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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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Endlich giebt es eine dritte Beeinflussung, durch die das Geld
den Inhalten des Lebens ihre Form und Ordnung bestimmen hilft; sie
betrifft das Tempo des Verlaufs derselben, in dem sich die verschie-
denen historischen Epochen, die Zonen der gleichzeitigen Welt, die
Individuen desselben Kreises unterscheiden. Unsere innere Welt ist
gleichsam nach zwei Dimensionen ausgedehnt, deren Masse über das
Lebenstempo bestimmen. Je tiefer die Unterschiede zwischen den
Vorstellungsinhalten -- selbst bei gleicher Zahl der Vorstellungen --
in einer Zeiteinheit sind, desto mehr lebt man, eine desto grössere
Lebensstrecke gleichsam wird zurückgelegt. Was wir als das Tempo
des Lebens empfinden, ist das Produkt aus der Summe und der Tiefe
seiner Veränderungen. Die Bedeutung, die dem Gelde für die Her-
stellung des Lebenstempos einer gegebenen Epoche zukommt, mag zu-
nächst aus den Folgen hervorleuchten, die eben die Veränderung
der Geldverhältnisse für die Veränderung jenes Tempos aufweisen.

Man hat behauptet, dass die Vermehrung des Geldquantums, sei
es durch Metallimporte, oder durch Verschlechterung des Geldes, durch
positive Handelsbilanzen oder durch Papiergeldausgabe, den inneren
Status des Landes ganz ungeändert lassen müsste. Denn wenn man
von den wenigen Personen absehe, deren Einkommen in nicht ver-
mehrbaren festen Bezügen besteht, so sei zwar bei Geldvermehrung
jede Ware oder Leistung mehr Geld wert, als vorher, allein da jeder-
mann sowohl Konsument wie Produzent sei, so nehme er als letzterer
nur soviel mehr ein, wie er als ersterer mehr ausgebe, und alles bleibe
beim Alten. Selbst wenn eine solche proportionale Preissteigerung der
objektive Effekt der Geldvermehrung wäre, so würde sie dennoch sehr
wesentliche psychologische Veränderungserscheinungen mit sich bringen.
Man entschliesst sich nicht leicht, einen über dem bisherigen und ge-
wohnten liegenden Preis für eine Ware anzulegen, selbst wenn das
eigene Einkommen inzwischen gestiegen ist; und man lässt sich andrer-
seits durch gewachsenes Einkommen leicht zu allerhand Aufwendungen
bestimmen, ohne zu bedenken, dass jenes Plus durch die Preissteige-
rung der täglichen Bedürfnisse ausgeglichen wird. Die blosse Ver-
mehrung des Geldquantums, das man auf einmal in der Hand hat,
vermehrt, ganz unabhängig von allen Überlegungen ihrer blossen Rela-
tivität, die Versuchung zum Geldausgeben und bewirkt damit einen
gesteigerten Warenumsatz, also eine Vermehrung, Beschleunigung und
Vermannigfaltigung der ökonomischen Vorstellungen. Jener Grundzug
unseres Wesens: das Relative psychologisch zum Absoluten auswachsen
zu lassen -- nimmt der Beziehung zwischen einem Objekte und einem
bestimmten Geldquantum ihren fliessenden Charakter und verfestigt sie

Endlich giebt es eine dritte Beeinflussung, durch die das Geld
den Inhalten des Lebens ihre Form und Ordnung bestimmen hilft; sie
betrifft das Tempo des Verlaufs derselben, in dem sich die verschie-
denen historischen Epochen, die Zonen der gleichzeitigen Welt, die
Individuen desselben Kreises unterscheiden. Unsere innere Welt ist
gleichsam nach zwei Dimensionen ausgedehnt, deren Maſse über das
Lebenstempo bestimmen. Je tiefer die Unterschiede zwischen den
Vorstellungsinhalten — selbst bei gleicher Zahl der Vorstellungen —
in einer Zeiteinheit sind, desto mehr lebt man, eine desto gröſsere
Lebensstrecke gleichsam wird zurückgelegt. Was wir als das Tempo
des Lebens empfinden, ist das Produkt aus der Summe und der Tiefe
seiner Veränderungen. Die Bedeutung, die dem Gelde für die Her-
stellung des Lebenstempos einer gegebenen Epoche zukommt, mag zu-
nächst aus den Folgen hervorleuchten, die eben die Veränderung
der Geldverhältnisse für die Veränderung jenes Tempos aufweisen.

Man hat behauptet, daſs die Vermehrung des Geldquantums, sei
es durch Metallimporte, oder durch Verschlechterung des Geldes, durch
positive Handelsbilanzen oder durch Papiergeldausgabe, den inneren
Status des Landes ganz ungeändert lassen müſste. Denn wenn man
von den wenigen Personen absehe, deren Einkommen in nicht ver-
mehrbaren festen Bezügen besteht, so sei zwar bei Geldvermehrung
jede Ware oder Leistung mehr Geld wert, als vorher, allein da jeder-
mann sowohl Konsument wie Produzent sei, so nehme er als letzterer
nur soviel mehr ein, wie er als ersterer mehr ausgebe, und alles bleibe
beim Alten. Selbst wenn eine solche proportionale Preissteigerung der
objektive Effekt der Geldvermehrung wäre, so würde sie dennoch sehr
wesentliche psychologische Veränderungserscheinungen mit sich bringen.
Man entschlieſst sich nicht leicht, einen über dem bisherigen und ge-
wohnten liegenden Preis für eine Ware anzulegen, selbst wenn das
eigene Einkommen inzwischen gestiegen ist; und man läſst sich andrer-
seits durch gewachsenes Einkommen leicht zu allerhand Aufwendungen
bestimmen, ohne zu bedenken, daſs jenes Plus durch die Preissteige-
rung der täglichen Bedürfnisse ausgeglichen wird. Die bloſse Ver-
mehrung des Geldquantums, das man auf einmal in der Hand hat,
vermehrt, ganz unabhängig von allen Überlegungen ihrer bloſsen Rela-
tivität, die Versuchung zum Geldausgeben und bewirkt damit einen
gesteigerten Warenumsatz, also eine Vermehrung, Beschleunigung und
Vermannigfaltigung der ökonomischen Vorstellungen. Jener Grundzug
unseres Wesens: das Relative psychologisch zum Absoluten auswachsen
zu lassen — nimmt der Beziehung zwischen einem Objekte und einem
bestimmten Geldquantum ihren flieſsenden Charakter und verfestigt sie

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[539/0563] Endlich giebt es eine dritte Beeinflussung, durch die das Geld den Inhalten des Lebens ihre Form und Ordnung bestimmen hilft; sie betrifft das Tempo des Verlaufs derselben, in dem sich die verschie- denen historischen Epochen, die Zonen der gleichzeitigen Welt, die Individuen desselben Kreises unterscheiden. Unsere innere Welt ist gleichsam nach zwei Dimensionen ausgedehnt, deren Maſse über das Lebenstempo bestimmen. Je tiefer die Unterschiede zwischen den Vorstellungsinhalten — selbst bei gleicher Zahl der Vorstellungen — in einer Zeiteinheit sind, desto mehr lebt man, eine desto gröſsere Lebensstrecke gleichsam wird zurückgelegt. Was wir als das Tempo des Lebens empfinden, ist das Produkt aus der Summe und der Tiefe seiner Veränderungen. Die Bedeutung, die dem Gelde für die Her- stellung des Lebenstempos einer gegebenen Epoche zukommt, mag zu- nächst aus den Folgen hervorleuchten, die eben die Veränderung der Geldverhältnisse für die Veränderung jenes Tempos aufweisen. Man hat behauptet, daſs die Vermehrung des Geldquantums, sei es durch Metallimporte, oder durch Verschlechterung des Geldes, durch positive Handelsbilanzen oder durch Papiergeldausgabe, den inneren Status des Landes ganz ungeändert lassen müſste. Denn wenn man von den wenigen Personen absehe, deren Einkommen in nicht ver- mehrbaren festen Bezügen besteht, so sei zwar bei Geldvermehrung jede Ware oder Leistung mehr Geld wert, als vorher, allein da jeder- mann sowohl Konsument wie Produzent sei, so nehme er als letzterer nur soviel mehr ein, wie er als ersterer mehr ausgebe, und alles bleibe beim Alten. Selbst wenn eine solche proportionale Preissteigerung der objektive Effekt der Geldvermehrung wäre, so würde sie dennoch sehr wesentliche psychologische Veränderungserscheinungen mit sich bringen. Man entschlieſst sich nicht leicht, einen über dem bisherigen und ge- wohnten liegenden Preis für eine Ware anzulegen, selbst wenn das eigene Einkommen inzwischen gestiegen ist; und man läſst sich andrer- seits durch gewachsenes Einkommen leicht zu allerhand Aufwendungen bestimmen, ohne zu bedenken, daſs jenes Plus durch die Preissteige- rung der täglichen Bedürfnisse ausgeglichen wird. Die bloſse Ver- mehrung des Geldquantums, das man auf einmal in der Hand hat, vermehrt, ganz unabhängig von allen Überlegungen ihrer bloſsen Rela- tivität, die Versuchung zum Geldausgeben und bewirkt damit einen gesteigerten Warenumsatz, also eine Vermehrung, Beschleunigung und Vermannigfaltigung der ökonomischen Vorstellungen. Jener Grundzug unseres Wesens: das Relative psychologisch zum Absoluten auswachsen zu lassen — nimmt der Beziehung zwischen einem Objekte und einem bestimmten Geldquantum ihren flieſsenden Charakter und verfestigt sie

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 539. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/563>, abgerufen am 29.03.2024.