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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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und teilweise auch in Deutschland die Goldschmiede. Der Münzwechsel,
der im Mittelalter überhaupt erst den Geldverkehr trug (da in jedem
Orte prinzipiell nur in seiner Lokalmünze gezahlt werden durfte), war
ursprünglich das Privileg der Münze selbst, der "Münzer Hausgenossen".
Erst als später die Städte die Münze erwarben, wurde das Wechsel-
geschäft und der Edelmetall-Handel von der Münze getrennt. Die Funk-
tion der Münze ist also zunächst, gleichsam durch Personalunion, an
ihren Stoff gebunden; sobald die öffentliche Gewalt für sie garantiert,
wird sie von den sonst mit ihr liierten Beziehungen unabhängig, der
Wechsel und der Handel mit ihrem Material steht jedem frei, und
zwar grade in dem Masse, in dem ihre Funktion als Geld überindivi-
duell gesicherter wird. Die wachsende Entpersonalisierung des Geldes,
sein immer engeres Verhältnis zu dem zentralisierten grössten Sozial-
kreise steht in genauer und wirksamer Beziehung zu der Accentuierung
seiner Funktionen in ihrer Selbständigkeit gegenüber dem Metallwert.
Es ist die Sicherheit des Geldes, auf der sein Wert ruht und als
deren Träger die politische Zentralgewalt allmählich durch die unmittel-
bare Bedeutung des Metalls, sie verdrängend, hindurchwächst. Hier liegt
eine Analogie zu einer wenig beachteten Nüance des Wertempfindens
vor. Sobald der Wert eines Objektes darauf beruht, dass es uns ein
anderes zugängig macht, so ist sein Wert durch die beiden Koeffi-
zienten bestimmt: den inhaltlichen Wert dessen, was es uns ver-
mittelt, und die Sicherheit, mit der ihm diese Vermittlung gelingt; die
Erniedrigung des einen Koeffizienten kann, bis zu einer gewissen
Grenze, den Gesamtwert ungeändert lassen, wenn ihr eine Erhöhung
des andern entspricht. So ist die Bedeutung einer Erkenntnis für
uns gleich dem Produkt aus ihrer Sicherheit und der Wichtigkeit ihres
Inhaltes. In den Naturwissenschaften pflegt der erstere, in den Geistes-
wissenschaften der letztere Koeffizient zu überwiegen, wodurch dann
prinzipiell eine Gleichheit ihres Gesamtwertes möglich ist; nur wenn
man, wie Aristoteles, an der Sicherheit des Wissens nicht zweifelt, kann
man seinen Wert ausschliesslich von dem seines Objekts abhängen
lassen. So ist der Wert eines Lotterielooses ein Produkt aus der
Wahrscheinlichkeit, dass es gezogen wird, und der Höhe des eventuellen
Gewinnes, so der Wert jedes beliebigen Handelns gleich dem Produkt
aus der Wahrscheinlichkeit, dass es seinen Zweck erreicht und der
Wichtigkeit dieses Zwecks, so der Wert eines Rentenpapiers zusammen-
gesetzt aus der Sicherheit für das Kapital und der Höhe der Verzinsung.
Nun verhält sich das Geld zwar nicht genau ebenso, denn seiner
steigenden Sicherheit entspricht keine Wertminderung der Objekte,
deren Erlangung es sichert; aber die Analogie gilt doch so weit, dass

und teilweise auch in Deutschland die Goldschmiede. Der Münzwechsel,
der im Mittelalter überhaupt erst den Geldverkehr trug (da in jedem
Orte prinzipiell nur in seiner Lokalmünze gezahlt werden durfte), war
ursprünglich das Privileg der Münze selbst, der „Münzer Hausgenossen“.
Erst als später die Städte die Münze erwarben, wurde das Wechsel-
geschäft und der Edelmetall-Handel von der Münze getrennt. Die Funk-
tion der Münze ist also zunächst, gleichsam durch Personalunion, an
ihren Stoff gebunden; sobald die öffentliche Gewalt für sie garantiert,
wird sie von den sonst mit ihr liierten Beziehungen unabhängig, der
Wechsel und der Handel mit ihrem Material steht jedem frei, und
zwar grade in dem Maſse, in dem ihre Funktion als Geld überindivi-
duell gesicherter wird. Die wachsende Entpersonalisierung des Geldes,
sein immer engeres Verhältnis zu dem zentralisierten gröſsten Sozial-
kreise steht in genauer und wirksamer Beziehung zu der Accentuierung
seiner Funktionen in ihrer Selbständigkeit gegenüber dem Metallwert.
Es ist die Sicherheit des Geldes, auf der sein Wert ruht und als
deren Träger die politische Zentralgewalt allmählich durch die unmittel-
bare Bedeutung des Metalls, sie verdrängend, hindurchwächst. Hier liegt
eine Analogie zu einer wenig beachteten Nüance des Wertempfindens
vor. Sobald der Wert eines Objektes darauf beruht, daſs es uns ein
anderes zugängig macht, so ist sein Wert durch die beiden Koeffi-
zienten bestimmt: den inhaltlichen Wert dessen, was es uns ver-
mittelt, und die Sicherheit, mit der ihm diese Vermittlung gelingt; die
Erniedrigung des einen Koeffizienten kann, bis zu einer gewissen
Grenze, den Gesamtwert ungeändert lassen, wenn ihr eine Erhöhung
des andern entspricht. So ist die Bedeutung einer Erkenntnis für
uns gleich dem Produkt aus ihrer Sicherheit und der Wichtigkeit ihres
Inhaltes. In den Naturwissenschaften pflegt der erstere, in den Geistes-
wissenschaften der letztere Koeffizient zu überwiegen, wodurch dann
prinzipiell eine Gleichheit ihres Gesamtwertes möglich ist; nur wenn
man, wie Aristoteles, an der Sicherheit des Wissens nicht zweifelt, kann
man seinen Wert ausschlieſslich von dem seines Objekts abhängen
lassen. So ist der Wert eines Lotterielooses ein Produkt aus der
Wahrscheinlichkeit, daſs es gezogen wird, und der Höhe des eventuellen
Gewinnes, so der Wert jedes beliebigen Handelns gleich dem Produkt
aus der Wahrscheinlichkeit, daſs es seinen Zweck erreicht und der
Wichtigkeit dieses Zwecks, so der Wert eines Rentenpapiers zusammen-
gesetzt aus der Sicherheit für das Kapital und der Höhe der Verzinsung.
Nun verhält sich das Geld zwar nicht genau ebenso, denn seiner
steigenden Sicherheit entspricht keine Wertminderung der Objekte,
deren Erlangung es sichert; aber die Analogie gilt doch so weit, daſs

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[157/0181] und teilweise auch in Deutschland die Goldschmiede. Der Münzwechsel, der im Mittelalter überhaupt erst den Geldverkehr trug (da in jedem Orte prinzipiell nur in seiner Lokalmünze gezahlt werden durfte), war ursprünglich das Privileg der Münze selbst, der „Münzer Hausgenossen“. Erst als später die Städte die Münze erwarben, wurde das Wechsel- geschäft und der Edelmetall-Handel von der Münze getrennt. Die Funk- tion der Münze ist also zunächst, gleichsam durch Personalunion, an ihren Stoff gebunden; sobald die öffentliche Gewalt für sie garantiert, wird sie von den sonst mit ihr liierten Beziehungen unabhängig, der Wechsel und der Handel mit ihrem Material steht jedem frei, und zwar grade in dem Maſse, in dem ihre Funktion als Geld überindivi- duell gesicherter wird. Die wachsende Entpersonalisierung des Geldes, sein immer engeres Verhältnis zu dem zentralisierten gröſsten Sozial- kreise steht in genauer und wirksamer Beziehung zu der Accentuierung seiner Funktionen in ihrer Selbständigkeit gegenüber dem Metallwert. Es ist die Sicherheit des Geldes, auf der sein Wert ruht und als deren Träger die politische Zentralgewalt allmählich durch die unmittel- bare Bedeutung des Metalls, sie verdrängend, hindurchwächst. Hier liegt eine Analogie zu einer wenig beachteten Nüance des Wertempfindens vor. Sobald der Wert eines Objektes darauf beruht, daſs es uns ein anderes zugängig macht, so ist sein Wert durch die beiden Koeffi- zienten bestimmt: den inhaltlichen Wert dessen, was es uns ver- mittelt, und die Sicherheit, mit der ihm diese Vermittlung gelingt; die Erniedrigung des einen Koeffizienten kann, bis zu einer gewissen Grenze, den Gesamtwert ungeändert lassen, wenn ihr eine Erhöhung des andern entspricht. So ist die Bedeutung einer Erkenntnis für uns gleich dem Produkt aus ihrer Sicherheit und der Wichtigkeit ihres Inhaltes. In den Naturwissenschaften pflegt der erstere, in den Geistes- wissenschaften der letztere Koeffizient zu überwiegen, wodurch dann prinzipiell eine Gleichheit ihres Gesamtwertes möglich ist; nur wenn man, wie Aristoteles, an der Sicherheit des Wissens nicht zweifelt, kann man seinen Wert ausschlieſslich von dem seines Objekts abhängen lassen. So ist der Wert eines Lotterielooses ein Produkt aus der Wahrscheinlichkeit, daſs es gezogen wird, und der Höhe des eventuellen Gewinnes, so der Wert jedes beliebigen Handelns gleich dem Produkt aus der Wahrscheinlichkeit, daſs es seinen Zweck erreicht und der Wichtigkeit dieses Zwecks, so der Wert eines Rentenpapiers zusammen- gesetzt aus der Sicherheit für das Kapital und der Höhe der Verzinsung. Nun verhält sich das Geld zwar nicht genau ebenso, denn seiner steigenden Sicherheit entspricht keine Wertminderung der Objekte, deren Erlangung es sichert; aber die Analogie gilt doch so weit, daſs

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/181>, abgerufen am 25.11.2024.