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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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Verschiedenheit der Begabung, Kraft und Bemühung auch zu einer
Verschiedenheit der Stellung und des Genusses führen soll. Allein dem
heutigen Zustand gegenüber, in dem Erbrecht, Klassenunterschiede,
Akkumulation des Kapitals und alle möglichen Chancen der Kon-
junktur weit grössere als den individuellen Bethätigungsunterschieden
entsprechende Abstände erzeugen -- würde jenes nicht nur thatsächlich
eine wesentliche Ausgleichung in jeder Hinsicht bedeuten, sondern
die Ausgleichung auch der Besitz- und Genussmomente scheint mir
auch heute noch für die Massen das eigentlich wirksame Agitations-
mittel zu sein. Wenn der historische Materialismus zum wissenschaft-
lichen Beweisgrund der sozialistischen Lehre gemacht worden ist, so
geht hier, wie so oft, der systematische Aufbau den umgekehrten Weg
wie der schöpferische Gedankengang, und man hat nicht aus dem un-
abhängig festgestellten historischen Materialismus die sozialistische
Theorie logisch gefolgert, sondern die praktisch feststehende sozia-
listisch-kommunistische Tendenz hat sich erst nachträglich den für sie
allein möglichen Unterbau geschaffen, die ökonomischen Interessen als
den Quellpunkt und Generalnenner aller anderen zu deklarieren. Ist
dies aber einmal geschehen, so muss sich die gleiche Tendenz in das
Gebiet des Ökonomischen selbst fortsetzen und die Mannigfaltigkeit
seiner Inhalte auf eine Einheit bringen, die über alles individuelle
Leisten die Möglichkeit einer Gleichheit und äusserlich nachweisbaren
Gerechtigkeit stellt.

Denn die Behauptung, der Wert aller wertvollen Objekte bestehe
in der Arbeit, die sie gekostet haben, genügt für diesen Zweck noch
nicht. Damit könnte sich nämlich noch immer die qualitative Ver-
schiedenheit der Arbeit vereinigen, derart, dass ein geringeres Quantum
höherer Arbeit einen gleichen oder höheren Wert bildete, wie ein erheb-
liches von niederer Arbeit. Hierdurch aber wäre eine ganz andere als die
beabsichtigte Wertskala eingeführt. Die entscheidenden Eigenschaften
der Feinheit, Geistigkeit, Schwierigkeit würden zwar auch dann immer
noch mit und an der Arbeit produziert, realisierten sich nur als Attri-
bute ihrer; allein das Wertmoment ruhte nun doch nicht mehr auf
der Arbeit als Arbeit, sondern auf der nach einem ganz selbständigen
Prinzip aufgebauten Ordnung der Qualitäten, als deren irrelevanter
Träger die Arbeit erscheint. Damit wäre die Arbeitstheorie in das-
selbe Dilemma gebracht, dem die moralphilosophische Lehre unterlegen
ist, dass die Produktion von Glücksgefühlen der absolute ethische Wert
sei. Ist nämlich die Handlung wirklich in dem Masse sittlich, in dem
sie Glück zur Folge hat, so bedeutet es eine Durchbrechung des
Prinzips und die Einführung neuer definitiver Wertmomente, wenn das

Verschiedenheit der Begabung, Kraft und Bemühung auch zu einer
Verschiedenheit der Stellung und des Genusses führen soll. Allein dem
heutigen Zustand gegenüber, in dem Erbrecht, Klassenunterschiede,
Akkumulation des Kapitals und alle möglichen Chancen der Kon-
junktur weit gröſsere als den individuellen Bethätigungsunterschieden
entsprechende Abstände erzeugen — würde jenes nicht nur thatsächlich
eine wesentliche Ausgleichung in jeder Hinsicht bedeuten, sondern
die Ausgleichung auch der Besitz- und Genuſsmomente scheint mir
auch heute noch für die Massen das eigentlich wirksame Agitations-
mittel zu sein. Wenn der historische Materialismus zum wissenschaft-
lichen Beweisgrund der sozialistischen Lehre gemacht worden ist, so
geht hier, wie so oft, der systematische Aufbau den umgekehrten Weg
wie der schöpferische Gedankengang, und man hat nicht aus dem un-
abhängig festgestellten historischen Materialismus die sozialistische
Theorie logisch gefolgert, sondern die praktisch feststehende sozia-
listisch-kommunistische Tendenz hat sich erst nachträglich den für sie
allein möglichen Unterbau geschaffen, die ökonomischen Interessen als
den Quellpunkt und Generalnenner aller anderen zu deklarieren. Ist
dies aber einmal geschehen, so muſs sich die gleiche Tendenz in das
Gebiet des Ökonomischen selbst fortsetzen und die Mannigfaltigkeit
seiner Inhalte auf eine Einheit bringen, die über alles individuelle
Leisten die Möglichkeit einer Gleichheit und äuſserlich nachweisbaren
Gerechtigkeit stellt.

Denn die Behauptung, der Wert aller wertvollen Objekte bestehe
in der Arbeit, die sie gekostet haben, genügt für diesen Zweck noch
nicht. Damit könnte sich nämlich noch immer die qualitative Ver-
schiedenheit der Arbeit vereinigen, derart, daſs ein geringeres Quantum
höherer Arbeit einen gleichen oder höheren Wert bildete, wie ein erheb-
liches von niederer Arbeit. Hierdurch aber wäre eine ganz andere als die
beabsichtigte Wertskala eingeführt. Die entscheidenden Eigenschaften
der Feinheit, Geistigkeit, Schwierigkeit würden zwar auch dann immer
noch mit und an der Arbeit produziert, realisierten sich nur als Attri-
bute ihrer; allein das Wertmoment ruhte nun doch nicht mehr auf
der Arbeit als Arbeit, sondern auf der nach einem ganz selbständigen
Prinzip aufgebauten Ordnung der Qualitäten, als deren irrelevanter
Träger die Arbeit erscheint. Damit wäre die Arbeitstheorie in das-
selbe Dilemma gebracht, dem die moralphilosophische Lehre unterlegen
ist, daſs die Produktion von Glücksgefühlen der absolute ethische Wert
sei. Ist nämlich die Handlung wirklich in dem Maſse sittlich, in dem
sie Glück zur Folge hat, so bedeutet es eine Durchbrechung des
Prinzips und die Einführung neuer definitiver Wertmomente, wenn das

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[436/0460] Verschiedenheit der Begabung, Kraft und Bemühung auch zu einer Verschiedenheit der Stellung und des Genusses führen soll. Allein dem heutigen Zustand gegenüber, in dem Erbrecht, Klassenunterschiede, Akkumulation des Kapitals und alle möglichen Chancen der Kon- junktur weit gröſsere als den individuellen Bethätigungsunterschieden entsprechende Abstände erzeugen — würde jenes nicht nur thatsächlich eine wesentliche Ausgleichung in jeder Hinsicht bedeuten, sondern die Ausgleichung auch der Besitz- und Genuſsmomente scheint mir auch heute noch für die Massen das eigentlich wirksame Agitations- mittel zu sein. Wenn der historische Materialismus zum wissenschaft- lichen Beweisgrund der sozialistischen Lehre gemacht worden ist, so geht hier, wie so oft, der systematische Aufbau den umgekehrten Weg wie der schöpferische Gedankengang, und man hat nicht aus dem un- abhängig festgestellten historischen Materialismus die sozialistische Theorie logisch gefolgert, sondern die praktisch feststehende sozia- listisch-kommunistische Tendenz hat sich erst nachträglich den für sie allein möglichen Unterbau geschaffen, die ökonomischen Interessen als den Quellpunkt und Generalnenner aller anderen zu deklarieren. Ist dies aber einmal geschehen, so muſs sich die gleiche Tendenz in das Gebiet des Ökonomischen selbst fortsetzen und die Mannigfaltigkeit seiner Inhalte auf eine Einheit bringen, die über alles individuelle Leisten die Möglichkeit einer Gleichheit und äuſserlich nachweisbaren Gerechtigkeit stellt. Denn die Behauptung, der Wert aller wertvollen Objekte bestehe in der Arbeit, die sie gekostet haben, genügt für diesen Zweck noch nicht. Damit könnte sich nämlich noch immer die qualitative Ver- schiedenheit der Arbeit vereinigen, derart, daſs ein geringeres Quantum höherer Arbeit einen gleichen oder höheren Wert bildete, wie ein erheb- liches von niederer Arbeit. Hierdurch aber wäre eine ganz andere als die beabsichtigte Wertskala eingeführt. Die entscheidenden Eigenschaften der Feinheit, Geistigkeit, Schwierigkeit würden zwar auch dann immer noch mit und an der Arbeit produziert, realisierten sich nur als Attri- bute ihrer; allein das Wertmoment ruhte nun doch nicht mehr auf der Arbeit als Arbeit, sondern auf der nach einem ganz selbständigen Prinzip aufgebauten Ordnung der Qualitäten, als deren irrelevanter Träger die Arbeit erscheint. Damit wäre die Arbeitstheorie in das- selbe Dilemma gebracht, dem die moralphilosophische Lehre unterlegen ist, daſs die Produktion von Glücksgefühlen der absolute ethische Wert sei. Ist nämlich die Handlung wirklich in dem Maſse sittlich, in dem sie Glück zur Folge hat, so bedeutet es eine Durchbrechung des Prinzips und die Einführung neuer definitiver Wertmomente, wenn das

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/460>, abgerufen am 22.11.2024.