als ein derartiger Rhythmus wechselseitigen Sichablösens dar. So lässt sich innerhalb der ökonomischen Wissenschaft das Verhältnis zwischen der historischen und der auf allgemeine Gesetze ausgehenden Methode auffassen. Gewiss ist jeder wirtschaftliche Vorgang nur aus einer be- sonderen historisch-psychologischen Konstellation verständlich her- zuleiten. Allein solche Herleitung geschieht immer unter der Voraus- setzung bestimmter, gesetzmässiger Zusammenhänge; wenn wir nicht oberhalb des einzelnen Falles allgemeine Verhältnisse, durchgängige Triebe, regelmässige Wirkungsreihen zum Grunde legten, so würde es gar keine historische Ableitung geben können, vielmehr das Ganze in ein Chaos atomisierter Vorkommnisse auseinanderfallen. Nun kann man aber weiterhin zugeben, dass jene allgemeinen Gesetzmässigkeiten, die die Verbindung zwischen dem vorliegenden Zustand oder Ereignis und seinen Bedingungen zu knüpfen ermöglichen, auch ihrerseits von höheren Gesetzen abhängen, so dass sie selbst als nur historische Kom- binationen gelten dürfen; zeitlich weiter zurückliegende Ereignisse und Kräfte haben die Dinge um und in uns in Formen gebracht, die, jetzt als allgemein und überhistorisch gültig erscheinend, die zufälligen Elemente der späteren Zeit zu deren besonderen Erscheinungen ge- stalten. Während also diese beiden Methoden, dogmatisch festgelegt und jede für sich die objektive Wahrheit beanspruchend, in einen unversöhnlichen Konflikt und gegenseitige Negation geraten, wird ihnen so in der Form der Alternierung ein organisches Ineinander ermöglicht: jede wird in ein heuristisches Prinzip verwandelt, d. h. von jeder verlangt, dass sie an jedem Punkte ihrer eigenen Anwendung ihre höherinstanzliche Begründung in der anderen suche. Nicht anders steht es mit dem allerallgemeinsten Gegensatz innerhalb unseres Er- kennens: dem zwischen Apriori und Erfahrung. Dass alle Erfahrung ausser ihren sinnlich-rezeptiven Elementen gewisse Formen zeigen muss, die der Seele innewohnen und durch die sie jenes Gegebene überhaupt zu Erkenntnissen gestaltet -- das wissen wir seit Kant. Dieses, gleichsam von uns mitgebrachte Apriori muss deshalb für alle möglichen Erkenntnisse absolut gelten und ist allem Wechsel und aller Korrigierbarkeit der Erfahrung, als sinnlich und zufällig entstandener, entzogen. Aber der Sicherheit, dass es derartige Normen geben muss, entspricht keine ebenso grosse, welche denn es sind. Vieles, was eine Zeit für apriori gehalten hat, ist von einer späteren als empirisches und historisches Gebilde erkannt worden. Wenn also einerseits jeder vorliegenden Erscheinung gegenüber die Aufgabe besteht, in ihr über ihren sinnlich gegebenen Inhalt hinweg die dauernden apriorischen Normen zu suchen, von denen sie geformt ist -- so steht dem die
als ein derartiger Rhythmus wechselseitigen Sichablösens dar. So läſst sich innerhalb der ökonomischen Wissenschaft das Verhältnis zwischen der historischen und der auf allgemeine Gesetze ausgehenden Methode auffassen. Gewiſs ist jeder wirtschaftliche Vorgang nur aus einer be- sonderen historisch-psychologischen Konstellation verständlich her- zuleiten. Allein solche Herleitung geschieht immer unter der Voraus- setzung bestimmter, gesetzmäſsiger Zusammenhänge; wenn wir nicht oberhalb des einzelnen Falles allgemeine Verhältnisse, durchgängige Triebe, regelmäſsige Wirkungsreihen zum Grunde legten, so würde es gar keine historische Ableitung geben können, vielmehr das Ganze in ein Chaos atomisierter Vorkommnisse auseinanderfallen. Nun kann man aber weiterhin zugeben, daſs jene allgemeinen Gesetzmäſsigkeiten, die die Verbindung zwischen dem vorliegenden Zustand oder Ereignis und seinen Bedingungen zu knüpfen ermöglichen, auch ihrerseits von höheren Gesetzen abhängen, so daſs sie selbst als nur historische Kom- binationen gelten dürfen; zeitlich weiter zurückliegende Ereignisse und Kräfte haben die Dinge um und in uns in Formen gebracht, die, jetzt als allgemein und überhistorisch gültig erscheinend, die zufälligen Elemente der späteren Zeit zu deren besonderen Erscheinungen ge- stalten. Während also diese beiden Methoden, dogmatisch festgelegt und jede für sich die objektive Wahrheit beanspruchend, in einen unversöhnlichen Konflikt und gegenseitige Negation geraten, wird ihnen so in der Form der Alternierung ein organisches Ineinander ermöglicht: jede wird in ein heuristisches Prinzip verwandelt, d. h. von jeder verlangt, daſs sie an jedem Punkte ihrer eigenen Anwendung ihre höherinstanzliche Begründung in der anderen suche. Nicht anders steht es mit dem allerallgemeinsten Gegensatz innerhalb unseres Er- kennens: dem zwischen Apriori und Erfahrung. Daſs alle Erfahrung auſser ihren sinnlich-rezeptiven Elementen gewisse Formen zeigen muſs, die der Seele innewohnen und durch die sie jenes Gegebene überhaupt zu Erkenntnissen gestaltet — das wissen wir seit Kant. Dieses, gleichsam von uns mitgebrachte Apriori muſs deshalb für alle möglichen Erkenntnisse absolut gelten und ist allem Wechsel und aller Korrigierbarkeit der Erfahrung, als sinnlich und zufällig entstandener, entzogen. Aber der Sicherheit, daſs es derartige Normen geben muſs, entspricht keine ebenso groſse, welche denn es sind. Vieles, was eine Zeit für apriori gehalten hat, ist von einer späteren als empirisches und historisches Gebilde erkannt worden. Wenn also einerseits jeder vorliegenden Erscheinung gegenüber die Aufgabe besteht, in ihr über ihren sinnlich gegebenen Inhalt hinweg die dauernden apriorischen Normen zu suchen, von denen sie geformt ist — so steht dem die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0095"n="71"/>
als ein derartiger Rhythmus wechselseitigen Sichablösens dar. So läſst<lb/>
sich innerhalb der ökonomischen Wissenschaft das Verhältnis zwischen<lb/>
der historischen und der auf allgemeine Gesetze ausgehenden Methode<lb/>
auffassen. Gewiſs ist jeder wirtschaftliche Vorgang nur aus einer be-<lb/>
sonderen historisch-psychologischen Konstellation verständlich her-<lb/>
zuleiten. Allein solche Herleitung geschieht immer unter der Voraus-<lb/>
setzung bestimmter, gesetzmäſsiger Zusammenhänge; wenn wir nicht<lb/>
oberhalb des einzelnen Falles allgemeine Verhältnisse, durchgängige<lb/>
Triebe, regelmäſsige Wirkungsreihen zum Grunde legten, so würde es<lb/>
gar keine historische Ableitung geben können, vielmehr das Ganze in<lb/>
ein Chaos atomisierter Vorkommnisse auseinanderfallen. Nun kann<lb/>
man aber weiterhin zugeben, daſs jene allgemeinen Gesetzmäſsigkeiten,<lb/>
die die Verbindung zwischen dem vorliegenden Zustand oder Ereignis<lb/>
und seinen Bedingungen zu knüpfen ermöglichen, auch ihrerseits von<lb/>
höheren Gesetzen abhängen, so daſs sie selbst als nur historische Kom-<lb/>
binationen gelten dürfen; zeitlich weiter zurückliegende Ereignisse und<lb/>
Kräfte haben die Dinge um und in uns in Formen gebracht, die, jetzt<lb/>
als allgemein und überhistorisch gültig erscheinend, die zufälligen<lb/>
Elemente der späteren Zeit zu deren besonderen Erscheinungen ge-<lb/>
stalten. Während also diese beiden Methoden, dogmatisch festgelegt<lb/>
und jede für sich die objektive Wahrheit beanspruchend, in einen<lb/>
unversöhnlichen Konflikt und gegenseitige Negation geraten, wird ihnen<lb/>
so in der Form der Alternierung ein organisches Ineinander ermöglicht:<lb/>
jede wird in ein heuristisches Prinzip verwandelt, d. h. von jeder<lb/>
verlangt, daſs sie an jedem Punkte ihrer eigenen Anwendung ihre<lb/>
höherinstanzliche Begründung in der anderen suche. Nicht anders steht<lb/>
es mit dem allerallgemeinsten Gegensatz innerhalb unseres Er-<lb/>
kennens: dem zwischen Apriori und Erfahrung. Daſs alle Erfahrung<lb/>
auſser ihren sinnlich-rezeptiven Elementen gewisse Formen zeigen<lb/>
muſs, die der Seele innewohnen und durch die sie jenes Gegebene<lb/>
überhaupt zu Erkenntnissen gestaltet — das wissen wir seit Kant.<lb/>
Dieses, gleichsam von uns mitgebrachte Apriori muſs deshalb für alle<lb/>
möglichen Erkenntnisse absolut gelten und ist allem Wechsel und aller<lb/>
Korrigierbarkeit der Erfahrung, als sinnlich und zufällig entstandener,<lb/>
entzogen. Aber der Sicherheit, daſs es derartige Normen geben muſs,<lb/>
entspricht keine ebenso groſse, welche denn es sind. Vieles, was eine<lb/>
Zeit für apriori gehalten hat, ist von einer späteren als empirisches<lb/>
und historisches Gebilde erkannt worden. Wenn also einerseits jeder<lb/>
vorliegenden Erscheinung gegenüber die Aufgabe besteht, in ihr über<lb/>
ihren sinnlich gegebenen Inhalt hinweg die dauernden apriorischen<lb/>
Normen zu suchen, von denen sie geformt ist — so steht dem die<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[71/0095]
als ein derartiger Rhythmus wechselseitigen Sichablösens dar. So läſst
sich innerhalb der ökonomischen Wissenschaft das Verhältnis zwischen
der historischen und der auf allgemeine Gesetze ausgehenden Methode
auffassen. Gewiſs ist jeder wirtschaftliche Vorgang nur aus einer be-
sonderen historisch-psychologischen Konstellation verständlich her-
zuleiten. Allein solche Herleitung geschieht immer unter der Voraus-
setzung bestimmter, gesetzmäſsiger Zusammenhänge; wenn wir nicht
oberhalb des einzelnen Falles allgemeine Verhältnisse, durchgängige
Triebe, regelmäſsige Wirkungsreihen zum Grunde legten, so würde es
gar keine historische Ableitung geben können, vielmehr das Ganze in
ein Chaos atomisierter Vorkommnisse auseinanderfallen. Nun kann
man aber weiterhin zugeben, daſs jene allgemeinen Gesetzmäſsigkeiten,
die die Verbindung zwischen dem vorliegenden Zustand oder Ereignis
und seinen Bedingungen zu knüpfen ermöglichen, auch ihrerseits von
höheren Gesetzen abhängen, so daſs sie selbst als nur historische Kom-
binationen gelten dürfen; zeitlich weiter zurückliegende Ereignisse und
Kräfte haben die Dinge um und in uns in Formen gebracht, die, jetzt
als allgemein und überhistorisch gültig erscheinend, die zufälligen
Elemente der späteren Zeit zu deren besonderen Erscheinungen ge-
stalten. Während also diese beiden Methoden, dogmatisch festgelegt
und jede für sich die objektive Wahrheit beanspruchend, in einen
unversöhnlichen Konflikt und gegenseitige Negation geraten, wird ihnen
so in der Form der Alternierung ein organisches Ineinander ermöglicht:
jede wird in ein heuristisches Prinzip verwandelt, d. h. von jeder
verlangt, daſs sie an jedem Punkte ihrer eigenen Anwendung ihre
höherinstanzliche Begründung in der anderen suche. Nicht anders steht
es mit dem allerallgemeinsten Gegensatz innerhalb unseres Er-
kennens: dem zwischen Apriori und Erfahrung. Daſs alle Erfahrung
auſser ihren sinnlich-rezeptiven Elementen gewisse Formen zeigen
muſs, die der Seele innewohnen und durch die sie jenes Gegebene
überhaupt zu Erkenntnissen gestaltet — das wissen wir seit Kant.
Dieses, gleichsam von uns mitgebrachte Apriori muſs deshalb für alle
möglichen Erkenntnisse absolut gelten und ist allem Wechsel und aller
Korrigierbarkeit der Erfahrung, als sinnlich und zufällig entstandener,
entzogen. Aber der Sicherheit, daſs es derartige Normen geben muſs,
entspricht keine ebenso groſse, welche denn es sind. Vieles, was eine
Zeit für apriori gehalten hat, ist von einer späteren als empirisches
und historisches Gebilde erkannt worden. Wenn also einerseits jeder
vorliegenden Erscheinung gegenüber die Aufgabe besteht, in ihr über
ihren sinnlich gegebenen Inhalt hinweg die dauernden apriorischen
Normen zu suchen, von denen sie geformt ist — so steht dem die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/95>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.