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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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das Verhältnis des Geldes zu seinem Herrschaftsgebiete sich mit jenen,
inhaltlich ihm so fremden Mächten begegnet. Auch sein Wesen liegt
in der abstrakten Höhe, mit der es sich über alle Einzelinteressen und
Stilgestaltungen des Lebens erhebt; es gewinnt seine Bedeutung in und
aus den Bewegungen, den Konflikten, den Ausgleichungen aller dieser,
ein parteiloses Allgemeines, das in sich nicht den geringsten Anhalts-
punkt für oder gegen den Dienst eines spezifischen Interesses enthält.
Und nun, ausgerüstet mit all der unvergleichlichen Fernwirksamkeit,
Konzentriertheit der Kraft, Überall-Eindringlichkeit, wie sie grade
die Folge seiner Entfernung von allem Partikularen und Einseitigen
ist, begiebt es sich in den Dienst der partikularen Begehrung oder
Lebensgestaltung. Und hier tritt, innerhalb der betonten allgemeinen
Gleichheit mit Gebilden wie Religion, Staat, metaphysischer Geistig-
keit des Seins -- ein merkwürdiger Unterschied gegen diese hervor.
Sie alle, wenn sie sich auf das Niveau der singulären Interessen
und Standpunkte hinabbegeben, treten im Konflikt je zweier entschieden
auf die Seite des einen, dem Gegner aber entgegen; sie verbünden oder
identifizieren sich mit einer der spezifischen Differenzen, deren In-
differenz sie darstellten, und schliessen nun die je andre von sich aus.
Das Geld aber stellt sich fast jeder Tendenz in dem Umkreis, für den
es gilt, gleichmässig zur Verfügung, es lebt jedenfalls nicht in der Form
des Antagonismus gegen anderes, die jene andern Mächte annehmen,
sobald sie sich aus ihrem allgemeinen Sinne in einen partikularen um-
setzen. Das Geld bewahrt wirklich das Umfassende, das seinen all-
gemeinen Sinn ausmacht, auch in der Gleichmässigkeit, mit der es sich
den Gegensatzpaaren leiht, wenn sie auseinandertretend ihr allgemeines
Verhältnis zum Gelde für die Ausgestaltung ihrer Unterschiede und das
Ausfechten ihrer Konflikte benutzen. Die Objektivität des Geldes ist
praktisch kein Jenseits der Gegensätze, das dann nur von einem dieser
illegitim gegen den andern ausgenutzt würde; sondern diese Objek-
tivität bedeutet von vornherein den Dienst beider Seiten des Gegen-
satzes.

Aber damit fällt das Geld nicht etwa in die breite Kategorie,
der die Luft angehört, die die sonst Unterschiedensten doch unterschieds-
los atmen, oder die Waffen, deren Gleichartigkeit sich nicht der Benutzung
durch alle Parteien verweigert. Das Geld ist zwar das umfassendste
Beispiel auch für diese Thatsache: dass auch die radikalsten Unter-
schiede und Gegnerschaften in der Menschenwelt immer noch für
Gleichheiten und Gemeinsamkeiten Raum geben -- aber es ist doch
noch mehr. Jener Typus unparteiischer Dinge bleibt den inneren
Tendenzen, denen sie dienen, etwas schlechthin Äusserliches. Dagegen,

das Verhältnis des Geldes zu seinem Herrschaftsgebiete sich mit jenen,
inhaltlich ihm so fremden Mächten begegnet. Auch sein Wesen liegt
in der abstrakten Höhe, mit der es sich über alle Einzelinteressen und
Stilgestaltungen des Lebens erhebt; es gewinnt seine Bedeutung in und
aus den Bewegungen, den Konflikten, den Ausgleichungen aller dieser,
ein parteiloses Allgemeines, das in sich nicht den geringsten Anhalts-
punkt für oder gegen den Dienst eines spezifischen Interesses enthält.
Und nun, ausgerüstet mit all der unvergleichlichen Fernwirksamkeit,
Konzentriertheit der Kraft, Überall-Eindringlichkeit, wie sie grade
die Folge seiner Entfernung von allem Partikularen und Einseitigen
ist, begiebt es sich in den Dienst der partikularen Begehrung oder
Lebensgestaltung. Und hier tritt, innerhalb der betonten allgemeinen
Gleichheit mit Gebilden wie Religion, Staat, metaphysischer Geistig-
keit des Seins — ein merkwürdiger Unterschied gegen diese hervor.
Sie alle, wenn sie sich auf das Niveau der singulären Interessen
und Standpunkte hinabbegeben, treten im Konflikt je zweier entschieden
auf die Seite des einen, dem Gegner aber entgegen; sie verbünden oder
identifizieren sich mit einer der spezifischen Differenzen, deren In-
differenz sie darstellten, und schlieſsen nun die je andre von sich aus.
Das Geld aber stellt sich fast jeder Tendenz in dem Umkreis, für den
es gilt, gleichmäſsig zur Verfügung, es lebt jedenfalls nicht in der Form
des Antagonismus gegen anderes, die jene andern Mächte annehmen,
sobald sie sich aus ihrem allgemeinen Sinne in einen partikularen um-
setzen. Das Geld bewahrt wirklich das Umfassende, das seinen all-
gemeinen Sinn ausmacht, auch in der Gleichmäſsigkeit, mit der es sich
den Gegensatzpaaren leiht, wenn sie auseinandertretend ihr allgemeines
Verhältnis zum Gelde für die Ausgestaltung ihrer Unterschiede und das
Ausfechten ihrer Konflikte benutzen. Die Objektivität des Geldes ist
praktisch kein Jenseits der Gegensätze, das dann nur von einem dieser
illegitim gegen den andern ausgenutzt würde; sondern diese Objek-
tivität bedeutet von vornherein den Dienst beider Seiten des Gegen-
satzes.

Aber damit fällt das Geld nicht etwa in die breite Kategorie,
der die Luft angehört, die die sonst Unterschiedensten doch unterschieds-
los atmen, oder die Waffen, deren Gleichartigkeit sich nicht der Benutzung
durch alle Parteien verweigert. Das Geld ist zwar das umfassendste
Beispiel auch für diese Thatsache: daſs auch die radikalsten Unter-
schiede und Gegnerschaften in der Menschenwelt immer noch für
Gleichheiten und Gemeinsamkeiten Raum geben — aber es ist doch
noch mehr. Jener Typus unparteiischer Dinge bleibt den inneren
Tendenzen, denen sie dienen, etwas schlechthin Äuſserliches. Dagegen,

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[537/0561] das Verhältnis des Geldes zu seinem Herrschaftsgebiete sich mit jenen, inhaltlich ihm so fremden Mächten begegnet. Auch sein Wesen liegt in der abstrakten Höhe, mit der es sich über alle Einzelinteressen und Stilgestaltungen des Lebens erhebt; es gewinnt seine Bedeutung in und aus den Bewegungen, den Konflikten, den Ausgleichungen aller dieser, ein parteiloses Allgemeines, das in sich nicht den geringsten Anhalts- punkt für oder gegen den Dienst eines spezifischen Interesses enthält. Und nun, ausgerüstet mit all der unvergleichlichen Fernwirksamkeit, Konzentriertheit der Kraft, Überall-Eindringlichkeit, wie sie grade die Folge seiner Entfernung von allem Partikularen und Einseitigen ist, begiebt es sich in den Dienst der partikularen Begehrung oder Lebensgestaltung. Und hier tritt, innerhalb der betonten allgemeinen Gleichheit mit Gebilden wie Religion, Staat, metaphysischer Geistig- keit des Seins — ein merkwürdiger Unterschied gegen diese hervor. Sie alle, wenn sie sich auf das Niveau der singulären Interessen und Standpunkte hinabbegeben, treten im Konflikt je zweier entschieden auf die Seite des einen, dem Gegner aber entgegen; sie verbünden oder identifizieren sich mit einer der spezifischen Differenzen, deren In- differenz sie darstellten, und schlieſsen nun die je andre von sich aus. Das Geld aber stellt sich fast jeder Tendenz in dem Umkreis, für den es gilt, gleichmäſsig zur Verfügung, es lebt jedenfalls nicht in der Form des Antagonismus gegen anderes, die jene andern Mächte annehmen, sobald sie sich aus ihrem allgemeinen Sinne in einen partikularen um- setzen. Das Geld bewahrt wirklich das Umfassende, das seinen all- gemeinen Sinn ausmacht, auch in der Gleichmäſsigkeit, mit der es sich den Gegensatzpaaren leiht, wenn sie auseinandertretend ihr allgemeines Verhältnis zum Gelde für die Ausgestaltung ihrer Unterschiede und das Ausfechten ihrer Konflikte benutzen. Die Objektivität des Geldes ist praktisch kein Jenseits der Gegensätze, das dann nur von einem dieser illegitim gegen den andern ausgenutzt würde; sondern diese Objek- tivität bedeutet von vornherein den Dienst beider Seiten des Gegen- satzes. Aber damit fällt das Geld nicht etwa in die breite Kategorie, der die Luft angehört, die die sonst Unterschiedensten doch unterschieds- los atmen, oder die Waffen, deren Gleichartigkeit sich nicht der Benutzung durch alle Parteien verweigert. Das Geld ist zwar das umfassendste Beispiel auch für diese Thatsache: daſs auch die radikalsten Unter- schiede und Gegnerschaften in der Menschenwelt immer noch für Gleichheiten und Gemeinsamkeiten Raum geben — aber es ist doch noch mehr. Jener Typus unparteiischer Dinge bleibt den inneren Tendenzen, denen sie dienen, etwas schlechthin Äuſserliches. Dagegen,

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 537. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/561>, abgerufen am 26.04.2024.