertigung (wie von der blossen bejahung zu sorgen ist) eintrag gethan werde. Jch habe auch diese materie dermassen gründlich und weitläufftig/ von der möglichkeit und un- möglichkeit der haltung der gebote in dem 4. Capitel meiner Evangelischen glaubens-gerechtigkeit wider D. Breving aus GOttes wort/ den symboli- schen büchern/ Luthero/ und unsern vornehmsten lehrern ausgeführet/ daß ich hoffe/ niemand werde mit grund etwas darauff zu sagen haben. Jch pfle- ge aber deswegen lieber zu sagen/ daß wir die gebote Gottes in vorigem ver- stande halten/ als das wir das gesetz erfüllen könten/ weil diese letztere re- dens-art alsobald in sich selbs ein vollkommenes halten scheinet zu involvi- ren/ jedoch verwerffe ich auch diese letzte formul der erfüllung des gesetzes/ wo sie recht gefasset wird/ nicht allerdings/ wie auch angeführt/ daß die Apologia der A. C. also redet. 5. Der ort Rom. 8/ 3. 4. sorge ich/ dörffe die sache nicht so gantz aus- 6. Also bleibet der Autor wahrhafftig in seiner assertion, sonderlich weil K 3
SECTIO XIV. ſo ſich fein darinn ſchicken koͤnnen/ beygebracht habe: Man koͤnne goͤttliche ge-bot nicht halten nach der ſtrenge des geſetzes/ wie daſſelbe die hoͤchſte vollkom- menheit von uns erfordert (nemlich/ daß wir nicht nur nicht ſuͤnde thun/ ſon- dern auch die ſuͤnde nicht an uns haben ſolten) und wir daraus ſelig werden koͤnten: aber man koͤnne ſie halten/ nemlich in der krafft des Heil. Geiſtes/ nach der guͤtigkeit und ἐπιεικείᾳ des Evangelii/ wie der himmliſche vater mit dem auch unvollkommenen aber auffrichtigen gehorſam ſeiner kinder gedult tragen/ und da ſie nach vermoͤgen thun/ um Chriſti willen ihme ſolches wol- gefallen und gnaͤdig auffnehmen wolle. Auff dieſe weiſe bin verſichert/ daß weder der ſicherheit (wie bey der bloſſen verneinung der frag geſchihet) auff- geholffen/ noch der reinigkeit des articuls der rechtfertigung (wie von der bloſſen bejahung zu ſorgen iſt) eintrag gethan werde. Jch habe auch dieſe materie dermaſſen gruͤndlich und weitlaͤufftig/ von der moͤglichkeit und un- moͤglichkeit der haltung der gebote in dem 4. Capitel meiner Evangeliſchen glaubens-gerechtigkeit wider D. Breving aus GOttes wort/ den ſymboli- ſchen buͤchern/ Luthero/ und unſern vornehmſten lehrern ausgefuͤhret/ daß ich hoffe/ niemand werde mit grund etwas darauff zu ſagen haben. Jch pfle- ge aber deswegen lieber zu ſagen/ daß wir die gebote Gottes in vorigem ver- ſtande halten/ als das wir das geſetz erfuͤllen koͤnten/ weil dieſe letztere re- dens-art alſobald in ſich ſelbs ein vollkommenes halten ſcheinet zu involvi- ren/ jedoch verwerffe ich auch dieſe letzte formul der erfuͤllung des geſetzes/ wo ſie recht gefaſſet wird/ nicht allerdings/ wie auch angefuͤhrt/ daß die Apologia der A. C. alſo redet. 5. Der ort Rom. 8/ 3. 4. ſorge ich/ doͤrffe die ſache nicht ſo gantz aus- 6. Alſo bleibet der Autor wahrhafftig in ſeiner aſſertion, ſonderlich weil K 3
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SECTIO XIV.
ſo ſich fein darinn ſchicken koͤnnen/ beygebracht habe: Man koͤnne goͤttliche ge-
bot nicht halten nach der ſtrenge des geſetzes/ wie daſſelbe die hoͤchſte vollkom-
menheit von uns erfordert (nemlich/ daß wir nicht nur nicht ſuͤnde thun/ ſon-
dern auch die ſuͤnde nicht an uns haben ſolten) und wir daraus ſelig werden
koͤnten: aber man koͤnne ſie halten/ nemlich in der krafft des Heil. Geiſtes/
nach der guͤtigkeit und ἐπιεικείᾳ des Evangelii/ wie der himmliſche vater mit
dem auch unvollkommenen aber auffrichtigen gehorſam ſeiner kinder gedult
tragen/ und da ſie nach vermoͤgen thun/ um Chriſti willen ihme ſolches wol-
gefallen und gnaͤdig auffnehmen wolle. Auff dieſe weiſe bin verſichert/ daß
weder der ſicherheit (wie bey der bloſſen verneinung der frag geſchihet) auff-
geholffen/ noch der reinigkeit des articuls der rechtfertigung (wie von der
bloſſen bejahung zu ſorgen iſt) eintrag gethan werde. Jch habe auch dieſe
materie dermaſſen gruͤndlich und weitlaͤufftig/ von der moͤglichkeit und un-
moͤglichkeit der haltung der gebote in dem 4. Capitel meiner Evangeliſchen
glaubens-gerechtigkeit wider D. Breving aus GOttes wort/ den ſymboli-
ſchen buͤchern/ Luthero/ und unſern vornehmſten lehrern ausgefuͤhret/ daß
ich hoffe/ niemand werde mit grund etwas darauff zu ſagen haben. Jch pfle-
ge aber deswegen lieber zu ſagen/ daß wir die gebote Gottes in vorigem ver-
ſtande halten/ als das wir das geſetz erfuͤllen koͤnten/ weil dieſe letztere re-
dens-art alſobald in ſich ſelbs ein vollkommenes halten ſcheinet zu involvi-
ren/ jedoch verwerffe ich auch dieſe letzte formul der erfuͤllung des geſetzes/ wo
ſie recht gefaſſet wird/ nicht allerdings/ wie auch angefuͤhrt/ daß die Apologia
der A. C. alſo redet.
5. Der ort Rom. 8/ 3. 4. ſorge ich/ doͤrffe die ſache nicht ſo gantz aus-
machen/ denn das erfuͤllen der gerechtigkeit vom geſetz erfordert/
ſtehet da/ geſchehe in uns/ nicht von uns. Daher ich bekenne/ daß ichs nicht
vornemlich nehme von dem halten des goͤttlichen gebots aus der krafft des
geiſtes/ ſondern von dem erfuͤllen durch den glauben/ welcher das verdienſt
und gnugthuung Chriſti ergreifft/ und uns zueignet. Wie ich dann/ daß
ſolches der rechte verſtand ſeye/ in der angefuͤhrten glaubens-gerechtigkeit
cap. 8. p. 1248. u. f. dermaſſen dargethan zu haben mich verſehe/ daß ein der
wahrheit begieriger leſer mir leicht beyfallen ſolle/ nachdem es eine erfuͤllung
der gerechtigkeit ſeyn muß/ die ſich auff die verdammung der ſuͤnde und be-
nehmung dero rechtens gruͤndet/ darinnen das voͤllige recht des geſetzes er-
fuͤllet wird/ und die allein in uns und nicht von uns geſchihet. Ob nun aber
wol die ſache in dieſem ſpruch nicht gnug gegruͤndet achte/ ſo iſts gnug/ daß
ſie klahr in andern ſpruͤchen/ ſonderlich die aus Johanne angefuͤhret ſind/ ſich
befindet.
6. Alſo bleibet der Autor wahrhafftig in ſeiner aſſertion, ſonderlich
weil
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