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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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grosse zentralisierende Tendenz der Neuzeit, die ihrer gleichzeitig in-
dividualisierenden in keiner Weise widerspricht: beides sind vielmehr
die Seiten eines Prozesses, einer schärferen Differenzierung, einer
neuen Zusammenfassung der der Gesellschaft und der dem eignen
Subjekt zugewendeten Seiten der Persönlichkeit. Die Entwicklung
läutert aus dem Wesen des Geldes alle individualistisch vereinzelnden
Elemente heraus und macht die zentralisierten Kräfte des weitesten
sozialen Kreises zu seinen Trägern. Die abstrakte Vermögensform des
Geldes trägt diese Entwicklung ebenso dem Personalkredit wie dem
Staatskredit ein. Die Fürsten als Personen besassen noch im 15. und An-
fangs des 16. Jahrhunderts im ganzen wenig Kredit; nicht nach ihrer
eignen Kreditwürdigkeit, sondern nach dem Wert der Bürgschaften und
Pfänder wurde gefragt. Der Personalkredit beruht darauf, dass man
annimmt: wie auch die Objekte wechseln mögen, die den Besitz des
Schuldners bilden, die Wertsumme seines Besitzes wird immer für die
bestimmte Schuld gut sein. Erst wenn das Vermögen jemandes als
Wert überhaupt, d. h. in Geld taxiert ist, kann er als Person einen
dauernden Kredit haben; sonst muss dieser von dem wechselnden Ob-
jektbesitze abhängen. Es erscheint als ein Übergang von dieser letzteren
Stufe zu der heutigen, dass noch im 18. Jahrhundert die meisten
Schulden auf bestimmte Summen bestimmter Münzsorten lauteten. Es
war also der Begriff des abstrakten, von jeder Spezialform gelösten
Wertes noch nicht völlig wirksam geworden -- jenes Wertes, hinter
dem nicht mehr eine sachliche Bestimmtheit, sondern nur noch der
Staat oder die Einzelpersönlichkeit als Garanten stehe.

Die Hauptsache aber ist, dass die Bedeutung des Metalls für das
Geldwesen immer mehr hinter die Sicherung seines funktionellen
Wertes durch die Organisation des Gemeinwesens zurücktritt. Denn
das Metall ist eben ursprünglich immer Privatbesitz und darum können
die öffentlichen Interessen und Kräfte nie absolut Herr darüber werden.
Man kann sagen, dass das Geld immer mehr eine öffentliche Einrich-
tung in immer strengerem Sinne des Wortes wird: es besteht mehr
und mehr aus dem, was die öffentliche Macht, die öffentlichen Insti-
tutionen, die von der Gesamtheit getragenen Verkehrsarten und Garan-
tien daraus machen und wozu sie es legitimieren. Es ist deshalb be-
zeichnend, dass in früheren Epochen das Geld gleichsam noch nicht
allein, auf seiner abstrakten Funktion, stehen kann; das Geldgeschäft
lehnt sich entweder an spezifische Betriebe oder an die technische
Herstellung der Münze oder an den Handel mit Edelmetallen an. So
waren es in Wien anfangs des 13. Jahrhunderts die flämischen Tuch-
färber, die regelmässige Wechselgeschäfte besorgten, wie in England

groſse zentralisierende Tendenz der Neuzeit, die ihrer gleichzeitig in-
dividualisierenden in keiner Weise widerspricht: beides sind vielmehr
die Seiten eines Prozesses, einer schärferen Differenzierung, einer
neuen Zusammenfassung der der Gesellschaft und der dem eignen
Subjekt zugewendeten Seiten der Persönlichkeit. Die Entwicklung
läutert aus dem Wesen des Geldes alle individualistisch vereinzelnden
Elemente heraus und macht die zentralisierten Kräfte des weitesten
sozialen Kreises zu seinen Trägern. Die abstrakte Vermögensform des
Geldes trägt diese Entwicklung ebenso dem Personalkredit wie dem
Staatskredit ein. Die Fürsten als Personen besaſsen noch im 15. und An-
fangs des 16. Jahrhunderts im ganzen wenig Kredit; nicht nach ihrer
eignen Kreditwürdigkeit, sondern nach dem Wert der Bürgschaften und
Pfänder wurde gefragt. Der Personalkredit beruht darauf, daſs man
annimmt: wie auch die Objekte wechseln mögen, die den Besitz des
Schuldners bilden, die Wertsumme seines Besitzes wird immer für die
bestimmte Schuld gut sein. Erst wenn das Vermögen jemandes als
Wert überhaupt, d. h. in Geld taxiert ist, kann er als Person einen
dauernden Kredit haben; sonst muſs dieser von dem wechselnden Ob-
jektbesitze abhängen. Es erscheint als ein Übergang von dieser letzteren
Stufe zu der heutigen, daſs noch im 18. Jahrhundert die meisten
Schulden auf bestimmte Summen bestimmter Münzsorten lauteten. Es
war also der Begriff des abstrakten, von jeder Spezialform gelösten
Wertes noch nicht völlig wirksam geworden — jenes Wertes, hinter
dem nicht mehr eine sachliche Bestimmtheit, sondern nur noch der
Staat oder die Einzelpersönlichkeit als Garanten stehe.

Die Hauptsache aber ist, daſs die Bedeutung des Metalls für das
Geldwesen immer mehr hinter die Sicherung seines funktionellen
Wertes durch die Organisation des Gemeinwesens zurücktritt. Denn
das Metall ist eben ursprünglich immer Privatbesitz und darum können
die öffentlichen Interessen und Kräfte nie absolut Herr darüber werden.
Man kann sagen, daſs das Geld immer mehr eine öffentliche Einrich-
tung in immer strengerem Sinne des Wortes wird: es besteht mehr
und mehr aus dem, was die öffentliche Macht, die öffentlichen Insti-
tutionen, die von der Gesamtheit getragenen Verkehrsarten und Garan-
tien daraus machen und wozu sie es legitimieren. Es ist deshalb be-
zeichnend, daſs in früheren Epochen das Geld gleichsam noch nicht
allein, auf seiner abstrakten Funktion, stehen kann; das Geldgeschäft
lehnt sich entweder an spezifische Betriebe oder an die technische
Herstellung der Münze oder an den Handel mit Edelmetallen an. So
waren es in Wien anfangs des 13. Jahrhunderts die flämischen Tuch-
färber, die regelmässige Wechselgeschäfte besorgten, wie in England

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[156/0180] groſse zentralisierende Tendenz der Neuzeit, die ihrer gleichzeitig in- dividualisierenden in keiner Weise widerspricht: beides sind vielmehr die Seiten eines Prozesses, einer schärferen Differenzierung, einer neuen Zusammenfassung der der Gesellschaft und der dem eignen Subjekt zugewendeten Seiten der Persönlichkeit. Die Entwicklung läutert aus dem Wesen des Geldes alle individualistisch vereinzelnden Elemente heraus und macht die zentralisierten Kräfte des weitesten sozialen Kreises zu seinen Trägern. Die abstrakte Vermögensform des Geldes trägt diese Entwicklung ebenso dem Personalkredit wie dem Staatskredit ein. Die Fürsten als Personen besaſsen noch im 15. und An- fangs des 16. Jahrhunderts im ganzen wenig Kredit; nicht nach ihrer eignen Kreditwürdigkeit, sondern nach dem Wert der Bürgschaften und Pfänder wurde gefragt. Der Personalkredit beruht darauf, daſs man annimmt: wie auch die Objekte wechseln mögen, die den Besitz des Schuldners bilden, die Wertsumme seines Besitzes wird immer für die bestimmte Schuld gut sein. Erst wenn das Vermögen jemandes als Wert überhaupt, d. h. in Geld taxiert ist, kann er als Person einen dauernden Kredit haben; sonst muſs dieser von dem wechselnden Ob- jektbesitze abhängen. Es erscheint als ein Übergang von dieser letzteren Stufe zu der heutigen, daſs noch im 18. Jahrhundert die meisten Schulden auf bestimmte Summen bestimmter Münzsorten lauteten. Es war also der Begriff des abstrakten, von jeder Spezialform gelösten Wertes noch nicht völlig wirksam geworden — jenes Wertes, hinter dem nicht mehr eine sachliche Bestimmtheit, sondern nur noch der Staat oder die Einzelpersönlichkeit als Garanten stehe. Die Hauptsache aber ist, daſs die Bedeutung des Metalls für das Geldwesen immer mehr hinter die Sicherung seines funktionellen Wertes durch die Organisation des Gemeinwesens zurücktritt. Denn das Metall ist eben ursprünglich immer Privatbesitz und darum können die öffentlichen Interessen und Kräfte nie absolut Herr darüber werden. Man kann sagen, daſs das Geld immer mehr eine öffentliche Einrich- tung in immer strengerem Sinne des Wortes wird: es besteht mehr und mehr aus dem, was die öffentliche Macht, die öffentlichen Insti- tutionen, die von der Gesamtheit getragenen Verkehrsarten und Garan- tien daraus machen und wozu sie es legitimieren. Es ist deshalb be- zeichnend, daſs in früheren Epochen das Geld gleichsam noch nicht allein, auf seiner abstrakten Funktion, stehen kann; das Geldgeschäft lehnt sich entweder an spezifische Betriebe oder an die technische Herstellung der Münze oder an den Handel mit Edelmetallen an. So waren es in Wien anfangs des 13. Jahrhunderts die flämischen Tuch- färber, die regelmässige Wechselgeschäfte besorgten, wie in England

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/180>, abgerufen am 27.04.2024.