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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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Maxime gegenüber: jedem einzelnen Apriori gegenüber (darum aber
keineswegs dem Apriori überhaupt gegenüber!) die genetische Zurück-
führung auf Erfahrung zu versuchen.

Dieses wechselwirkende Sich-Tragen und Aufeinander-Angewiesen-
sein der Methoden ist etwas völlig anderes als die billige Kompromiss-
weisheit der Mischung und des Halb- und Halbtums der Prinzipien,
wobei der Verlust des einen immer grösser als der Gewinn des anderen
zu sein pflegt; hier handelt es sich vielmehr darum, jeder Seite des
Gegensatzpaares eine nicht zu begrenzende Wirksamkeit zu eröffnen.
Und wenngleich jede dieser Methoden immer etwas Subjektives bleibt,
so scheinen sie doch durch jene Relativität ihrer Anwendung grade die
objektive Bedeutung der Dinge angemessen auszudrücken. Sie fügen sich
damit dem allgemeinen Prinzip ein, das unsere Untersuchungen über den
Wert leitete: Elemente, deren jedes inhaltlich subjektiv ist, können
in der Form ihrer gegenseitigen Beziehung das gewinnen oder dar-
stellen, was wir Objektivität nennen. So sahen wir schon oben, wie
blosse Sinnesempfindungen dadurch, dass sie aneinander haften, für uns
den Gegenstand bezeichnen oder zu stande bringen. So entsteht die
Persönlichkeit -- ein so festes Gebilde, dass man ihm eine besondere
Seelensubstanz unterlegte -- durch die gegenseitigen Assoziationen
und Apperzeptionen, die unter den einzelnen Vorstellungen stattfinden;
diese, verfliessende und subjektive Vorgänge, erzeugen durch ihre
Wechselbeziehungen, was in keiner von ihnen für sich allein liegt, die
Persönlichkeit als objektives Element der theoretischen und praktischen
Welt. So erwächst das objektive Recht, indem die subjektiven Inter-
essen und Kräfte der Einzelnen sich ausgleichen, sich gegenseitig ihre
Stellung und ihr Mass bestimmen, durch den Austausch an Ansprüchen
und Beschränkungen die objektive Form der Balanzierung und Ge-
rechtigkeit gewinnen. So kristallisierte aus den Einzelbegehrungen
der Subjekte der objektive wirtschaftliche Wert aus, weil die Form der
Gleichheit und des Austausches zur Verfügung stand, und diese Re-
lationen eine Sachlichkeit und Übersubjektivität haben konnten, die
jenen Elementen als einzelnen fehlte. So also mögen jene Methoden
des Erkennens nur subjektive und heuristische sein; aber dadurch,
dass jede an der anderen ihre Ergänzung und eben durch diese ihre
Legitimierung findet, nähern sie sich -- wenngleich in einem unend-
lichen Prozess des Sich-gegenseitig-Hervorrufens -- dem Ideale der
objektiven Wahrheit.

Es verwirklicht sich also das Wahrheit-bedeutende Verhältnis der
Vorstellungen entweder als ein Aufbau ins Unendliche, weil wir selbst
bei prinzipiell zugegebener Fundamentierung der Erkenntnis auf nicht

Maxime gegenüber: jedem einzelnen Apriori gegenüber (darum aber
keineswegs dem Apriori überhaupt gegenüber!) die genetische Zurück-
führung auf Erfahrung zu versuchen.

Dieses wechselwirkende Sich-Tragen und Aufeinander-Angewiesen-
sein der Methoden ist etwas völlig anderes als die billige Kompromiſs-
weisheit der Mischung und des Halb- und Halbtums der Prinzipien,
wobei der Verlust des einen immer gröſser als der Gewinn des anderen
zu sein pflegt; hier handelt es sich vielmehr darum, jeder Seite des
Gegensatzpaares eine nicht zu begrenzende Wirksamkeit zu eröffnen.
Und wenngleich jede dieser Methoden immer etwas Subjektives bleibt,
so scheinen sie doch durch jene Relativität ihrer Anwendung grade die
objektive Bedeutung der Dinge angemessen auszudrücken. Sie fügen sich
damit dem allgemeinen Prinzip ein, das unsere Untersuchungen über den
Wert leitete: Elemente, deren jedes inhaltlich subjektiv ist, können
in der Form ihrer gegenseitigen Beziehung das gewinnen oder dar-
stellen, was wir Objektivität nennen. So sahen wir schon oben, wie
bloſse Sinnesempfindungen dadurch, daſs sie aneinander haften, für uns
den Gegenstand bezeichnen oder zu stande bringen. So entsteht die
Persönlichkeit — ein so festes Gebilde, daſs man ihm eine besondere
Seelensubstanz unterlegte — durch die gegenseitigen Assoziationen
und Apperzeptionen, die unter den einzelnen Vorstellungen stattfinden;
diese, verflieſsende und subjektive Vorgänge, erzeugen durch ihre
Wechselbeziehungen, was in keiner von ihnen für sich allein liegt, die
Persönlichkeit als objektives Element der theoretischen und praktischen
Welt. So erwächst das objektive Recht, indem die subjektiven Inter-
essen und Kräfte der Einzelnen sich ausgleichen, sich gegenseitig ihre
Stellung und ihr Maſs bestimmen, durch den Austausch an Ansprüchen
und Beschränkungen die objektive Form der Balanzierung und Ge-
rechtigkeit gewinnen. So kristallisierte aus den Einzelbegehrungen
der Subjekte der objektive wirtschaftliche Wert aus, weil die Form der
Gleichheit und des Austausches zur Verfügung stand, und diese Re-
lationen eine Sachlichkeit und Übersubjektivität haben konnten, die
jenen Elementen als einzelnen fehlte. So also mögen jene Methoden
des Erkennens nur subjektive und heuristische sein; aber dadurch,
daſs jede an der anderen ihre Ergänzung und eben durch diese ihre
Legitimierung findet, nähern sie sich — wenngleich in einem unend-
lichen Prozeſs des Sich-gegenseitig-Hervorrufens — dem Ideale der
objektiven Wahrheit.

Es verwirklicht sich also das Wahrheit-bedeutende Verhältnis der
Vorstellungen entweder als ein Aufbau ins Unendliche, weil wir selbst
bei prinzipiell zugegebener Fundamentierung der Erkenntnis auf nicht

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[72/0096] Maxime gegenüber: jedem einzelnen Apriori gegenüber (darum aber keineswegs dem Apriori überhaupt gegenüber!) die genetische Zurück- führung auf Erfahrung zu versuchen. Dieses wechselwirkende Sich-Tragen und Aufeinander-Angewiesen- sein der Methoden ist etwas völlig anderes als die billige Kompromiſs- weisheit der Mischung und des Halb- und Halbtums der Prinzipien, wobei der Verlust des einen immer gröſser als der Gewinn des anderen zu sein pflegt; hier handelt es sich vielmehr darum, jeder Seite des Gegensatzpaares eine nicht zu begrenzende Wirksamkeit zu eröffnen. Und wenngleich jede dieser Methoden immer etwas Subjektives bleibt, so scheinen sie doch durch jene Relativität ihrer Anwendung grade die objektive Bedeutung der Dinge angemessen auszudrücken. Sie fügen sich damit dem allgemeinen Prinzip ein, das unsere Untersuchungen über den Wert leitete: Elemente, deren jedes inhaltlich subjektiv ist, können in der Form ihrer gegenseitigen Beziehung das gewinnen oder dar- stellen, was wir Objektivität nennen. So sahen wir schon oben, wie bloſse Sinnesempfindungen dadurch, daſs sie aneinander haften, für uns den Gegenstand bezeichnen oder zu stande bringen. So entsteht die Persönlichkeit — ein so festes Gebilde, daſs man ihm eine besondere Seelensubstanz unterlegte — durch die gegenseitigen Assoziationen und Apperzeptionen, die unter den einzelnen Vorstellungen stattfinden; diese, verflieſsende und subjektive Vorgänge, erzeugen durch ihre Wechselbeziehungen, was in keiner von ihnen für sich allein liegt, die Persönlichkeit als objektives Element der theoretischen und praktischen Welt. So erwächst das objektive Recht, indem die subjektiven Inter- essen und Kräfte der Einzelnen sich ausgleichen, sich gegenseitig ihre Stellung und ihr Maſs bestimmen, durch den Austausch an Ansprüchen und Beschränkungen die objektive Form der Balanzierung und Ge- rechtigkeit gewinnen. So kristallisierte aus den Einzelbegehrungen der Subjekte der objektive wirtschaftliche Wert aus, weil die Form der Gleichheit und des Austausches zur Verfügung stand, und diese Re- lationen eine Sachlichkeit und Übersubjektivität haben konnten, die jenen Elementen als einzelnen fehlte. So also mögen jene Methoden des Erkennens nur subjektive und heuristische sein; aber dadurch, daſs jede an der anderen ihre Ergänzung und eben durch diese ihre Legitimierung findet, nähern sie sich — wenngleich in einem unend- lichen Prozeſs des Sich-gegenseitig-Hervorrufens — dem Ideale der objektiven Wahrheit. Es verwirklicht sich also das Wahrheit-bedeutende Verhältnis der Vorstellungen entweder als ein Aufbau ins Unendliche, weil wir selbst bei prinzipiell zugegebener Fundamentierung der Erkenntnis auf nicht

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/96>, abgerufen am 24.04.2024.