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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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reinere, geistigere, vornehmere Glück als das wertvollere gepriesen
wird. Denn dann wäre der Fall möglich, dass ein solches Glück, wenn-
gleich quantitativ, d. h. als blosses Glück, geringer als ein niedriges,
sinnliches, selbstisches, dennoch diesem gegenüber das sittlich erstrebens-
wertere wäre. Die ethische Glückseligkeitstheorie ist deshalb nur dann
konsequent, wenn alle ethischen Unterschiede sinnlichen und geistigen,
epikureischen und asketischen, egoistischen und mitfühlenden Glücks
im letzten Grunde, alle Begleit- und Folgeerscheinungen eingerechnet,
blosse Massunterschiede einer und derselben, qualitativ immer gleichen
Glücksart sind. Ebenso muss die konsequente Arbeitstheorie es
durchführen können, dass alle die unzweideutig empfundenen und
nicht wegzudisputierenden Wertunterschiede zwischen zwei Leistungen,
die als Arbeit extensiv und intensiv gleich erscheinen, im letzten
Grunde nur bedeuten, dass in der einen mehr Arbeit verdichtet ist,
als in der anderen, dass nur der erste und flüchtige Blick sie für
gleiche Arbeitsquanten hält, der tiefer dringende aber ein thatsächliches
Mehr oder Weniger von Arbeit als den Grund ihres Mehr oder Weniger
von Wert entdeckt.

Thatsächlich ist diese Deutung nicht so unzulänglich, wie sie zu-
erst scheint. Man muss nur den Begriff der Arbeit weit genug fassen.
Betrachtet man die Arbeit zunächst in der Beschränkung auf ihren in-
dividuellen Träger, so liegt auf der Hand, dass in jedem irgend
"höheren" Arbeitsprodukt keineswegs nur diejenige Arbeitssumme in-
vestiert ist, die unmittelbar auf eben diese Leistung verwendet worden
ist. Die ganzen vorhergegangenen Mühen vielmehr, ohne die die
jetzige, relativ leichtere Herstellung unmöglich wäre, müssen in sie, als
für sie erforderliche Arbeit, pro rata eingerechnet werden. Gewiss ist
die "Arbeit" des Musikvirtuosen an einem Konzertabend oft im Ver-
hältnis zu ihrer ökonomischen und idealen Einschätzung eine geringe;
ganz anders aber steht es, wenn man die Mühen und die Dauer der
Vorbereitung als Bedingung der unmittelbaren Leistung dem Arbeits-
quantum derselben hinzurechnet. Und so bedeutet auch in unzähligen
anderen Fällen höhere Arbeit eine Form von mehr Arbeit; nur dass
diese nicht in der sinnlichen Wahrnehmbarkeit momentaner Anstrengung,
sondern in der Kondensation und Aufspeicherung vorangegangener
und die jetzige Leistung bedingender Anstrengungen gelegen ist: in
der spielenden Leichtigkeit, mit der der Meister seine Aufgaben löst,
kann unendlich viel mehr Arbeitsmühe verkörpert sein, als in dem
Schweiss, den der Stümper schon um eines sehr viel niederen Ergeb-
nisses willen vergiessen muss. Nun aber kann diese Deutung der
Qualitätsunterschiede der Arbeit als quantitativer sich über die bloss

reinere, geistigere, vornehmere Glück als das wertvollere gepriesen
wird. Denn dann wäre der Fall möglich, daſs ein solches Glück, wenn-
gleich quantitativ, d. h. als bloſses Glück, geringer als ein niedriges,
sinnliches, selbstisches, dennoch diesem gegenüber das sittlich erstrebens-
wertere wäre. Die ethische Glückseligkeitstheorie ist deshalb nur dann
konsequent, wenn alle ethischen Unterschiede sinnlichen und geistigen,
epikureischen und asketischen, egoistischen und mitfühlenden Glücks
im letzten Grunde, alle Begleit- und Folgeerscheinungen eingerechnet,
bloſse Maſsunterschiede einer und derselben, qualitativ immer gleichen
Glücksart sind. Ebenso muſs die konsequente Arbeitstheorie es
durchführen können, daſs alle die unzweideutig empfundenen und
nicht wegzudisputierenden Wertunterschiede zwischen zwei Leistungen,
die als Arbeit extensiv und intensiv gleich erscheinen, im letzten
Grunde nur bedeuten, daſs in der einen mehr Arbeit verdichtet ist,
als in der anderen, daſs nur der erste und flüchtige Blick sie für
gleiche Arbeitsquanten hält, der tiefer dringende aber ein thatsächliches
Mehr oder Weniger von Arbeit als den Grund ihres Mehr oder Weniger
von Wert entdeckt.

Thatsächlich ist diese Deutung nicht so unzulänglich, wie sie zu-
erst scheint. Man muſs nur den Begriff der Arbeit weit genug fassen.
Betrachtet man die Arbeit zunächst in der Beschränkung auf ihren in-
dividuellen Träger, so liegt auf der Hand, daſs in jedem irgend
„höheren“ Arbeitsprodukt keineswegs nur diejenige Arbeitssumme in-
vestiert ist, die unmittelbar auf eben diese Leistung verwendet worden
ist. Die ganzen vorhergegangenen Mühen vielmehr, ohne die die
jetzige, relativ leichtere Herstellung unmöglich wäre, müssen in sie, als
für sie erforderliche Arbeit, pro rata eingerechnet werden. Gewiſs ist
die „Arbeit“ des Musikvirtuosen an einem Konzertabend oft im Ver-
hältnis zu ihrer ökonomischen und idealen Einschätzung eine geringe;
ganz anders aber steht es, wenn man die Mühen und die Dauer der
Vorbereitung als Bedingung der unmittelbaren Leistung dem Arbeits-
quantum derselben hinzurechnet. Und so bedeutet auch in unzähligen
anderen Fällen höhere Arbeit eine Form von mehr Arbeit; nur daſs
diese nicht in der sinnlichen Wahrnehmbarkeit momentaner Anstrengung,
sondern in der Kondensation und Aufspeicherung vorangegangener
und die jetzige Leistung bedingender Anstrengungen gelegen ist: in
der spielenden Leichtigkeit, mit der der Meister seine Aufgaben löst,
kann unendlich viel mehr Arbeitsmühe verkörpert sein, als in dem
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nisses willen vergieſsen muſs. Nun aber kann diese Deutung der
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[437/0461] reinere, geistigere, vornehmere Glück als das wertvollere gepriesen wird. Denn dann wäre der Fall möglich, daſs ein solches Glück, wenn- gleich quantitativ, d. h. als bloſses Glück, geringer als ein niedriges, sinnliches, selbstisches, dennoch diesem gegenüber das sittlich erstrebens- wertere wäre. Die ethische Glückseligkeitstheorie ist deshalb nur dann konsequent, wenn alle ethischen Unterschiede sinnlichen und geistigen, epikureischen und asketischen, egoistischen und mitfühlenden Glücks im letzten Grunde, alle Begleit- und Folgeerscheinungen eingerechnet, bloſse Maſsunterschiede einer und derselben, qualitativ immer gleichen Glücksart sind. Ebenso muſs die konsequente Arbeitstheorie es durchführen können, daſs alle die unzweideutig empfundenen und nicht wegzudisputierenden Wertunterschiede zwischen zwei Leistungen, die als Arbeit extensiv und intensiv gleich erscheinen, im letzten Grunde nur bedeuten, daſs in der einen mehr Arbeit verdichtet ist, als in der anderen, daſs nur der erste und flüchtige Blick sie für gleiche Arbeitsquanten hält, der tiefer dringende aber ein thatsächliches Mehr oder Weniger von Arbeit als den Grund ihres Mehr oder Weniger von Wert entdeckt. Thatsächlich ist diese Deutung nicht so unzulänglich, wie sie zu- erst scheint. Man muſs nur den Begriff der Arbeit weit genug fassen. Betrachtet man die Arbeit zunächst in der Beschränkung auf ihren in- dividuellen Träger, so liegt auf der Hand, daſs in jedem irgend „höheren“ Arbeitsprodukt keineswegs nur diejenige Arbeitssumme in- vestiert ist, die unmittelbar auf eben diese Leistung verwendet worden ist. Die ganzen vorhergegangenen Mühen vielmehr, ohne die die jetzige, relativ leichtere Herstellung unmöglich wäre, müssen in sie, als für sie erforderliche Arbeit, pro rata eingerechnet werden. Gewiſs ist die „Arbeit“ des Musikvirtuosen an einem Konzertabend oft im Ver- hältnis zu ihrer ökonomischen und idealen Einschätzung eine geringe; ganz anders aber steht es, wenn man die Mühen und die Dauer der Vorbereitung als Bedingung der unmittelbaren Leistung dem Arbeits- quantum derselben hinzurechnet. Und so bedeutet auch in unzähligen anderen Fällen höhere Arbeit eine Form von mehr Arbeit; nur daſs diese nicht in der sinnlichen Wahrnehmbarkeit momentaner Anstrengung, sondern in der Kondensation und Aufspeicherung vorangegangener und die jetzige Leistung bedingender Anstrengungen gelegen ist: in der spielenden Leichtigkeit, mit der der Meister seine Aufgaben löst, kann unendlich viel mehr Arbeitsmühe verkörpert sein, als in dem Schweiſs, den der Stümper schon um eines sehr viel niederen Ergeb- nisses willen vergieſsen muſs. Nun aber kann diese Deutung der Qualitätsunterschiede der Arbeit als quantitativer sich über die bloſs

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 437. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/461>, abgerufen am 22.11.2024.