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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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lichen Geldleute unverändert, ja in erhöhtem Masse zu profitieren
pflegen. So viele Zusammenbrüche und Existenzvernichtungen die
Folge sowohl der Preisstürze wie der besinnungslosen Haussen auf
dem Warenmarkte sein mögen -- die Erfahrung hat als die Regel ge-
zeigt, dass die grossen Bankiers aus diesen entgegengesetzten Gefahren
für Verkäufer oder Käufer, Gläubiger oder Schuldner ihren gleich-
mässigen Gewinn ziehen. Das Geld, als das völlig indifferente Werk-
zeug der ökonomischen Bewegung, lässt sich seine Dienste bei jeder
Richtung und jedem Tempo derselben bezahlen. Für diese Freiheit
muss es freilich auch seine Steuer entrichten: die Parteilosigkeit
des Geldes bewirkt, dass an den Geldgeber leicht Ansprüche von
verschiedenen, einander feindseligen Seiten gestellt werden und er
leichter in den Verdacht des Verrates gerät, als irgend jemand, der
mit qualitativ bestimmten Werten operiert. Im Beginn der Neuzeit,
als die grossen Geldmächte der Fugger, der Welser, der Florentiner
und Genuesen in die politischen Entscheidungen eintraten, insbesondere
in den gewaltigen Kampf der habsburgischen und der französischen
Macht um die europäische Hegemonie, wurden sie von jeder Partei
mit stetem Misstrauen betrachtet, selbst von derjenigen, der sie un-
geheure Summen geliehen hatten. Der Geldleute war man eben nie
sicher, das blosse Geldgeschäft legte sie nie auch nur für den nächsten
Augenblick unzweideutig fest, und der Gegner, dessen Bekämpfung sie
soeben unterstützt hatten, sah darin gar kein Hindernis, nun seiner-
seits mit Forderungen oder Anerbietungen an sie heranzutreten. Das
Geld hat jene sehr positive Eigenschaft, die man mit dem negativen Be-
griffe der Charakterlosigkeit bezeichnet. Dem Menschen, den wir cha-
rakterlos nennen, ist es wesentlich, nicht durch die innere und in-
haltliche Dignität von Personen, Dingen, Gedanken sich bestimmen zu
lassen, sondern durch die quantitative Macht, mit der das Einzelne ihn
beeindruckt, vergewaltigt zu werden. So ist es der von allen spezi-
fischen Inhalten gelöste und in reiner Quantität bestehende Charakter
des Geldes, der ihm und den nur nach ihm gravitierenden Menschen
die Färbung der Charakterlosigkeit einträgt -- die fast logisch not-
wendige Schattenseite jener Vorteile des Geldgeschäftes und der spezi-
fischen Höherwertung des Geldes gegenüber qualitativen Werten. Dieses
Übergewicht des Geldes drückt sich zunächst in der angeführten Er-
fahrung aus, dass der Verkäufer interessierter und beeiferter ist als
der Käufer. Denn es verwirklicht sich hier eine für unser ganzes
Verhalten zu den Dingen äusserst bedeutsame Form: dass von zwei
Wertklassen, die einander gegenüberstehen und als Ganze betrachtet
werden, die erste der zweiten entschieden überlegen ist, dass aber der

lichen Geldleute unverändert, ja in erhöhtem Maſse zu profitieren
pflegen. So viele Zusammenbrüche und Existenzvernichtungen die
Folge sowohl der Preisstürze wie der besinnungslosen Haussen auf
dem Warenmarkte sein mögen — die Erfahrung hat als die Regel ge-
zeigt, daſs die groſsen Bankiers aus diesen entgegengesetzten Gefahren
für Verkäufer oder Käufer, Gläubiger oder Schuldner ihren gleich-
mäſsigen Gewinn ziehen. Das Geld, als das völlig indifferente Werk-
zeug der ökonomischen Bewegung, läſst sich seine Dienste bei jeder
Richtung und jedem Tempo derselben bezahlen. Für diese Freiheit
muſs es freilich auch seine Steuer entrichten: die Parteilosigkeit
des Geldes bewirkt, daſs an den Geldgeber leicht Ansprüche von
verschiedenen, einander feindseligen Seiten gestellt werden und er
leichter in den Verdacht des Verrates gerät, als irgend jemand, der
mit qualitativ bestimmten Werten operiert. Im Beginn der Neuzeit,
als die groſsen Geldmächte der Fugger, der Welser, der Florentiner
und Genuesen in die politischen Entscheidungen eintraten, insbesondere
in den gewaltigen Kampf der habsburgischen und der französischen
Macht um die europäische Hegemonie, wurden sie von jeder Partei
mit stetem Miſstrauen betrachtet, selbst von derjenigen, der sie un-
geheure Summen geliehen hatten. Der Geldleute war man eben nie
sicher, das bloſse Geldgeschäft legte sie nie auch nur für den nächsten
Augenblick unzweideutig fest, und der Gegner, dessen Bekämpfung sie
soeben unterstützt hatten, sah darin gar kein Hindernis, nun seiner-
seits mit Forderungen oder Anerbietungen an sie heranzutreten. Das
Geld hat jene sehr positive Eigenschaft, die man mit dem negativen Be-
griffe der Charakterlosigkeit bezeichnet. Dem Menschen, den wir cha-
rakterlos nennen, ist es wesentlich, nicht durch die innere und in-
haltliche Dignität von Personen, Dingen, Gedanken sich bestimmen zu
lassen, sondern durch die quantitative Macht, mit der das Einzelne ihn
beeindruckt, vergewaltigt zu werden. So ist es der von allen spezi-
fischen Inhalten gelöste und in reiner Quantität bestehende Charakter
des Geldes, der ihm und den nur nach ihm gravitierenden Menschen
die Färbung der Charakterlosigkeit einträgt — die fast logisch not-
wendige Schattenseite jener Vorteile des Geldgeschäftes und der spezi-
fischen Höherwertung des Geldes gegenüber qualitativen Werten. Dieses
Übergewicht des Geldes drückt sich zunächst in der angeführten Er-
fahrung aus, daſs der Verkäufer interessierter und beeiferter ist als
der Käufer. Denn es verwirklicht sich hier eine für unser ganzes
Verhalten zu den Dingen äuſserst bedeutsame Form: daſs von zwei
Wertklassen, die einander gegenüberstehen und als Ganze betrachtet
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[198/0222] lichen Geldleute unverändert, ja in erhöhtem Maſse zu profitieren pflegen. So viele Zusammenbrüche und Existenzvernichtungen die Folge sowohl der Preisstürze wie der besinnungslosen Haussen auf dem Warenmarkte sein mögen — die Erfahrung hat als die Regel ge- zeigt, daſs die groſsen Bankiers aus diesen entgegengesetzten Gefahren für Verkäufer oder Käufer, Gläubiger oder Schuldner ihren gleich- mäſsigen Gewinn ziehen. Das Geld, als das völlig indifferente Werk- zeug der ökonomischen Bewegung, läſst sich seine Dienste bei jeder Richtung und jedem Tempo derselben bezahlen. Für diese Freiheit muſs es freilich auch seine Steuer entrichten: die Parteilosigkeit des Geldes bewirkt, daſs an den Geldgeber leicht Ansprüche von verschiedenen, einander feindseligen Seiten gestellt werden und er leichter in den Verdacht des Verrates gerät, als irgend jemand, der mit qualitativ bestimmten Werten operiert. Im Beginn der Neuzeit, als die groſsen Geldmächte der Fugger, der Welser, der Florentiner und Genuesen in die politischen Entscheidungen eintraten, insbesondere in den gewaltigen Kampf der habsburgischen und der französischen Macht um die europäische Hegemonie, wurden sie von jeder Partei mit stetem Miſstrauen betrachtet, selbst von derjenigen, der sie un- geheure Summen geliehen hatten. Der Geldleute war man eben nie sicher, das bloſse Geldgeschäft legte sie nie auch nur für den nächsten Augenblick unzweideutig fest, und der Gegner, dessen Bekämpfung sie soeben unterstützt hatten, sah darin gar kein Hindernis, nun seiner- seits mit Forderungen oder Anerbietungen an sie heranzutreten. Das Geld hat jene sehr positive Eigenschaft, die man mit dem negativen Be- griffe der Charakterlosigkeit bezeichnet. Dem Menschen, den wir cha- rakterlos nennen, ist es wesentlich, nicht durch die innere und in- haltliche Dignität von Personen, Dingen, Gedanken sich bestimmen zu lassen, sondern durch die quantitative Macht, mit der das Einzelne ihn beeindruckt, vergewaltigt zu werden. So ist es der von allen spezi- fischen Inhalten gelöste und in reiner Quantität bestehende Charakter des Geldes, der ihm und den nur nach ihm gravitierenden Menschen die Färbung der Charakterlosigkeit einträgt — die fast logisch not- wendige Schattenseite jener Vorteile des Geldgeschäftes und der spezi- fischen Höherwertung des Geldes gegenüber qualitativen Werten. Dieses Übergewicht des Geldes drückt sich zunächst in der angeführten Er- fahrung aus, daſs der Verkäufer interessierter und beeiferter ist als der Käufer. Denn es verwirklicht sich hier eine für unser ganzes Verhalten zu den Dingen äuſserst bedeutsame Form: daſs von zwei Wertklassen, die einander gegenüberstehen und als Ganze betrachtet werden, die erste der zweiten entschieden überlegen ist, daſs aber der

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/222>, abgerufen am 25.04.2024.