wir die Familienverfassungen in ihren wirtschaftlichen Gestaltungen verfolgen, so sehen wir oft, dass der Unterschied des Erbgutes gegen das selbsterworbene Gut sich mit dem des unbeweglichen gegen das bewegliche Vermögen deckt. In den nordwestlichen Distrikten von Indien ist es ein und dasselbe Wort (jalm), das einerseits das Recht der Erstgeburt, andrerseits, im engeren Sinne, das Eigentum an Grund und Boden bedeutet. Umgekehrt kann das mobile Gut einen so engen Zusammenhang mit der Persönlichkeit haben, dass bei ganz primitiven und armseligen Völkern die Erbschaften an solchen Dingen überhaupt nicht angetreten, sondern, wie aus den verschiedensten Weltgegenden mitgeteilt wird, die Gebrauchsgegenstände des Toten vernichtet werden. Gewiss sind hierzu mystische Vorstellungen wirksam: als ob der Geist des Verstorbenen durch diese Gegenstände angelockt und rückkehrend allerlei Schaden anrichten würde. Allein das beweist ja grade die enge Verbindung, die zwischen jenen und der Persönlichkeit besteht, so dass der Aberglaube durch sie seine spezielle Form erhält! Von den Nikobaren wird berichtet, dass es dort als Unrecht gilt, einen Verwandten zu beerben, und deshalb seine Hinterlassenschaft zerstört wird -- ausgenommen Bäume und Häuser. Diese tragen den Charakter des immobilen Besitzes, so dass ihre Verbindung mit dem Individuum eine lockrere ist und sie zum Übergang auf andere geeigneter sind. Daher nun auch die enge Beziehung, die der Grundbesitz grade zu der auf das Prinzip der Erblichkeit gegründeten Aristokratie hat. Ich erinnere an das früher Erwähnte, wie sehr das aristokratische Prinzip der Familienkontinuität im alten Griechenland in religiös ge- festeter Wechselwirkung mit der zentralen Stellung des Grundbesitzes stand: die Veräusserung des Grundbesitzes war nicht nur eine Pflicht- verletzung gegen die Kinder, sondern, in noch betonterem Masse, den Ahnen gegenüber! Man hat ferner hervorgehoben, dass, wo die könig- lichen Lehen rein naturalwirtschaftlicher Natur waren, wie im frühen mittelalterlichen Deutschland -- während in Ländern, die der Geld- wirtschaft etwas näher standen, Lehensverhältnisse leicht auf andere als dingliche Benefizien gegründet werden konnten -- sie auf aristo- kratischen Charakter der ganzen Institution hinwirkten. Das Erb- prinzip aber steht im grossen und ganzen im Gegensatz zum Individual- prinzip. Es bindet den Einzelnen in die Reihe der nacheinander lebenden Personen, wie das Kollektivprinzip ihn in die der neben- einander lebenden bindet; so garantiert auch im Biologischen die Vererbung die Gleichheit der Generationen. An der Schranke des Vererbungsprinzips macht die wirtschaftliche Individualisierung Halt. Im 13. und 14. Jahrhundert hatte sich zwar die deutsche Einzel-
wir die Familienverfassungen in ihren wirtschaftlichen Gestaltungen verfolgen, so sehen wir oft, daſs der Unterschied des Erbgutes gegen das selbsterworbene Gut sich mit dem des unbeweglichen gegen das bewegliche Vermögen deckt. In den nordwestlichen Distrikten von Indien ist es ein und dasselbe Wort (jalm), das einerseits das Recht der Erstgeburt, andrerseits, im engeren Sinne, das Eigentum an Grund und Boden bedeutet. Umgekehrt kann das mobile Gut einen so engen Zusammenhang mit der Persönlichkeit haben, daſs bei ganz primitiven und armseligen Völkern die Erbschaften an solchen Dingen überhaupt nicht angetreten, sondern, wie aus den verschiedensten Weltgegenden mitgeteilt wird, die Gebrauchsgegenstände des Toten vernichtet werden. Gewiſs sind hierzu mystische Vorstellungen wirksam: als ob der Geist des Verstorbenen durch diese Gegenstände angelockt und rückkehrend allerlei Schaden anrichten würde. Allein das beweist ja grade die enge Verbindung, die zwischen jenen und der Persönlichkeit besteht, so daſs der Aberglaube durch sie seine spezielle Form erhält! Von den Nikobaren wird berichtet, daſs es dort als Unrecht gilt, einen Verwandten zu beerben, und deshalb seine Hinterlassenschaft zerstört wird — ausgenommen Bäume und Häuser. Diese tragen den Charakter des immobilen Besitzes, so daſs ihre Verbindung mit dem Individuum eine lockrere ist und sie zum Übergang auf andere geeigneter sind. Daher nun auch die enge Beziehung, die der Grundbesitz grade zu der auf das Prinzip der Erblichkeit gegründeten Aristokratie hat. Ich erinnere an das früher Erwähnte, wie sehr das aristokratische Prinzip der Familienkontinuität im alten Griechenland in religiös ge- festeter Wechselwirkung mit der zentralen Stellung des Grundbesitzes stand: die Veräuſserung des Grundbesitzes war nicht nur eine Pflicht- verletzung gegen die Kinder, sondern, in noch betonterem Maſse, den Ahnen gegenüber! Man hat ferner hervorgehoben, daſs, wo die könig- lichen Lehen rein naturalwirtschaftlicher Natur waren, wie im frühen mittelalterlichen Deutschland — während in Ländern, die der Geld- wirtschaft etwas näher standen, Lehensverhältnisse leicht auf andere als dingliche Benefizien gegründet werden konnten — sie auf aristo- kratischen Charakter der ganzen Institution hinwirkten. Das Erb- prinzip aber steht im groſsen und ganzen im Gegensatz zum Individual- prinzip. Es bindet den Einzelnen in die Reihe der nacheinander lebenden Personen, wie das Kollektivprinzip ihn in die der neben- einander lebenden bindet; so garantiert auch im Biologischen die Vererbung die Gleichheit der Generationen. An der Schranke des Vererbungsprinzips macht die wirtschaftliche Individualisierung Halt. Im 13. und 14. Jahrhundert hatte sich zwar die deutsche Einzel-
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wir die Familienverfassungen in ihren wirtschaftlichen Gestaltungen
verfolgen, so sehen wir oft, daſs der Unterschied des Erbgutes gegen
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bewegliche Vermögen deckt. In den nordwestlichen Distrikten von
Indien ist es ein und dasselbe Wort (jalm), das einerseits das Recht
der Erstgeburt, andrerseits, im engeren Sinne, das Eigentum an Grund
und Boden bedeutet. Umgekehrt kann das mobile Gut einen so engen
Zusammenhang mit der Persönlichkeit haben, daſs bei ganz primitiven
und armseligen Völkern die Erbschaften an solchen Dingen überhaupt
nicht angetreten, sondern, wie aus den verschiedensten Weltgegenden
mitgeteilt wird, die Gebrauchsgegenstände des Toten vernichtet werden.
Gewiſs sind hierzu mystische Vorstellungen wirksam: als ob der Geist
des Verstorbenen durch diese Gegenstände angelockt und rückkehrend
allerlei Schaden anrichten würde. Allein das beweist ja grade die
enge Verbindung, die zwischen jenen und der Persönlichkeit besteht,
so daſs der Aberglaube durch sie seine spezielle Form erhält! Von
den Nikobaren wird berichtet, daſs es dort als Unrecht gilt, einen
Verwandten zu beerben, und deshalb seine Hinterlassenschaft zerstört
wird — ausgenommen Bäume und Häuser. Diese tragen den Charakter
des immobilen Besitzes, so daſs ihre Verbindung mit dem Individuum
eine lockrere ist und sie zum Übergang auf andere geeigneter sind.
Daher nun auch die enge Beziehung, die der Grundbesitz grade zu
der auf das Prinzip der Erblichkeit gegründeten Aristokratie hat. Ich
erinnere an das früher Erwähnte, wie sehr das aristokratische Prinzip
der Familienkontinuität im alten Griechenland in religiös ge-
festeter Wechselwirkung mit der zentralen Stellung des Grundbesitzes
stand: die Veräuſserung des Grundbesitzes war nicht nur eine Pflicht-
verletzung gegen die Kinder, sondern, in noch betonterem Maſse, den
Ahnen gegenüber! Man hat ferner hervorgehoben, daſs, wo die könig-
lichen Lehen rein naturalwirtschaftlicher Natur waren, wie im frühen
mittelalterlichen Deutschland — während in Ländern, die der Geld-
wirtschaft etwas näher standen, Lehensverhältnisse leicht auf andere
als dingliche Benefizien gegründet werden konnten — sie auf aristo-
kratischen Charakter der ganzen Institution hinwirkten. Das Erb-
prinzip aber steht im groſsen und ganzen im Gegensatz zum Individual-
prinzip. Es bindet den Einzelnen in die Reihe der nacheinander
lebenden Personen, wie das Kollektivprinzip ihn in die der neben-
einander lebenden bindet; so garantiert auch im Biologischen die
Vererbung die Gleichheit der Generationen. An der Schranke des
Vererbungsprinzips macht die wirtschaftliche Individualisierung Halt.
Im 13. und 14. Jahrhundert hatte sich zwar die deutsche Einzel-
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/387>, abgerufen am 22.11.2024.
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