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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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nächst objektiv: die Geldvermehrung bewirkt anfänglich nur die Ver-
teuerung einiger Waren und lässt die anderen vorerst auf dem alten
Niveau. Man hat gemeint feststellen zu können, dass es eine bestimmte
und langsame Reihenfolge war, in der die Preise der europäischen
Waren seit dem 16. Jahrhundert, infolge des einströmenden amerika-
nischen Metalles, gestiegen sind. Die Geldmehrung innerhalb eines
Landes trifft zunächst immer nur bestimmte Kreise, die den Strom ab-
fangen. Es werden also in erster Linie diejenigen Waren im Preise
steigen, um welche nur die Angehörigen dieses Kreises konkurrieren,
während andere Waren, deren Preis durch die grosse Masse bestimmt
wird, noch unverändert billig bleiben. Das allmähliche Eindringen der
Geldvermehrung in weitere Kreise führt zu Ausgleichungsbestrebungen,
das bisherige Preisverhältnis de. Waren untereinander wird aus seiner
Beständigkeit geworfen, das Budget des einzelnen Hauses muss durch
die Ungleichmässigkeit, mit der die Höhen der einzelnen Posten sich
ändern, Störungen und Verschiebungen erfahren -- kurz, die That-
sache, dass jede Geldvermehrung in einem Wirtschaftskreise die Preise
der Waren ungleichmässig beeinflusst, muss eine erregende Wirkung
auf den Vorstellungsverlauf der wirtschaftenden Personen ausüben,
fortwährende Differenzempfindungen, Unterbrechungen der gewohnten
Proportionen, Forderung von Ausgleichungsversuchen zur Folge haben.
Offenbar wird dieser -- teils beschleunigende, teils lähmende -- Ein-
fluss nicht nur von der Ungleichmässigkeit der Preise, sondern auch
von der Ungleichmässigkeit innerhalb der Geldwerte selbst ausgehen:
das heisst also, nicht nur von einem definitiv verschlechterten, sondern
ebenso, oder vielleicht noch mehr, von einem in seinem Werte fort-
während schwankenden Gelde. Über die Zeit vor der grossen eng-
lischen Münzumprägung von 1570 wird berichtet: "Wären alle Schillinge
auf den Wert von groats herabgesetzt worden, so hätte sich der Ver-
kehr verhältnismässig leicht daran anpassen können. Was aber jede
Zahlung zu einer Kontroverse machte, das war, dass ein Schilling
12 Pence wert war, ein anderer 10, ein dritter 8, 6, ja 4!"

Den Ungleichheitserscheinungen im Preise der Waren entspricht
es, dass von einer Änderung des Geldstandes gewisse Personen und
Berufe in ganz besonderer Weise profitieren, gewisse andere ganz be-
sonders leiden. In früheren Zeiten traf dies vor allem den Bauern.
Gegen Ende des 17. Jahrhunderts wurde der englische Bauer, un-
wissend und hülflos, wie er war, förmlich zerquetscht zwischen den
Leuten, die ihm Geld zu zahlen hatten und es nur nach dem Nenn-
wert thaten, und denen, die von ihm Geld zu bekommen hatten und
es nach Gewicht forderten. Ebenso war es später in Indien bei jeder

nächst objektiv: die Geldvermehrung bewirkt anfänglich nur die Ver-
teuerung einiger Waren und läſst die anderen vorerst auf dem alten
Niveau. Man hat gemeint feststellen zu können, daſs es eine bestimmte
und langsame Reihenfolge war, in der die Preise der europäischen
Waren seit dem 16. Jahrhundert, infolge des einströmenden amerika-
nischen Metalles, gestiegen sind. Die Geldmehrung innerhalb eines
Landes trifft zunächst immer nur bestimmte Kreise, die den Strom ab-
fangen. Es werden also in erster Linie diejenigen Waren im Preise
steigen, um welche nur die Angehörigen dieses Kreises konkurrieren,
während andere Waren, deren Preis durch die groſse Masse bestimmt
wird, noch unverändert billig bleiben. Das allmähliche Eindringen der
Geldvermehrung in weitere Kreise führt zu Ausgleichungsbestrebungen,
das bisherige Preisverhältnis de. Waren untereinander wird aus seiner
Beständigkeit geworfen, das Budget des einzelnen Hauses muſs durch
die Ungleichmäſsigkeit, mit der die Höhen der einzelnen Posten sich
ändern, Störungen und Verschiebungen erfahren — kurz, die That-
sache, daſs jede Geldvermehrung in einem Wirtschaftskreise die Preise
der Waren ungleichmäſsig beeinfluſst, muſs eine erregende Wirkung
auf den Vorstellungsverlauf der wirtschaftenden Personen ausüben,
fortwährende Differenzempfindungen, Unterbrechungen der gewohnten
Proportionen, Forderung von Ausgleichungsversuchen zur Folge haben.
Offenbar wird dieser — teils beschleunigende, teils lähmende — Ein-
fluſs nicht nur von der Ungleichmäſsigkeit der Preise, sondern auch
von der Ungleichmäſsigkeit innerhalb der Geldwerte selbst ausgehen:
das heiſst also, nicht nur von einem definitiv verschlechterten, sondern
ebenso, oder vielleicht noch mehr, von einem in seinem Werte fort-
während schwankenden Gelde. Über die Zeit vor der groſsen eng-
lischen Münzumprägung von 1570 wird berichtet: „Wären alle Schillinge
auf den Wert von groats herabgesetzt worden, so hätte sich der Ver-
kehr verhältnismäſsig leicht daran anpassen können. Was aber jede
Zahlung zu einer Kontroverse machte, das war, daſs ein Schilling
12 Pence wert war, ein anderer 10, ein dritter 8, 6, ja 4!“

Den Ungleichheitserscheinungen im Preise der Waren entspricht
es, daſs von einer Änderung des Geldstandes gewisse Personen und
Berufe in ganz besonderer Weise profitieren, gewisse andere ganz be-
sonders leiden. In früheren Zeiten traf dies vor allem den Bauern.
Gegen Ende des 17. Jahrhunderts wurde der englische Bauer, un-
wissend und hülflos, wie er war, förmlich zerquetscht zwischen den
Leuten, die ihm Geld zu zahlen hatten und es nur nach dem Nenn-
wert thaten, und denen, die von ihm Geld zu bekommen hatten und
es nach Gewicht forderten. Ebenso war es später in Indien bei jeder

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[543/0567] nächst objektiv: die Geldvermehrung bewirkt anfänglich nur die Ver- teuerung einiger Waren und läſst die anderen vorerst auf dem alten Niveau. Man hat gemeint feststellen zu können, daſs es eine bestimmte und langsame Reihenfolge war, in der die Preise der europäischen Waren seit dem 16. Jahrhundert, infolge des einströmenden amerika- nischen Metalles, gestiegen sind. Die Geldmehrung innerhalb eines Landes trifft zunächst immer nur bestimmte Kreise, die den Strom ab- fangen. Es werden also in erster Linie diejenigen Waren im Preise steigen, um welche nur die Angehörigen dieses Kreises konkurrieren, während andere Waren, deren Preis durch die groſse Masse bestimmt wird, noch unverändert billig bleiben. Das allmähliche Eindringen der Geldvermehrung in weitere Kreise führt zu Ausgleichungsbestrebungen, das bisherige Preisverhältnis de. Waren untereinander wird aus seiner Beständigkeit geworfen, das Budget des einzelnen Hauses muſs durch die Ungleichmäſsigkeit, mit der die Höhen der einzelnen Posten sich ändern, Störungen und Verschiebungen erfahren — kurz, die That- sache, daſs jede Geldvermehrung in einem Wirtschaftskreise die Preise der Waren ungleichmäſsig beeinfluſst, muſs eine erregende Wirkung auf den Vorstellungsverlauf der wirtschaftenden Personen ausüben, fortwährende Differenzempfindungen, Unterbrechungen der gewohnten Proportionen, Forderung von Ausgleichungsversuchen zur Folge haben. Offenbar wird dieser — teils beschleunigende, teils lähmende — Ein- fluſs nicht nur von der Ungleichmäſsigkeit der Preise, sondern auch von der Ungleichmäſsigkeit innerhalb der Geldwerte selbst ausgehen: das heiſst also, nicht nur von einem definitiv verschlechterten, sondern ebenso, oder vielleicht noch mehr, von einem in seinem Werte fort- während schwankenden Gelde. Über die Zeit vor der groſsen eng- lischen Münzumprägung von 1570 wird berichtet: „Wären alle Schillinge auf den Wert von groats herabgesetzt worden, so hätte sich der Ver- kehr verhältnismäſsig leicht daran anpassen können. Was aber jede Zahlung zu einer Kontroverse machte, das war, daſs ein Schilling 12 Pence wert war, ein anderer 10, ein dritter 8, 6, ja 4!“ Den Ungleichheitserscheinungen im Preise der Waren entspricht es, daſs von einer Änderung des Geldstandes gewisse Personen und Berufe in ganz besonderer Weise profitieren, gewisse andere ganz be- sonders leiden. In früheren Zeiten traf dies vor allem den Bauern. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts wurde der englische Bauer, un- wissend und hülflos, wie er war, förmlich zerquetscht zwischen den Leuten, die ihm Geld zu zahlen hatten und es nur nach dem Nenn- wert thaten, und denen, die von ihm Geld zu bekommen hatten und es nach Gewicht forderten. Ebenso war es später in Indien bei jeder

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 543. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/567>, abgerufen am 23.04.2024.