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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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einzelne Inhalt oder Exemplar der zweiten einem entsprechenden der
ersten gegenüber den Vorzug hat. So würden wir, vor die Wahl
zwischen der Gesamtheit aller materiellen und aller idealen Güter gestellt,
uns wohl für die ersteren entscheiden müssen, weil der Verzicht auf
sie das Leben überhaupt, mitsamt seinen idealen Inhalten, verneinen
würde; während wir nicht schwanken mögen, jedes einzelne heraus-
gegriffene materielle Gut für irgend ein ideales dahinzugeben. So sind
wir in unseren Beziehungen zu verschiedenen Menschen gar nicht im
Zweifel, wie viel wertvoller und unentbehrlicher, als Ganzes empfunden,
uns die eine als die andere ist; dennoch in den einzelnen Momenten
und Seiten des Verhältnisses mag uns das als Ganzes wertlosere das
erfreulichere und bestechendere sein. So also verhält es sich zwischen
dem Geld und den konkreten Wertobjekten: die Wahl zwischen der Ge-
samtheit der letzteren und der des ersteren würde sogleich dessen innere
Wertlosigkeit offenbaren, da wir dann bloss ein Mittel, aber keinen
Zweck, dem es diene, mehr hätten; dagegen, das einzelne Geldquan-
tum gegen das einzelne Warenquantum gehalten, wird der Austausch
des letzteren gegen das erstere in der Regel mit sehr viel grösserer Inten-
sität als der umgekehrte begehrt. Auch besteht dieses Verhältnis
nicht nur zwischen den Gegenständen überhaupt und dem Gelde über-
haupt, sondern auch zwischen diesem und einzelnen Warenkategorien.
Die einzelne Stecknadel ist fast wertlos, Stecknadeln überhaupt aber
sind fast unentbehrlich und "gar nicht mit Geld aufzuwiegen". Un-
zählige Warenarten verhalten sich so: die Möglichkeit, für Geld das
einzelne Exemplar ohne weiteres zu beschaffen, entwertet dasselbe prin-
zipiell dem Gelde gegenüber, das Geld erscheint als die herrschende
Macht, die über den Gegenstand verfügt; dagegen die Warenart als
Ganze ist in ihrer Bedeutung für uns mit Geld ganz inkommensurabel
und hat ihm gegenüber jenen selbständigen Wert, den die leichte
Wiederbeschaffbarkeit des singulären Exemplars so oft für unser Be-
wusstsein überdeckt. Da das praktisch ökonomische Interesse sich aber-
fast ausschliesslich an das einzelne Stück heftet, so hat
die Geldwirtschaft es wirklich zustande gebracht, dass unser Wertgefühl
den Dingen gegenüber sein Mass an ihrem Geldwert zu finden pflegt.
Das aber steht ersichtlich in Wechselwirkung mit jenem überwiegen-
den Interesse, das Geld statt des Gegenstandes in Händen zu haben.

Und das läuft schliesslich in eine allgemeine Erscheinung aus,
die man das Superadditum des Reichtums nennen und dem unearned
profit der Bodenrente vergleichen könnte. Der Reiche geniesst Vor-
teile, noch über den Genuss desjenigen hinaus, was er sich für sein
Geld konkret beschaffen kann. Der Kaufmann handelt mit ihm solider

einzelne Inhalt oder Exemplar der zweiten einem entsprechenden der
ersten gegenüber den Vorzug hat. So würden wir, vor die Wahl
zwischen der Gesamtheit aller materiellen und aller idealen Güter gestellt,
uns wohl für die ersteren entscheiden müssen, weil der Verzicht auf
sie das Leben überhaupt, mitsamt seinen idealen Inhalten, verneinen
würde; während wir nicht schwanken mögen, jedes einzelne heraus-
gegriffene materielle Gut für irgend ein ideales dahinzugeben. So sind
wir in unseren Beziehungen zu verschiedenen Menschen gar nicht im
Zweifel, wie viel wertvoller und unentbehrlicher, als Ganzes empfunden,
uns die eine als die andere ist; dennoch in den einzelnen Momenten
und Seiten des Verhältnisses mag uns das als Ganzes wertlosere das
erfreulichere und bestechendere sein. So also verhält es sich zwischen
dem Geld und den konkreten Wertobjekten: die Wahl zwischen der Ge-
samtheit der letzteren und der des ersteren würde sogleich dessen innere
Wertlosigkeit offenbaren, da wir dann bloſs ein Mittel, aber keinen
Zweck, dem es diene, mehr hätten; dagegen, das einzelne Geldquan-
tum gegen das einzelne Warenquantum gehalten, wird der Austausch
des letzteren gegen das erstere in der Regel mit sehr viel gröſserer Inten-
sität als der umgekehrte begehrt. Auch besteht dieses Verhältnis
nicht nur zwischen den Gegenständen überhaupt und dem Gelde über-
haupt, sondern auch zwischen diesem und einzelnen Warenkategorien.
Die einzelne Stecknadel ist fast wertlos, Stecknadeln überhaupt aber
sind fast unentbehrlich und „gar nicht mit Geld aufzuwiegen“. Un-
zählige Warenarten verhalten sich so: die Möglichkeit, für Geld das
einzelne Exemplar ohne weiteres zu beschaffen, entwertet dasselbe prin-
zipiell dem Gelde gegenüber, das Geld erscheint als die herrschende
Macht, die über den Gegenstand verfügt; dagegen die Warenart als
Ganze ist in ihrer Bedeutung für uns mit Geld ganz inkommensurabel
und hat ihm gegenüber jenen selbständigen Wert, den die leichte
Wiederbeschaffbarkeit des singulären Exemplars so oft für unser Be-
wuſstsein überdeckt. Da das praktisch ökonomische Interesse sich aber-
fast ausschlieſslich an das einzelne Stück heftet, so hat
die Geldwirtschaft es wirklich zustande gebracht, daſs unser Wertgefühl
den Dingen gegenüber sein Maſs an ihrem Geldwert zu finden pflegt.
Das aber steht ersichtlich in Wechselwirkung mit jenem überwiegen-
den Interesse, das Geld statt des Gegenstandes in Händen zu haben.

Und das läuft schlieſslich in eine allgemeine Erscheinung aus,
die man das Superadditum des Reichtums nennen und dem unearned
profit der Bodenrente vergleichen könnte. Der Reiche genieſst Vor-
teile, noch über den Genuſs desjenigen hinaus, was er sich für sein
Geld konkret beschaffen kann. Der Kaufmann handelt mit ihm solider

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[199/0223] einzelne Inhalt oder Exemplar der zweiten einem entsprechenden der ersten gegenüber den Vorzug hat. So würden wir, vor die Wahl zwischen der Gesamtheit aller materiellen und aller idealen Güter gestellt, uns wohl für die ersteren entscheiden müssen, weil der Verzicht auf sie das Leben überhaupt, mitsamt seinen idealen Inhalten, verneinen würde; während wir nicht schwanken mögen, jedes einzelne heraus- gegriffene materielle Gut für irgend ein ideales dahinzugeben. So sind wir in unseren Beziehungen zu verschiedenen Menschen gar nicht im Zweifel, wie viel wertvoller und unentbehrlicher, als Ganzes empfunden, uns die eine als die andere ist; dennoch in den einzelnen Momenten und Seiten des Verhältnisses mag uns das als Ganzes wertlosere das erfreulichere und bestechendere sein. So also verhält es sich zwischen dem Geld und den konkreten Wertobjekten: die Wahl zwischen der Ge- samtheit der letzteren und der des ersteren würde sogleich dessen innere Wertlosigkeit offenbaren, da wir dann bloſs ein Mittel, aber keinen Zweck, dem es diene, mehr hätten; dagegen, das einzelne Geldquan- tum gegen das einzelne Warenquantum gehalten, wird der Austausch des letzteren gegen das erstere in der Regel mit sehr viel gröſserer Inten- sität als der umgekehrte begehrt. Auch besteht dieses Verhältnis nicht nur zwischen den Gegenständen überhaupt und dem Gelde über- haupt, sondern auch zwischen diesem und einzelnen Warenkategorien. Die einzelne Stecknadel ist fast wertlos, Stecknadeln überhaupt aber sind fast unentbehrlich und „gar nicht mit Geld aufzuwiegen“. Un- zählige Warenarten verhalten sich so: die Möglichkeit, für Geld das einzelne Exemplar ohne weiteres zu beschaffen, entwertet dasselbe prin- zipiell dem Gelde gegenüber, das Geld erscheint als die herrschende Macht, die über den Gegenstand verfügt; dagegen die Warenart als Ganze ist in ihrer Bedeutung für uns mit Geld ganz inkommensurabel und hat ihm gegenüber jenen selbständigen Wert, den die leichte Wiederbeschaffbarkeit des singulären Exemplars so oft für unser Be- wuſstsein überdeckt. Da das praktisch ökonomische Interesse sich aber- fast ausschlieſslich an das einzelne Stück heftet, so hat die Geldwirtschaft es wirklich zustande gebracht, daſs unser Wertgefühl den Dingen gegenüber sein Maſs an ihrem Geldwert zu finden pflegt. Das aber steht ersichtlich in Wechselwirkung mit jenem überwiegen- den Interesse, das Geld statt des Gegenstandes in Händen zu haben. Und das läuft schlieſslich in eine allgemeine Erscheinung aus, die man das Superadditum des Reichtums nennen und dem unearned profit der Bodenrente vergleichen könnte. Der Reiche genieſst Vor- teile, noch über den Genuſs desjenigen hinaus, was er sich für sein Geld konkret beschaffen kann. Der Kaufmann handelt mit ihm solider

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/223>, abgerufen am 29.03.2024.