Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.Das erste Capitel. §. XXIV. Nechst dem ist nun das haupt-mittel des glaubens das gött- falsch
Das erſte Capitel. §. XXIV. Nechſt dem iſt nun das haupt-mittel des glaubens das goͤtt- falſch
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Das erſte Capitel.
§. XXIV. Nechſt dem iſt nun das haupt-mittel des glaubens das goͤtt-
liche wort/ welches ein ſolcher menſch ſich deſto eiffriger angelegen ſeyn laſſen
muß/ indem daſſelbe recht die wahre artzeney ſeiner kranckheit iſt. Ob
er nun ſolches auch gern anhoͤren ſolle in oͤffentlichen verſamlungen/ da er
dieſelbige haben kan/ und von reinen lehrern/ auch ſo viel an ihm iſt am fleiſ-
ſigſten von ſolchen/ deren leben zeuget/ daß ſie wohnſtaͤtte des H. Geiſtes
ſeyen/ in deſſen liecht ſie das wort ſo viel weißlicher zu uͤberzeugung der
hertzen vortragen/ auch GOtt auff ihr gebet zu ihren predigten ſo viel rei-
chern ſegen gibet: ſo iſt doch das vornehmſte/ daß er ſelbs das wort des le-
bens in der ſchrifft leſe/ als von welchem allein/ nicht aber von der predigt
eines menſchen (die er allemal erſt zu pruͤfen hat/) er verſichert iſt/ daß der-
ſelbe nicht einiges menſchliches und ungewiſſes unter das gute miteingemi-
ſchet habe/ ſondern daß alles die pure goͤttliche wahrheit ſeye. Er hat in der-
ſelben zuforſchen/ indem ſie das liecht iſt/ in welchem wir die goͤttliche wahr-
heit ſehen/ uñ das uns die augen ſelbs zum ſehen oͤffnet/ auch iſt ſie eine krafft/
was ſie uns vorhaͤlt auch in das hertz zu trucken/ zu deſſen uͤberzeugung und
befeſtigung. Er muß ſie aber leſen/ als ein buch/ welches zwahr auch viele euſ-
ſerliche zeugnuͤſſen ſeiner goͤttlichkeit/ als ſeine alte/ die allgemeine uͤberein-
ſtimmung der gantzen/ ob wol ſonſt in ſo viele ſecten zertrennten/ Chriſtlichen
kirchen (zugeſchweigen der zeugnuͤſſen/ die ſie auch in gewiſſer maaß von ſon-
ſten unglaubigen erhalten/ das blut ſo vieler tauſend maͤrtyrer/ die ſeine
wahrheit verſiglet/ die goͤttliche ſorgfalt es gegen alle feinde zuerhalten/ und
was dergleichen mehr ſeyn mag) aber den vornehmſten erweiß in ſich ſelbs
habe/ durch die drein gelegte krafft die hertzen zu uͤberzeugen. Daher die
erwegung jener gruͤnde/ ſonderlich des zeugnuͤſſes der kirchen/ zwahr wol
dienlich iſt/ das gemuͤth ſo vielmehr zu bereiten/ und zu andaͤchtigem leſen
willig zu machen/ aber den glauben ſelbs muß er auff ſolche erweißthume
oder einiges menſchen autoritaͤt nicht gruͤnden/ ſondern ſich des H. Geiſtes
wirckung alſo uͤberlaſſen/ daß deſſen verſieglung der wahre grund ſeines
glaubens werde. Daher muß auch das leſen geſchehen/ wie mit inbruͤn-
ſtigem gebet/ alſo hertzlicher andacht/ und achtgebung ſo wol auff das jeni-
ge was man liſet/ als auch was man darvon in dem hertzen fuͤhlet. Son-
derlich muß es auch geſchehen mit erkaͤntnuͤß unſerer natuͤrlichen verderb-
nuͤß und groſſen unvollkommenheit in dieſem leben/ hingegen der hoheit der
goͤttlichen wahrheiten/ die darinnen ſtehen: Solche betrachtung wircket
nicht allein hertzliche demuth/ und erhaͤlt das hertz in derſelben/ ſondern
verwahret es auch vor vielen anſtoͤßen/ daß es ſich nicht aͤrgere/ da es ſo vie-
les nicht verſtehen kan/ und die urſach nicht der ſchrifft ſondern ſeinem eigen
mangel zu ſchreibe/ oder da ihm dinge darinn vorkommen/ die ihm ſcheinen
falſch
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