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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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mit der steigenden Sicherung seiner Verwertbarkeit sein andrer Wert-
koeffizient, der innere Metallwert, unbestimmt weit sinken kann, ohne
seinen Gesamtwert zu alterieren. Andrerseits ergiebt sich unmittel-
bar als Ursache wie als Wirkung der soziologischen Stellung des Geldes,
dass es die Beziehungen zwischen der Zentralgewalt der Gruppe und
ihren einzelnen Elementen zahlreicher, stärker und enger machen muss,
weil eben jetzt die Beziehungen dieser Elemente untereinander gleich-
sam durch jenes hindurchgeleitet werden. So haben schon die Karo-
linger ein deutliches Bestreben, den Natural- oder Viehtausch durch
Geldwirtschaft zu verdrängen. Sie verordnen oft, die Münzen dürften
nicht zurückgewiesen werden und bestrafen ihre Nichtannahme hart.
Das Münzrecht war ausschliesslich Königsrecht und so bedeutete das
Durchsetzen des Verkehrs in Münze die Erstreckung der königlichen
Macht dahin, wo früher rein privater, persönlicher Verkehrsmodus be-
stand. Es ist ganz in dem gleichen Sinne, wenn die römischen Gold-
und Silbermünzen seit Augustus ausschliesslich im Namen und Auftrag
des Kaisers geprägt wurden, wogegen das Recht, Scheidemünze aus-
zugeben, einerseits dem Senat, andrerseits den Kommunalverbänden
verblieb; und es verallgemeinert diesen Zusammenhang nur, dass grosse
Fürsten so oft auch gewaltige Münzsysteme geschaffen haben: Darius I.,
Alexander d. Gr., Augustus, Diokletian bis zu Napoleon I. Die ganze
Technik, durch die in naturalwirtschaftlichen Zeiten eine grosse soziale
Macht bestehen kann, weist sie darauf hin, sich selbst zu genügen,
sich -- wie es z. B. von den Grossgrundherrschaften seit den Mero-
vingern gilt -- zum Staat im Staate zu machen; wogegen entsprechende
Machtgebilde in der Geldwirtschaft grade im Anschluss an die Staats-
organisation erwachsen sind und sich erhalten haben. Der moderne
zentralistische Staat wurde deshalb auch an dem ungeheuren Auf-
schwung der Geldwirtschaft gross, den die beginnende Neuzeit aus der
Erschliessung der amerikanischen Metallvorräte gewann. Die Selbst-
genügsamkeit feudaler Verhältnisse wurde zerstört, indem sich in jede
Transaktion die auf die Zentralgewalt hinweisende, die Beziehungen
der Kontrahenten über sich hinausweisende Münze schob: so dass man
diese Macht des Geldes, die Einzelnen mehr an die Krone zu drängen,
enger an sie zu binden, als den tieferen Sinn des Merkantilsystems
angesprochen hat. Andrerseits gilt die Thatsache, dass die deutschen
Kaiser sich dieses Zentralisierungsmittel von den Territorialherren ent-
reissen liessen, als einer der wesentlichen Gründe für die Zersplitte-
rung des Reiches -- während die französischen und englischen Könige
des 13. und 14. Jahrhunderts die Einheit ihrer Reiche mit Hülfe
der geldwirtschaftlichen Bewegung gründeten. Als das russische

mit der steigenden Sicherung seiner Verwertbarkeit sein andrer Wert-
koeffizient, der innere Metallwert, unbestimmt weit sinken kann, ohne
seinen Gesamtwert zu alterieren. Andrerseits ergiebt sich unmittel-
bar als Ursache wie als Wirkung der soziologischen Stellung des Geldes,
daſs es die Beziehungen zwischen der Zentralgewalt der Gruppe und
ihren einzelnen Elementen zahlreicher, stärker und enger machen muſs,
weil eben jetzt die Beziehungen dieser Elemente untereinander gleich-
sam durch jenes hindurchgeleitet werden. So haben schon die Karo-
linger ein deutliches Bestreben, den Natural- oder Viehtausch durch
Geldwirtschaft zu verdrängen. Sie verordnen oft, die Münzen dürften
nicht zurückgewiesen werden und bestrafen ihre Nichtannahme hart.
Das Münzrecht war ausschlieſslich Königsrecht und so bedeutete das
Durchsetzen des Verkehrs in Münze die Erstreckung der königlichen
Macht dahin, wo früher rein privater, persönlicher Verkehrsmodus be-
stand. Es ist ganz in dem gleichen Sinne, wenn die römischen Gold-
und Silbermünzen seit Augustus ausschlieſslich im Namen und Auftrag
des Kaisers geprägt wurden, wogegen das Recht, Scheidemünze aus-
zugeben, einerseits dem Senat, andrerseits den Kommunalverbänden
verblieb; und es verallgemeinert diesen Zusammenhang nur, daſs groſse
Fürsten so oft auch gewaltige Münzsysteme geschaffen haben: Darius I.,
Alexander d. Gr., Augustus, Diokletian bis zu Napoleon I. Die ganze
Technik, durch die in naturalwirtschaftlichen Zeiten eine groſse soziale
Macht bestehen kann, weist sie darauf hin, sich selbst zu genügen,
sich — wie es z. B. von den Groſsgrundherrschaften seit den Mero-
vingern gilt — zum Staat im Staate zu machen; wogegen entsprechende
Machtgebilde in der Geldwirtschaft grade im Anschluſs an die Staats-
organisation erwachsen sind und sich erhalten haben. Der moderne
zentralistische Staat wurde deshalb auch an dem ungeheuren Auf-
schwung der Geldwirtschaft groſs, den die beginnende Neuzeit aus der
Erschlieſsung der amerikanischen Metallvorräte gewann. Die Selbst-
genügsamkeit feudaler Verhältnisse wurde zerstört, indem sich in jede
Transaktion die auf die Zentralgewalt hinweisende, die Beziehungen
der Kontrahenten über sich hinausweisende Münze schob: so daſs man
diese Macht des Geldes, die Einzelnen mehr an die Krone zu drängen,
enger an sie zu binden, als den tieferen Sinn des Merkantilsystems
angesprochen hat. Andrerseits gilt die Thatsache, daſs die deutschen
Kaiser sich dieses Zentralisierungsmittel von den Territorialherren ent-
reiſsen lieſsen, als einer der wesentlichen Gründe für die Zersplitte-
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des 13. und 14. Jahrhunderts die Einheit ihrer Reiche mit Hülfe
der geldwirtschaftlichen Bewegung gründeten. Als das russische

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[158/0182] mit der steigenden Sicherung seiner Verwertbarkeit sein andrer Wert- koeffizient, der innere Metallwert, unbestimmt weit sinken kann, ohne seinen Gesamtwert zu alterieren. Andrerseits ergiebt sich unmittel- bar als Ursache wie als Wirkung der soziologischen Stellung des Geldes, daſs es die Beziehungen zwischen der Zentralgewalt der Gruppe und ihren einzelnen Elementen zahlreicher, stärker und enger machen muſs, weil eben jetzt die Beziehungen dieser Elemente untereinander gleich- sam durch jenes hindurchgeleitet werden. So haben schon die Karo- linger ein deutliches Bestreben, den Natural- oder Viehtausch durch Geldwirtschaft zu verdrängen. Sie verordnen oft, die Münzen dürften nicht zurückgewiesen werden und bestrafen ihre Nichtannahme hart. Das Münzrecht war ausschlieſslich Königsrecht und so bedeutete das Durchsetzen des Verkehrs in Münze die Erstreckung der königlichen Macht dahin, wo früher rein privater, persönlicher Verkehrsmodus be- stand. Es ist ganz in dem gleichen Sinne, wenn die römischen Gold- und Silbermünzen seit Augustus ausschlieſslich im Namen und Auftrag des Kaisers geprägt wurden, wogegen das Recht, Scheidemünze aus- zugeben, einerseits dem Senat, andrerseits den Kommunalverbänden verblieb; und es verallgemeinert diesen Zusammenhang nur, daſs groſse Fürsten so oft auch gewaltige Münzsysteme geschaffen haben: Darius I., Alexander d. Gr., Augustus, Diokletian bis zu Napoleon I. Die ganze Technik, durch die in naturalwirtschaftlichen Zeiten eine groſse soziale Macht bestehen kann, weist sie darauf hin, sich selbst zu genügen, sich — wie es z. B. von den Groſsgrundherrschaften seit den Mero- vingern gilt — zum Staat im Staate zu machen; wogegen entsprechende Machtgebilde in der Geldwirtschaft grade im Anschluſs an die Staats- organisation erwachsen sind und sich erhalten haben. Der moderne zentralistische Staat wurde deshalb auch an dem ungeheuren Auf- schwung der Geldwirtschaft groſs, den die beginnende Neuzeit aus der Erschlieſsung der amerikanischen Metallvorräte gewann. Die Selbst- genügsamkeit feudaler Verhältnisse wurde zerstört, indem sich in jede Transaktion die auf die Zentralgewalt hinweisende, die Beziehungen der Kontrahenten über sich hinausweisende Münze schob: so daſs man diese Macht des Geldes, die Einzelnen mehr an die Krone zu drängen, enger an sie zu binden, als den tieferen Sinn des Merkantilsystems angesprochen hat. Andrerseits gilt die Thatsache, daſs die deutschen Kaiser sich dieses Zentralisierungsmittel von den Territorialherren ent- reiſsen lieſsen, als einer der wesentlichen Gründe für die Zersplitte- rung des Reiches — während die französischen und englischen Könige des 13. und 14. Jahrhunderts die Einheit ihrer Reiche mit Hülfe der geldwirtschaftlichen Bewegung gründeten. Als das russische

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/182>, abgerufen am 29.03.2024.