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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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so fremd das Geld auch seinem abstrakten Wesen nach allen Inner-
lichkeiten und Qualitäten gegenübersteht, so zeigt es, als der öko-
nomische Extrakt des Wertkosmos in dessen ganzer Ausdehnung, doch
sehr häufig die geheimnisvolle Fähigkeit, dem ganz spezifischen
Wesen und Tendenz jeder von zwei entgegengesetzten Einseitigkeiten
zu dienen; die eine entnimmt dem allgemeinen Wertreservoir, das es dar-
stellt, grade die Kräfte, die Ausdrucksmittel, die Verbindungs- oder
Verselbständigungsmöglichkeiten, die ihrer Eigenart angepasst sind,
während es der inhaltlich entgegengesetzten nicht weniger biegsame und
schmiegsame, nicht weniger grade ihrer Innerlichkeit entgegenkommende
Hülfen bietet. Das ist die Bedeutung des Geldes für den Stil des
Lebens, dass es grade vermöge seines Jenseits aller Einseitigkeit einer
jeden solchen wie ein eigenes Glied ihrer zuwachsen kann. Es ist
das Symbol, im Engen und Empirischen, der unsagbaren Einheit des
Seins, aus der der Welt in ihrer ganzen Breite und all ihrem Unter-
schiede ihre Energie und Wirklichkeit strömt. Denn so wird die
Metaphysik sich doch wohl die an sich unerkennbare Struktur der
Dinge subjektiv deutend auseinanderlegen müssen: dass die Inhalte der
Welt, einen bloss geistigen Zusammenhang bildend, in blosser Ideellität
bestehen und nun -- natürlich nicht in zeitlichem Prozess -- über sie
das Sein kommt; wie man es ausgedrückt hat: dass das Was sein Dass
gewinnt. Niemand wüsste zu sagen, was dieses Sein denn eigentlich
ist, das den wirklichen Gegenstand von dem qualitativ ununterschie-
denen, aber bloss gültigen, bloss logischen Sachgehalt unterscheidet.
Und dieses Sein, so leer und abstrakt sein reiner Begriff ist, erscheint
als der warme Strom des Lebens, der sich in die Schemata der Ding-
begriffe ergiesst, der sie gleichsam aufblühen und ihr Wesen entfalten
lässt, gleichviel wie unterschieden oder einander feindselig ihr Inhalt und
ihr Verhalten sei. Aber es ist ihnen doch nichts äusserliches oder fremdes,
sondern ihr eigenes Wesen ist es, das das Sein aufnimmt und in wirk-
same Wirklichkeit entwickelt. Dieser Kraft des Seins nähert sich von
allem Äusserlich-Praktischen -- für das jede Analogie mit dem Absoluten
immer nur unvollständig gelten kann -- das Geld am meisten. Wie jene
steht es seinem Begriffe nach ganz ausserhalb der Dinge und deshalb gegen
ihre Unterschiede völlig gleichgültig, so dass jedes einzelne es ganz in
sich aufnehmen und mit ihm grade sein spezifisches Wesen zur voll-
kommensten Darstellung und Wirksamkeit bringen kann. Seine Be-
deutung für die Entwicklung der Lebensstile, die man als den rhyth-
mischen und den individuell-sachlichen bezeichnen kann, habe ich deshalb
herausgehoben, weil die unvergleichliche Tiefe ihres Gegensatzes den
Typus dieser Wirksamkeit des Geldes sehr rein hervorleuchten lässt. -- --

so fremd das Geld auch seinem abstrakten Wesen nach allen Inner-
lichkeiten und Qualitäten gegenübersteht, so zeigt es, als der öko-
nomische Extrakt des Wertkosmos in dessen ganzer Ausdehnung, doch
sehr häufig die geheimnisvolle Fähigkeit, dem ganz spezifischen
Wesen und Tendenz jeder von zwei entgegengesetzten Einseitigkeiten
zu dienen; die eine entnimmt dem allgemeinen Wertreservoir, das es dar-
stellt, grade die Kräfte, die Ausdrucksmittel, die Verbindungs- oder
Verselbständigungsmöglichkeiten, die ihrer Eigenart angepaſst sind,
während es der inhaltlich entgegengesetzten nicht weniger biegsame und
schmiegsame, nicht weniger grade ihrer Innerlichkeit entgegenkommende
Hülfen bietet. Das ist die Bedeutung des Geldes für den Stil des
Lebens, daſs es grade vermöge seines Jenseits aller Einseitigkeit einer
jeden solchen wie ein eigenes Glied ihrer zuwachsen kann. Es ist
das Symbol, im Engen und Empirischen, der unsagbaren Einheit des
Seins, aus der der Welt in ihrer ganzen Breite und all ihrem Unter-
schiede ihre Energie und Wirklichkeit strömt. Denn so wird die
Metaphysik sich doch wohl die an sich unerkennbare Struktur der
Dinge subjektiv deutend auseinanderlegen müssen: daſs die Inhalte der
Welt, einen bloſs geistigen Zusammenhang bildend, in bloſser Ideellität
bestehen und nun — natürlich nicht in zeitlichem Prozeſs — über sie
das Sein kommt; wie man es ausgedrückt hat: daſs das Was sein Daſs
gewinnt. Niemand wüſste zu sagen, was dieses Sein denn eigentlich
ist, das den wirklichen Gegenstand von dem qualitativ ununterschie-
denen, aber bloſs gültigen, bloſs logischen Sachgehalt unterscheidet.
Und dieses Sein, so leer und abstrakt sein reiner Begriff ist, erscheint
als der warme Strom des Lebens, der sich in die Schemata der Ding-
begriffe ergieſst, der sie gleichsam aufblühen und ihr Wesen entfalten
läſst, gleichviel wie unterschieden oder einander feindselig ihr Inhalt und
ihr Verhalten sei. Aber es ist ihnen doch nichts äuſserliches oder fremdes,
sondern ihr eigenes Wesen ist es, das das Sein aufnimmt und in wirk-
same Wirklichkeit entwickelt. Dieser Kraft des Seins nähert sich von
allem Äuſserlich-Praktischen — für das jede Analogie mit dem Absoluten
immer nur unvollständig gelten kann — das Geld am meisten. Wie jene
steht es seinem Begriffe nach ganz auſserhalb der Dinge und deshalb gegen
ihre Unterschiede völlig gleichgültig, so daſs jedes einzelne es ganz in
sich aufnehmen und mit ihm grade sein spezifisches Wesen zur voll-
kommensten Darstellung und Wirksamkeit bringen kann. Seine Be-
deutung für die Entwicklung der Lebensstile, die man als den rhyth-
mischen und den individuell-sachlichen bezeichnen kann, habe ich deshalb
herausgehoben, weil die unvergleichliche Tiefe ihres Gegensatzes den
Typus dieser Wirksamkeit des Geldes sehr rein hervorleuchten läſst. — —

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[538/0562] so fremd das Geld auch seinem abstrakten Wesen nach allen Inner- lichkeiten und Qualitäten gegenübersteht, so zeigt es, als der öko- nomische Extrakt des Wertkosmos in dessen ganzer Ausdehnung, doch sehr häufig die geheimnisvolle Fähigkeit, dem ganz spezifischen Wesen und Tendenz jeder von zwei entgegengesetzten Einseitigkeiten zu dienen; die eine entnimmt dem allgemeinen Wertreservoir, das es dar- stellt, grade die Kräfte, die Ausdrucksmittel, die Verbindungs- oder Verselbständigungsmöglichkeiten, die ihrer Eigenart angepaſst sind, während es der inhaltlich entgegengesetzten nicht weniger biegsame und schmiegsame, nicht weniger grade ihrer Innerlichkeit entgegenkommende Hülfen bietet. Das ist die Bedeutung des Geldes für den Stil des Lebens, daſs es grade vermöge seines Jenseits aller Einseitigkeit einer jeden solchen wie ein eigenes Glied ihrer zuwachsen kann. Es ist das Symbol, im Engen und Empirischen, der unsagbaren Einheit des Seins, aus der der Welt in ihrer ganzen Breite und all ihrem Unter- schiede ihre Energie und Wirklichkeit strömt. Denn so wird die Metaphysik sich doch wohl die an sich unerkennbare Struktur der Dinge subjektiv deutend auseinanderlegen müssen: daſs die Inhalte der Welt, einen bloſs geistigen Zusammenhang bildend, in bloſser Ideellität bestehen und nun — natürlich nicht in zeitlichem Prozeſs — über sie das Sein kommt; wie man es ausgedrückt hat: daſs das Was sein Daſs gewinnt. Niemand wüſste zu sagen, was dieses Sein denn eigentlich ist, das den wirklichen Gegenstand von dem qualitativ ununterschie- denen, aber bloſs gültigen, bloſs logischen Sachgehalt unterscheidet. Und dieses Sein, so leer und abstrakt sein reiner Begriff ist, erscheint als der warme Strom des Lebens, der sich in die Schemata der Ding- begriffe ergieſst, der sie gleichsam aufblühen und ihr Wesen entfalten läſst, gleichviel wie unterschieden oder einander feindselig ihr Inhalt und ihr Verhalten sei. Aber es ist ihnen doch nichts äuſserliches oder fremdes, sondern ihr eigenes Wesen ist es, das das Sein aufnimmt und in wirk- same Wirklichkeit entwickelt. Dieser Kraft des Seins nähert sich von allem Äuſserlich-Praktischen — für das jede Analogie mit dem Absoluten immer nur unvollständig gelten kann — das Geld am meisten. Wie jene steht es seinem Begriffe nach ganz auſserhalb der Dinge und deshalb gegen ihre Unterschiede völlig gleichgültig, so daſs jedes einzelne es ganz in sich aufnehmen und mit ihm grade sein spezifisches Wesen zur voll- kommensten Darstellung und Wirksamkeit bringen kann. Seine Be- deutung für die Entwicklung der Lebensstile, die man als den rhyth- mischen und den individuell-sachlichen bezeichnen kann, habe ich deshalb herausgehoben, weil die unvergleichliche Tiefe ihres Gegensatzes den Typus dieser Wirksamkeit des Geldes sehr rein hervorleuchten läſst. — —

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 538. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/562>, abgerufen am 23.04.2024.