neuen Verdünnung des Geldes: wenn der Landmann seine Ernte ver- kaufte, wusste er nie, ob das erhaltene Geld ihm dienen würde, wenn er nachher seine Hypothekenzinsen zu zahlen hatte. Man hat längst beobachtet, dass eine allgemeine Erhöhung der Preise sich dem Ar- beitslohn am spätesten mitteilt. Je widerstandsloser eine wirtschaft- liche Schicht ist, desto langsamer und spärlicher sickert die Geldver- mehrung zu ihr durch, ja sie gelangt häufig erst dann als Einnahme- steigerung zu ihr, wenn sie sich in den Konsumartikeln dieser Schicht schon lange als Preiserhöhung geltend gemacht hat. Dadurch ent- stehen Chocs und Erregungen vielerlei Art, die aufgetretenen Diffe- renzen zwischen den Schichten fordern fortwährende Anspannung des Bewusstseins, weil, vermöge des neuen Umstandes der vermehrten Um- laufsmittel, zur Bewahrung des status quo ante -- sowohl was das Ver- hältnis der Schichten zu einander, wie was die Lebenshaltung der ein- zelnen betrifft -- jetzt nicht mehr konservatives oder defensives Be- harren, sondern positiver Kampf und Eroberung erforderlich ist. Dies ist eine wesentliche Ursache, aus der jede Vermehrung des Geldquan- tums so anregend auf das Tempo des sozialen Lebens wirkt: weil sie über die bereits bestehenden Unterschiede hinaus neue schafft, Spal- tungen, bis hinein in das Budget der Einzelfamilie, an denen das Be- wusstsein fortwährende Beschleunigungen und Vertiefungen seines Ver- laufes finden muss. Es liegt übrigens auf der Hand, dass ein erheb- licher Geldabfluss ähnliche Erscheinungen, nur gleichsam mit um- gekehrtem Vorzeichen, hervorrufen muss. Darin aber zeigt sich das enge Verhältnis des Geldes zu dem Tempo des Lebens, dass ebenso seine Vermehrung wie seine Verminderung, durch ihre ungleichmässige Ausbreitung, jene Differenzerscheinungen ergeben, die sich psychisch als Unterbrechungen, Anreizungen, Zusammendrängungen des Vor- stellungsverlaufes spiegeln.
Abgesehen nun von diesen Folgen der Veränderungen des Geld- bestandes, die das Tempo des Lebens gleichsam als eine Funktion der Veränderungen jenes erscheinen lassen, tritt die Zusammendrängung der Lebensinhalte noch in einer anderen Folge des Geldverkehrs hervor. Es ist diesem nämlich eigentümlich, dass er zur Konzentration an ver- hältnismässig wenigen Plätzen drängt. In Bezug auf lokale Diffusion kann man eine Skala der ökonomischen Objekte aufstellen, von der ich hier nur ganz im Rohen einige der charakteristischsten Stufen an- deute. Sie beginnt mit dem Ackerbau, dessen Natur jeder Zusammen- rückung seiner Gebietsteile widersteht; er schliesst sich unabwendbar dem ursprünglichen Aussereinander des Raumes an. Die industrielle Produktion ist schon komprimierbarer: der Fabrikbetrieb stellt eine räum-
neuen Verdünnung des Geldes: wenn der Landmann seine Ernte ver- kaufte, wuſste er nie, ob das erhaltene Geld ihm dienen würde, wenn er nachher seine Hypothekenzinsen zu zahlen hatte. Man hat längst beobachtet, daſs eine allgemeine Erhöhung der Preise sich dem Ar- beitslohn am spätesten mitteilt. Je widerstandsloser eine wirtschaft- liche Schicht ist, desto langsamer und spärlicher sickert die Geldver- mehrung zu ihr durch, ja sie gelangt häufig erst dann als Einnahme- steigerung zu ihr, wenn sie sich in den Konsumartikeln dieser Schicht schon lange als Preiserhöhung geltend gemacht hat. Dadurch ent- stehen Chocs und Erregungen vielerlei Art, die aufgetretenen Diffe- renzen zwischen den Schichten fordern fortwährende Anspannung des Bewuſstseins, weil, vermöge des neuen Umstandes der vermehrten Um- laufsmittel, zur Bewahrung des status quo ante — sowohl was das Ver- hältnis der Schichten zu einander, wie was die Lebenshaltung der ein- zelnen betrifft — jetzt nicht mehr konservatives oder defensives Be- harren, sondern positiver Kampf und Eroberung erforderlich ist. Dies ist eine wesentliche Ursache, aus der jede Vermehrung des Geldquan- tums so anregend auf das Tempo des sozialen Lebens wirkt: weil sie über die bereits bestehenden Unterschiede hinaus neue schafft, Spal- tungen, bis hinein in das Budget der Einzelfamilie, an denen das Be- wuſstsein fortwährende Beschleunigungen und Vertiefungen seines Ver- laufes finden muſs. Es liegt übrigens auf der Hand, daſs ein erheb- licher Geldabfluſs ähnliche Erscheinungen, nur gleichsam mit um- gekehrtem Vorzeichen, hervorrufen muſs. Darin aber zeigt sich das enge Verhältnis des Geldes zu dem Tempo des Lebens, daſs ebenso seine Vermehrung wie seine Verminderung, durch ihre ungleichmäſsige Ausbreitung, jene Differenzerscheinungen ergeben, die sich psychisch als Unterbrechungen, Anreizungen, Zusammendrängungen des Vor- stellungsverlaufes spiegeln.
Abgesehen nun von diesen Folgen der Veränderungen des Geld- bestandes, die das Tempo des Lebens gleichsam als eine Funktion der Veränderungen jenes erscheinen lassen, tritt die Zusammendrängung der Lebensinhalte noch in einer anderen Folge des Geldverkehrs hervor. Es ist diesem nämlich eigentümlich, daſs er zur Konzentration an ver- hältnismäſsig wenigen Plätzen drängt. In Bezug auf lokale Diffusion kann man eine Skala der ökonomischen Objekte aufstellen, von der ich hier nur ganz im Rohen einige der charakteristischsten Stufen an- deute. Sie beginnt mit dem Ackerbau, dessen Natur jeder Zusammen- rückung seiner Gebietsteile widersteht; er schlieſst sich unabwendbar dem ursprünglichen Auſsereinander des Raumes an. Die industrielle Produktion ist schon komprimierbarer: der Fabrikbetrieb stellt eine räum-
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[544/0568]
neuen Verdünnung des Geldes: wenn der Landmann seine Ernte ver-
kaufte, wuſste er nie, ob das erhaltene Geld ihm dienen würde, wenn
er nachher seine Hypothekenzinsen zu zahlen hatte. Man hat längst
beobachtet, daſs eine allgemeine Erhöhung der Preise sich dem Ar-
beitslohn am spätesten mitteilt. Je widerstandsloser eine wirtschaft-
liche Schicht ist, desto langsamer und spärlicher sickert die Geldver-
mehrung zu ihr durch, ja sie gelangt häufig erst dann als Einnahme-
steigerung zu ihr, wenn sie sich in den Konsumartikeln dieser Schicht
schon lange als Preiserhöhung geltend gemacht hat. Dadurch ent-
stehen Chocs und Erregungen vielerlei Art, die aufgetretenen Diffe-
renzen zwischen den Schichten fordern fortwährende Anspannung des
Bewuſstseins, weil, vermöge des neuen Umstandes der vermehrten Um-
laufsmittel, zur Bewahrung des status quo ante — sowohl was das Ver-
hältnis der Schichten zu einander, wie was die Lebenshaltung der ein-
zelnen betrifft — jetzt nicht mehr konservatives oder defensives Be-
harren, sondern positiver Kampf und Eroberung erforderlich ist. Dies
ist eine wesentliche Ursache, aus der jede Vermehrung des Geldquan-
tums so anregend auf das Tempo des sozialen Lebens wirkt: weil sie
über die bereits bestehenden Unterschiede hinaus neue schafft, Spal-
tungen, bis hinein in das Budget der Einzelfamilie, an denen das Be-
wuſstsein fortwährende Beschleunigungen und Vertiefungen seines Ver-
laufes finden muſs. Es liegt übrigens auf der Hand, daſs ein erheb-
licher Geldabfluſs ähnliche Erscheinungen, nur gleichsam mit um-
gekehrtem Vorzeichen, hervorrufen muſs. Darin aber zeigt sich das
enge Verhältnis des Geldes zu dem Tempo des Lebens, daſs ebenso
seine Vermehrung wie seine Verminderung, durch ihre ungleichmäſsige
Ausbreitung, jene Differenzerscheinungen ergeben, die sich psychisch
als Unterbrechungen, Anreizungen, Zusammendrängungen des Vor-
stellungsverlaufes spiegeln.
Abgesehen nun von diesen Folgen der Veränderungen des Geld-
bestandes, die das Tempo des Lebens gleichsam als eine Funktion der
Veränderungen jenes erscheinen lassen, tritt die Zusammendrängung der
Lebensinhalte noch in einer anderen Folge des Geldverkehrs hervor.
Es ist diesem nämlich eigentümlich, daſs er zur Konzentration an ver-
hältnismäſsig wenigen Plätzen drängt. In Bezug auf lokale Diffusion
kann man eine Skala der ökonomischen Objekte aufstellen, von der
ich hier nur ganz im Rohen einige der charakteristischsten Stufen an-
deute. Sie beginnt mit dem Ackerbau, dessen Natur jeder Zusammen-
rückung seiner Gebietsteile widersteht; er schlieſst sich unabwendbar
dem ursprünglichen Auſsereinander des Raumes an. Die industrielle
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 544. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/568>, abgerufen am 23.11.2024.
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