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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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Reich im Ganzen schon als ein unteilbares galt, stattete Iwan III.
doch seine jüngeren Söhne noch mit Landesteilen aus, in denen
sie souverän schalten konnten und für die er der Zentralgewalt
ausser der höheren Gerichtsbarkeit nur das Münzrecht vorbehielt.
Ja, die lockere Sphäre, die, aus den Handelsbeziehungen eines Landes
bestehend, es jenseits seiner politischen Grenzen umgiebt, gewinnt
ausserordentlich an Ausdehnung und Konsistenz, sobald das Landes-
geld durch seine Solidität allenthalben gültig wird und so alle Punkte
dieses Kreises mit dem Ursprungsland verbindet und immer wieder
auf dasselbe zurückweist. So verlieh der Kurs des englischen Sove-
reigns in Portugal und Brasilien dem englischen Handel ein grosses
Prestige und hielt die in diese Länder ausstrahlenden Handelsbeziehungen
einheitlich zusammen. In Deutschland war der Gang der, dass bald
nach der Karolingerzeit der König einzelnen Personen und Stiften das
Prägerecht verlieh, wobei er indes noch selbst Schrot, Korn und Form
der Münzen bestimmte. Aber schon vor dem 12. Jahrhundert dürfen
die so Beliehenen Münzfuss und Stempel beliebig festsetzen und also
so viel Profit, wie sie wollen, dabei herausschlagen. So geht die
Lösung des Münzwesens von der Zentralgewalt und die Verschlechte-
rung der Münze Hand in Hand: d. h. das Geld ist um so weniger
wirklich Geld, je weniger der grösste soziologische Kreis bezw. dessen
Zentralorgan es garantiert. Die Rückläufigkeit dieses Zusammenhanges
bestätigt ihn nur: die Verelendung des Geldes wirkte ihrerseits auf
die Auflösung und den Auseinanderfall des grössten Kreises, auf dessen
Einheit es angewiesen gewesen wäre. Ja sogar eine rein formale und
symbolische Beziehung mag in diesen Erscheinungen irgendwie mit-
gewirkt haben. Zu den wesentlichen Charakterzügen von Gold und
Silber gehört ihre relative Unzerstörbarkeit, in deren Konsequenz ihr
Gesamtquantum lange Perioden hindurch fast stetig bleibt, weil jedes
durch Schürfung hinzukommende Quantum im Verhältnis zu dem be-
reits vorhandenen nur minimal ist. Während die Mehrzahl aller an-
deren Objekte verbraucht wird, in ewigem Flusse verschwindet und
sich wieder ersetzt, bleibt das Geld in seiner fast unbegrenzten Dauer-
haftigkeit von diesem Wechsel der individuellen Dinge unberührt.
Damit aber erhebt es sich über diese, wie die objektive Gruppenein-
heit über die Fluktuation der Persönlichkeiten. Denn das eben ist
ja die charakteristische Lebensform jener konkret gewordenen Ab-
straktionen der Gruppenfunktionen, dass sie jenseits der einzelnen
Verwirklichungen dieser stehen, ruhende Gebilde in der Flucht der
individuellen vorüberfliessenden Erscheinungen, die gleichsam in sie
aufgenommen, von ihnen geformt und wieder entlassen werden: das

Reich im Ganzen schon als ein unteilbares galt, stattete Iwan III.
doch seine jüngeren Söhne noch mit Landesteilen aus, in denen
sie souverän schalten konnten und für die er der Zentralgewalt
auſser der höheren Gerichtsbarkeit nur das Münzrecht vorbehielt.
Ja, die lockere Sphäre, die, aus den Handelsbeziehungen eines Landes
bestehend, es jenseits seiner politischen Grenzen umgiebt, gewinnt
auſserordentlich an Ausdehnung und Konsistenz, sobald das Landes-
geld durch seine Solidität allenthalben gültig wird und so alle Punkte
dieses Kreises mit dem Ursprungsland verbindet und immer wieder
auf dasselbe zurückweist. So verlieh der Kurs des englischen Sove-
reigns in Portugal und Brasilien dem englischen Handel ein groſses
Prestige und hielt die in diese Länder ausstrahlenden Handelsbeziehungen
einheitlich zusammen. In Deutschland war der Gang der, daſs bald
nach der Karolingerzeit der König einzelnen Personen und Stiften das
Prägerecht verlieh, wobei er indes noch selbst Schrot, Korn und Form
der Münzen bestimmte. Aber schon vor dem 12. Jahrhundert dürfen
die so Beliehenen Münzfuſs und Stempel beliebig festsetzen und also
so viel Profit, wie sie wollen, dabei herausschlagen. So geht die
Lösung des Münzwesens von der Zentralgewalt und die Verschlechte-
rung der Münze Hand in Hand: d. h. das Geld ist um so weniger
wirklich Geld, je weniger der gröſste soziologische Kreis bezw. dessen
Zentralorgan es garantiert. Die Rückläufigkeit dieses Zusammenhanges
bestätigt ihn nur: die Verelendung des Geldes wirkte ihrerseits auf
die Auflösung und den Auseinanderfall des gröſsten Kreises, auf dessen
Einheit es angewiesen gewesen wäre. Ja sogar eine rein formale und
symbolische Beziehung mag in diesen Erscheinungen irgendwie mit-
gewirkt haben. Zu den wesentlichen Charakterzügen von Gold und
Silber gehört ihre relative Unzerstörbarkeit, in deren Konsequenz ihr
Gesamtquantum lange Perioden hindurch fast stetig bleibt, weil jedes
durch Schürfung hinzukommende Quantum im Verhältnis zu dem be-
reits vorhandenen nur minimal ist. Während die Mehrzahl aller an-
deren Objekte verbraucht wird, in ewigem Flusse verschwindet und
sich wieder ersetzt, bleibt das Geld in seiner fast unbegrenzten Dauer-
haftigkeit von diesem Wechsel der individuellen Dinge unberührt.
Damit aber erhebt es sich über diese, wie die objektive Gruppenein-
heit über die Fluktuation der Persönlichkeiten. Denn das eben ist
ja die charakteristische Lebensform jener konkret gewordenen Ab-
straktionen der Gruppenfunktionen, daſs sie jenseits der einzelnen
Verwirklichungen dieser stehen, ruhende Gebilde in der Flucht der
individuellen vorüberflieſsenden Erscheinungen, die gleichsam in sie
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[159/0183] Reich im Ganzen schon als ein unteilbares galt, stattete Iwan III. doch seine jüngeren Söhne noch mit Landesteilen aus, in denen sie souverän schalten konnten und für die er der Zentralgewalt auſser der höheren Gerichtsbarkeit nur das Münzrecht vorbehielt. Ja, die lockere Sphäre, die, aus den Handelsbeziehungen eines Landes bestehend, es jenseits seiner politischen Grenzen umgiebt, gewinnt auſserordentlich an Ausdehnung und Konsistenz, sobald das Landes- geld durch seine Solidität allenthalben gültig wird und so alle Punkte dieses Kreises mit dem Ursprungsland verbindet und immer wieder auf dasselbe zurückweist. So verlieh der Kurs des englischen Sove- reigns in Portugal und Brasilien dem englischen Handel ein groſses Prestige und hielt die in diese Länder ausstrahlenden Handelsbeziehungen einheitlich zusammen. In Deutschland war der Gang der, daſs bald nach der Karolingerzeit der König einzelnen Personen und Stiften das Prägerecht verlieh, wobei er indes noch selbst Schrot, Korn und Form der Münzen bestimmte. Aber schon vor dem 12. Jahrhundert dürfen die so Beliehenen Münzfuſs und Stempel beliebig festsetzen und also so viel Profit, wie sie wollen, dabei herausschlagen. So geht die Lösung des Münzwesens von der Zentralgewalt und die Verschlechte- rung der Münze Hand in Hand: d. h. das Geld ist um so weniger wirklich Geld, je weniger der gröſste soziologische Kreis bezw. dessen Zentralorgan es garantiert. Die Rückläufigkeit dieses Zusammenhanges bestätigt ihn nur: die Verelendung des Geldes wirkte ihrerseits auf die Auflösung und den Auseinanderfall des gröſsten Kreises, auf dessen Einheit es angewiesen gewesen wäre. Ja sogar eine rein formale und symbolische Beziehung mag in diesen Erscheinungen irgendwie mit- gewirkt haben. Zu den wesentlichen Charakterzügen von Gold und Silber gehört ihre relative Unzerstörbarkeit, in deren Konsequenz ihr Gesamtquantum lange Perioden hindurch fast stetig bleibt, weil jedes durch Schürfung hinzukommende Quantum im Verhältnis zu dem be- reits vorhandenen nur minimal ist. Während die Mehrzahl aller an- deren Objekte verbraucht wird, in ewigem Flusse verschwindet und sich wieder ersetzt, bleibt das Geld in seiner fast unbegrenzten Dauer- haftigkeit von diesem Wechsel der individuellen Dinge unberührt. Damit aber erhebt es sich über diese, wie die objektive Gruppenein- heit über die Fluktuation der Persönlichkeiten. Denn das eben ist ja die charakteristische Lebensform jener konkret gewordenen Ab- straktionen der Gruppenfunktionen, daſs sie jenseits der einzelnen Verwirklichungen dieser stehen, ruhende Gebilde in der Flucht der individuellen vorüberflieſsenden Erscheinungen, die gleichsam in sie aufgenommen, von ihnen geformt und wieder entlassen werden: das

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/183>, abgerufen am 25.04.2024.