Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Unterschied z. B. zwischen dem modernen, auf die äusserste
Spezialisierung gebauten Kleidermagazin und der Arbeit des Schneiders,
den man ins Haus nahm, charakterisiert aufs schärfste die gewachsene
Objektivität des wirtschaftlichen Kosmos, seine überpersönliche Selb-
ständigkeit im Verhältnis zum konsumierenden Subjekt, mit dem er
ursprünglich verwachsen war.

Mit dieser dem Abnehmer gegenüber bestehenden Autonomie der
Produktion hängt eine Erscheinung der Arbeitsteilung zusammen, die
jetzt ebenso alltäglich, wie in ihrer Bedeutung wenig erkannt ist. Von
den früheren Gestaltungen der Produktion her herrscht im ganzen die
einfache Vorstellung, dass die niederen Schichten der Gesellschaft für
die höheren arbeiten; dass die Pflanzen vom Boden, die Tiere von
den Pflanzen, der Mensch von den Tieren lebt, das wiederhole sich,
mit moralischem Recht oder Unrecht, im Bau der Gesellschaft: je höher
die Individuen sozial und geistig stehen, desto mehr gründet sich ihre
Existenz auf der Arbeit der tieferstehenden, die sie ihrerseits nicht
mit Arbeit für diese, sondern nur mit Geld vergelten. Diese Vor-
stellung ist nun ganz unzutreffend, seit die Bedürfnisse der unteren
Massen durch den Grossbetrieb gedeckt werden, der unzählige wissen-
schaftliche, technische, organisatorische Energien oberster Stufen in
seinen Dienst gestellt hat. Der grosse Chemiker, der in seinem La-
boratorium über Darstellung der Teerfarben sinnt, arbeitet für die
Bäuerin, die beim Krämer sich das bunteste Halstuch aussucht; wenn
der Grosskaufmann in weltumspannenden Spekulationen amerikanisches
Getreide in Deutschland importiert, so ist er der Diener des ärmsten
Proletariers; der Betrieb einer Baumwollspinnerei, in der Intelligenzen
hohen Ranges thätig sind, ist von Abnehmern in der tiefsten sozialen
Schicht abhängig. Diese Rückläufigkeit der Dienste, in der die nie-
deren Klassen die Arbeit der höheren für sich kaufen, liegt jetzt schon
in unzählbaren, unser ganzes Kulturleben bestimmenden Beispielen vor.
Möglich aber ist diese Erscheinung nur durch die Objektivierung, die
die Produktion sowohl dem produzierenden wie dem konsumierenden
Subjekt gegenüber ergriffen hat und durch die sie jenseits der sozialen
oder sonstigen Unterschiede dieser beiden steht. Dies Indienstnehmen
der höchsten Kulturproduzenten seitens der niedrigststehenden Kon-
sumenten bedeutet eben, dass kein Verhältnis zwischen ihnen besteht,
sondern dass ein Objekt zwischen sie geschoben ist, an dessen einer
Seite gleichsam die Einen arbeiten, während die Anderen von der an-
deren her es konsumieren, und das Beide trennt, indem es sie ver-
bindet. Die Grundthatsache selbst ist ersichtlich eine Arbeitsteilung:
die Technik der Produktion ist so spezialisiert, dass die Handhabung

Der Unterschied z. B. zwischen dem modernen, auf die äuſserste
Spezialisierung gebauten Kleidermagazin und der Arbeit des Schneiders,
den man ins Haus nahm, charakterisiert aufs schärfste die gewachsene
Objektivität des wirtschaftlichen Kosmos, seine überpersönliche Selb-
ständigkeit im Verhältnis zum konsumierenden Subjekt, mit dem er
ursprünglich verwachsen war.

Mit dieser dem Abnehmer gegenüber bestehenden Autonomie der
Produktion hängt eine Erscheinung der Arbeitsteilung zusammen, die
jetzt ebenso alltäglich, wie in ihrer Bedeutung wenig erkannt ist. Von
den früheren Gestaltungen der Produktion her herrscht im ganzen die
einfache Vorstellung, daſs die niederen Schichten der Gesellschaft für
die höheren arbeiten; daſs die Pflanzen vom Boden, die Tiere von
den Pflanzen, der Mensch von den Tieren lebt, das wiederhole sich,
mit moralischem Recht oder Unrecht, im Bau der Gesellschaft: je höher
die Individuen sozial und geistig stehen, desto mehr gründet sich ihre
Existenz auf der Arbeit der tieferstehenden, die sie ihrerseits nicht
mit Arbeit für diese, sondern nur mit Geld vergelten. Diese Vor-
stellung ist nun ganz unzutreffend, seit die Bedürfnisse der unteren
Massen durch den Groſsbetrieb gedeckt werden, der unzählige wissen-
schaftliche, technische, organisatorische Energien oberster Stufen in
seinen Dienst gestellt hat. Der groſse Chemiker, der in seinem La-
boratorium über Darstellung der Teerfarben sinnt, arbeitet für die
Bäuerin, die beim Krämer sich das bunteste Halstuch aussucht; wenn
der Groſskaufmann in weltumspannenden Spekulationen amerikanisches
Getreide in Deutschland importiert, so ist er der Diener des ärmsten
Proletariers; der Betrieb einer Baumwollspinnerei, in der Intelligenzen
hohen Ranges thätig sind, ist von Abnehmern in der tiefsten sozialen
Schicht abhängig. Diese Rückläufigkeit der Dienste, in der die nie-
deren Klassen die Arbeit der höheren für sich kaufen, liegt jetzt schon
in unzählbaren, unser ganzes Kulturleben bestimmenden Beispielen vor.
Möglich aber ist diese Erscheinung nur durch die Objektivierung, die
die Produktion sowohl dem produzierenden wie dem konsumierenden
Subjekt gegenüber ergriffen hat und durch die sie jenseits der sozialen
oder sonstigen Unterschiede dieser beiden steht. Dies Indienstnehmen
der höchsten Kulturproduzenten seitens der niedrigststehenden Kon-
sumenten bedeutet eben, daſs kein Verhältnis zwischen ihnen besteht,
sondern daſs ein Objekt zwischen sie geschoben ist, an dessen einer
Seite gleichsam die Einen arbeiten, während die Anderen von der an-
deren her es konsumieren, und das Beide trennt, indem es sie ver-
bindet. Die Grundthatsache selbst ist ersichtlich eine Arbeitsteilung:
die Technik der Produktion ist so spezialisiert, daſs die Handhabung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0513" n="489"/>
Der Unterschied z. B. zwischen dem modernen, auf die äu&#x017F;serste<lb/>
Spezialisierung gebauten Kleidermagazin und der Arbeit des Schneiders,<lb/>
den man ins Haus nahm, charakterisiert aufs schärfste die gewachsene<lb/>
Objektivität des wirtschaftlichen Kosmos, seine überpersönliche Selb-<lb/>
ständigkeit im Verhältnis zum konsumierenden Subjekt, mit dem er<lb/>
ursprünglich verwachsen war.</p><lb/>
            <p>Mit dieser dem Abnehmer gegenüber bestehenden Autonomie der<lb/>
Produktion hängt eine Erscheinung der Arbeitsteilung zusammen, die<lb/>
jetzt ebenso alltäglich, wie in ihrer Bedeutung wenig erkannt ist. Von<lb/>
den früheren Gestaltungen der Produktion her herrscht im ganzen die<lb/>
einfache Vorstellung, da&#x017F;s die niederen Schichten der Gesellschaft für<lb/>
die höheren arbeiten; da&#x017F;s die Pflanzen vom Boden, die Tiere von<lb/>
den Pflanzen, der Mensch von den Tieren lebt, das wiederhole sich,<lb/>
mit moralischem Recht oder Unrecht, im Bau der Gesellschaft: je höher<lb/>
die Individuen sozial und geistig stehen, desto mehr gründet sich ihre<lb/>
Existenz auf der Arbeit der tieferstehenden, die sie ihrerseits nicht<lb/>
mit Arbeit für diese, sondern nur mit Geld vergelten. Diese Vor-<lb/>
stellung ist nun ganz unzutreffend, seit die Bedürfnisse der unteren<lb/>
Massen durch den Gro&#x017F;sbetrieb gedeckt werden, der unzählige wissen-<lb/>
schaftliche, technische, organisatorische Energien oberster Stufen in<lb/>
seinen Dienst gestellt hat. Der gro&#x017F;se Chemiker, der in seinem La-<lb/>
boratorium über Darstellung der Teerfarben sinnt, arbeitet für die<lb/>
Bäuerin, die beim Krämer sich das bunteste Halstuch aussucht; wenn<lb/>
der Gro&#x017F;skaufmann in weltumspannenden Spekulationen amerikanisches<lb/>
Getreide in Deutschland importiert, so ist er der Diener des ärmsten<lb/>
Proletariers; der Betrieb einer Baumwollspinnerei, in der Intelligenzen<lb/>
hohen Ranges thätig sind, ist von Abnehmern in der tiefsten sozialen<lb/>
Schicht abhängig. Diese Rückläufigkeit der Dienste, in der die nie-<lb/>
deren Klassen die Arbeit der höheren für sich kaufen, liegt jetzt schon<lb/>
in unzählbaren, unser ganzes Kulturleben bestimmenden Beispielen vor.<lb/>
Möglich aber ist diese Erscheinung nur durch die Objektivierung, die<lb/>
die Produktion sowohl dem produzierenden wie dem konsumierenden<lb/>
Subjekt gegenüber ergriffen hat und durch die sie jenseits der sozialen<lb/>
oder sonstigen Unterschiede dieser beiden steht. Dies Indienstnehmen<lb/>
der höchsten Kulturproduzenten seitens der niedrigststehenden Kon-<lb/>
sumenten bedeutet eben, da&#x017F;s kein Verhältnis zwischen ihnen besteht,<lb/>
sondern da&#x017F;s ein Objekt zwischen sie geschoben ist, an dessen einer<lb/>
Seite gleichsam die Einen arbeiten, während die Anderen von der an-<lb/>
deren her es konsumieren, und das Beide trennt, indem es sie ver-<lb/>
bindet. Die Grundthatsache selbst ist ersichtlich eine Arbeitsteilung:<lb/>
die Technik der Produktion ist so spezialisiert, da&#x017F;s die Handhabung<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[489/0513] Der Unterschied z. B. zwischen dem modernen, auf die äuſserste Spezialisierung gebauten Kleidermagazin und der Arbeit des Schneiders, den man ins Haus nahm, charakterisiert aufs schärfste die gewachsene Objektivität des wirtschaftlichen Kosmos, seine überpersönliche Selb- ständigkeit im Verhältnis zum konsumierenden Subjekt, mit dem er ursprünglich verwachsen war. Mit dieser dem Abnehmer gegenüber bestehenden Autonomie der Produktion hängt eine Erscheinung der Arbeitsteilung zusammen, die jetzt ebenso alltäglich, wie in ihrer Bedeutung wenig erkannt ist. Von den früheren Gestaltungen der Produktion her herrscht im ganzen die einfache Vorstellung, daſs die niederen Schichten der Gesellschaft für die höheren arbeiten; daſs die Pflanzen vom Boden, die Tiere von den Pflanzen, der Mensch von den Tieren lebt, das wiederhole sich, mit moralischem Recht oder Unrecht, im Bau der Gesellschaft: je höher die Individuen sozial und geistig stehen, desto mehr gründet sich ihre Existenz auf der Arbeit der tieferstehenden, die sie ihrerseits nicht mit Arbeit für diese, sondern nur mit Geld vergelten. Diese Vor- stellung ist nun ganz unzutreffend, seit die Bedürfnisse der unteren Massen durch den Groſsbetrieb gedeckt werden, der unzählige wissen- schaftliche, technische, organisatorische Energien oberster Stufen in seinen Dienst gestellt hat. Der groſse Chemiker, der in seinem La- boratorium über Darstellung der Teerfarben sinnt, arbeitet für die Bäuerin, die beim Krämer sich das bunteste Halstuch aussucht; wenn der Groſskaufmann in weltumspannenden Spekulationen amerikanisches Getreide in Deutschland importiert, so ist er der Diener des ärmsten Proletariers; der Betrieb einer Baumwollspinnerei, in der Intelligenzen hohen Ranges thätig sind, ist von Abnehmern in der tiefsten sozialen Schicht abhängig. Diese Rückläufigkeit der Dienste, in der die nie- deren Klassen die Arbeit der höheren für sich kaufen, liegt jetzt schon in unzählbaren, unser ganzes Kulturleben bestimmenden Beispielen vor. Möglich aber ist diese Erscheinung nur durch die Objektivierung, die die Produktion sowohl dem produzierenden wie dem konsumierenden Subjekt gegenüber ergriffen hat und durch die sie jenseits der sozialen oder sonstigen Unterschiede dieser beiden steht. Dies Indienstnehmen der höchsten Kulturproduzenten seitens der niedrigststehenden Kon- sumenten bedeutet eben, daſs kein Verhältnis zwischen ihnen besteht, sondern daſs ein Objekt zwischen sie geschoben ist, an dessen einer Seite gleichsam die Einen arbeiten, während die Anderen von der an- deren her es konsumieren, und das Beide trennt, indem es sie ver- bindet. Die Grundthatsache selbst ist ersichtlich eine Arbeitsteilung: die Technik der Produktion ist so spezialisiert, daſs die Handhabung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/513
Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 489. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/513>, abgerufen am 22.11.2024.