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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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zunächst den Grund, dass er in zweckmässiger Anpassung an die
Technik seines Betriebes äusserst konservativ ist: da nun einmal
individuelles Eigentum besteht, so hält er an demselben ebenso fest,
wie er vor Jahrhunderten an der gemeinen Mark, ja noch vor viel
kürzerer Zeit wenigstens an der Gemengelage festgehalten hat. Auch
hat der moderne Sozialismus ein Hauptmotiv, das jener alten Kollek-
tivität des Grundbesitzes als etwas völlig Heterogenes gegenübersteht
und ihn der innersten Lebensrichtung des Landwirts völlig entfremdet:
die restlose Beherrschung der Produktion durch den Verstand, den
Willen, die organisierende Berechnung des Menschen. Die Verfassung
der Fabrik und die Konstruktion der Maschine stellt dem Industrie-
arbeiter täglich vor Augen, dass zweckmässige Bewegungen und
Wirkungen mit absoluter Zuverlässigkeit zustande gebracht, persön-
liche und aus dem Innern der Dinge hervorbrechende Störungen völlig
vermieden werden können. Diese Erreichung der Zwecke vermöge
eines durchsichtigen und dirigierbaren Mechanismus arbeitet einem
sozialen Ideal vor, das die Gesamtheit mit dem souveränen Rationa-
lismus der Maschine, unter Ausschaltung aller privaten Impulse,
organisieren will. Dagegen sind die Arbeit des Bauern und ihre
Erfolge von ebenso unbeeinflussbaren wie unberechenbaren Kräften
abhängig, seine Gedanken gehen auf die Gunst eines nicht zu rationali-
sierenden Faktors und auf das jeweilige Ausnutzen irregulärer Be-
dingungen. So bilden sich seine Ideale dem sozialistischen entgegen-
gesetzt, das nicht die Gunst, sondern das Ausschalten aller Zufälligkeit
und eine Organisation der Lebenselemente anstrebt, die, was bei den
bäuerlichen Interessen gar nicht in Frage kommt, jedes derselben berechen-
bar macht. Jene absolute Beherrschung der Gesamtproduktion durch
Verstand und Willen ist technisch freilich nur bei absoluter Zentrali-
sierung der Produktionsmittel -- in der Hand der "Gesellschaft" --
möglich, aber es liegt auf der Hand, wie weit die alte naturalwirt-
schaftliche Kollektivität in ihrem Kern und Sinn von dieser sozia-
listischen absteht, deren Idee sich deshalb auch grade über der geldwirt-
schaftlichsten und mobilisiertesten Eigentumsgestaltung erheben konnte
-- so sehr, wie ich oben erwähnte, jener primitive Kommunismus als
Instinkt und nebelhaftes Ideal zu den Triebkräften des Sozialismus
beisteuern mag.

Historisch besteht jedenfalls die Korrelation zwischen Natural-
wirtschaft und Kollektivität, der auf der anderen Seite die zwischen
Mobilisierung des Besitzes und Individualisierung desselben entspricht.
Deshalb trägt in enger Beziehung zu seinem Charakter als Kollektiv-
gut der Boden auch einen besonderen Charakter als Erbgut. Wenn

zunächst den Grund, daſs er in zweckmäſsiger Anpassung an die
Technik seines Betriebes äuſserst konservativ ist: da nun einmal
individuelles Eigentum besteht, so hält er an demselben ebenso fest,
wie er vor Jahrhunderten an der gemeinen Mark, ja noch vor viel
kürzerer Zeit wenigstens an der Gemengelage festgehalten hat. Auch
hat der moderne Sozialismus ein Hauptmotiv, das jener alten Kollek-
tivität des Grundbesitzes als etwas völlig Heterogenes gegenübersteht
und ihn der innersten Lebensrichtung des Landwirts völlig entfremdet:
die restlose Beherrschung der Produktion durch den Verstand, den
Willen, die organisierende Berechnung des Menschen. Die Verfassung
der Fabrik und die Konstruktion der Maschine stellt dem Industrie-
arbeiter täglich vor Augen, daſs zweckmäſsige Bewegungen und
Wirkungen mit absoluter Zuverlässigkeit zustande gebracht, persön-
liche und aus dem Innern der Dinge hervorbrechende Störungen völlig
vermieden werden können. Diese Erreichung der Zwecke vermöge
eines durchsichtigen und dirigierbaren Mechanismus arbeitet einem
sozialen Ideal vor, das die Gesamtheit mit dem souveränen Rationa-
lismus der Maschine, unter Ausschaltung aller privaten Impulse,
organisieren will. Dagegen sind die Arbeit des Bauern und ihre
Erfolge von ebenso unbeeinfluſsbaren wie unberechenbaren Kräften
abhängig, seine Gedanken gehen auf die Gunst eines nicht zu rationali-
sierenden Faktors und auf das jeweilige Ausnutzen irregulärer Be-
dingungen. So bilden sich seine Ideale dem sozialistischen entgegen-
gesetzt, das nicht die Gunst, sondern das Ausschalten aller Zufälligkeit
und eine Organisation der Lebenselemente anstrebt, die, was bei den
bäuerlichen Interessen gar nicht in Frage kommt, jedes derselben berechen-
bar macht. Jene absolute Beherrschung der Gesamtproduktion durch
Verstand und Willen ist technisch freilich nur bei absoluter Zentrali-
sierung der Produktionsmittel — in der Hand der „Gesellschaft“ —
möglich, aber es liegt auf der Hand, wie weit die alte naturalwirt-
schaftliche Kollektivität in ihrem Kern und Sinn von dieser sozia-
listischen absteht, deren Idee sich deshalb auch grade über der geldwirt-
schaftlichsten und mobilisiertesten Eigentumsgestaltung erheben konnte
— so sehr, wie ich oben erwähnte, jener primitive Kommunismus als
Instinkt und nebelhaftes Ideal zu den Triebkräften des Sozialismus
beisteuern mag.

Historisch besteht jedenfalls die Korrelation zwischen Natural-
wirtschaft und Kollektivität, der auf der anderen Seite die zwischen
Mobilisierung des Besitzes und Individualisierung desselben entspricht.
Deshalb trägt in enger Beziehung zu seinem Charakter als Kollektiv-
gut der Boden auch einen besonderen Charakter als Erbgut. Wenn

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[362/0386] zunächst den Grund, daſs er in zweckmäſsiger Anpassung an die Technik seines Betriebes äuſserst konservativ ist: da nun einmal individuelles Eigentum besteht, so hält er an demselben ebenso fest, wie er vor Jahrhunderten an der gemeinen Mark, ja noch vor viel kürzerer Zeit wenigstens an der Gemengelage festgehalten hat. Auch hat der moderne Sozialismus ein Hauptmotiv, das jener alten Kollek- tivität des Grundbesitzes als etwas völlig Heterogenes gegenübersteht und ihn der innersten Lebensrichtung des Landwirts völlig entfremdet: die restlose Beherrschung der Produktion durch den Verstand, den Willen, die organisierende Berechnung des Menschen. Die Verfassung der Fabrik und die Konstruktion der Maschine stellt dem Industrie- arbeiter täglich vor Augen, daſs zweckmäſsige Bewegungen und Wirkungen mit absoluter Zuverlässigkeit zustande gebracht, persön- liche und aus dem Innern der Dinge hervorbrechende Störungen völlig vermieden werden können. Diese Erreichung der Zwecke vermöge eines durchsichtigen und dirigierbaren Mechanismus arbeitet einem sozialen Ideal vor, das die Gesamtheit mit dem souveränen Rationa- lismus der Maschine, unter Ausschaltung aller privaten Impulse, organisieren will. Dagegen sind die Arbeit des Bauern und ihre Erfolge von ebenso unbeeinfluſsbaren wie unberechenbaren Kräften abhängig, seine Gedanken gehen auf die Gunst eines nicht zu rationali- sierenden Faktors und auf das jeweilige Ausnutzen irregulärer Be- dingungen. So bilden sich seine Ideale dem sozialistischen entgegen- gesetzt, das nicht die Gunst, sondern das Ausschalten aller Zufälligkeit und eine Organisation der Lebenselemente anstrebt, die, was bei den bäuerlichen Interessen gar nicht in Frage kommt, jedes derselben berechen- bar macht. Jene absolute Beherrschung der Gesamtproduktion durch Verstand und Willen ist technisch freilich nur bei absoluter Zentrali- sierung der Produktionsmittel — in der Hand der „Gesellschaft“ — möglich, aber es liegt auf der Hand, wie weit die alte naturalwirt- schaftliche Kollektivität in ihrem Kern und Sinn von dieser sozia- listischen absteht, deren Idee sich deshalb auch grade über der geldwirt- schaftlichsten und mobilisiertesten Eigentumsgestaltung erheben konnte — so sehr, wie ich oben erwähnte, jener primitive Kommunismus als Instinkt und nebelhaftes Ideal zu den Triebkräften des Sozialismus beisteuern mag. Historisch besteht jedenfalls die Korrelation zwischen Natural- wirtschaft und Kollektivität, der auf der anderen Seite die zwischen Mobilisierung des Besitzes und Individualisierung desselben entspricht. Deshalb trägt in enger Beziehung zu seinem Charakter als Kollektiv- gut der Boden auch einen besonderen Charakter als Erbgut. Wenn

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/386>, abgerufen am 22.11.2024.