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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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Person vorstellen. Gleichviel wie die in Dunkel gehüllten historischen
Anfänge des gesellschaftlichen Lebens wirklich gestaltet waren -- seine
genetische und systematische Betrachtung muss diese einfachste und
unmittelbarste Beziehung zum Grunde legen, von der wir doch schliesslich
auch heute noch unzählige gesellschaftliche Neubildungen ausgehen sehen.
Die weitere Entwicklung ersetzt nun diese Unmittelbarkeit der wechsel-
wirkenden Kräfte durch die Schaffung höherer überpersönlicher Gebilde,
die als gesonderte Träger eben jener Kräfte auftreten und die Be-
ziehungen der Individuen untereinander durch sich hindurchleiten und
vermitteln. Diese Gebilde bieten sich in den verschiedensten Er-
scheinungsarten dar: in greifbarer Realität wie als blosse Ideen und
Phantasieprodukte, als weitverzweigte Organisationen wie in der Ver-
körperung durch Einzelpersonen. So bildeten sich aus den Erforderlich-
keiten und Usancen, die sich im Verkehr der Gruppengenossen zunächst
von Fall zu Fall entwickeln und sich schliesslich fixieren, die objek-
tiven Gesetze der Sitte, des Rechts, der Moral -- ideale Erzeugnisse
des menschlichen Vorstellens und Wertens, die nun für unser Denken
ganz jenseits des einzelnen Wollens und Handelns stehen, gleichsam
als dessen losgelöste "reine Formen". So verkörpert sich, diesen
Prozess fortsetzend, das Staatsgesetz in dem Richterstand und der ganzen
Verwaltungshierarchie; so die zusammenhaltende Kraft einer politischen
Partei in dem Parteivorstand und der parlamentarischen Vertretung;
so verlegt sich die Kohäsion eines Regimentes in seine Fahne, einer
mystischen Vereinigung in ihren Gral u. s. w. Es werden also die
Wechselwirkungen unter den interessierten Elementen selbst, die die
soziale Einheit erzeugen, dadurch ersetzt, dass jedes dieser Elemente
für sich zu dem darüber oder dazwischen geschobenen Organe in Be-
ziehung tritt. In diese Kategorie substanzgewordener Sozialfunktionen
gehört das Geld. Die Funktion des Tausches, eine unmittelbare
Wechselwirkung unter Individuen, ist mit ihm zu einem für sich be-
stehenden Gebilde kristallisiert. Der Austausch der Arbeitsprodukte
oder des sonst aus irgend einer Quelle her Besessenen, ist offenbar eine
der reinsten und primitivsten Formen menschlicher Vergesellschaftung;
und zwar nicht so, dass die "Gesellschaft" schon perfekt wäre, und
dann käme es zu Tauschakten innerhalb ihrer; sondern der Tausch
selbst ist eine der Funktionen, die aus dem blossen Nebeneinander der
Individuen ihre innerliche Verknüpfung, die Gesellschaft, zustande
bringen; denn die Gesellschaft ist nicht eine absolute Einheit, die erst
dasein müsste, damit alle die einzelnen Beziehungen ihrer Mitglieder:
Über- und Unterordnung, Kohäsion, Nachahmungen, Arbeitsteilung,
Tausch, gleichgerichtete Angriffe und Verteidigungen, religiöse Gemein-

Person vorstellen. Gleichviel wie die in Dunkel gehüllten historischen
Anfänge des gesellschaftlichen Lebens wirklich gestaltet waren — seine
genetische und systematische Betrachtung muſs diese einfachste und
unmittelbarste Beziehung zum Grunde legen, von der wir doch schlieſslich
auch heute noch unzählige gesellschaftliche Neubildungen ausgehen sehen.
Die weitere Entwicklung ersetzt nun diese Unmittelbarkeit der wechsel-
wirkenden Kräfte durch die Schaffung höherer überpersönlicher Gebilde,
die als gesonderte Träger eben jener Kräfte auftreten und die Be-
ziehungen der Individuen untereinander durch sich hindurchleiten und
vermitteln. Diese Gebilde bieten sich in den verschiedensten Er-
scheinungsarten dar: in greifbarer Realität wie als bloſse Ideen und
Phantasieprodukte, als weitverzweigte Organisationen wie in der Ver-
körperung durch Einzelpersonen. So bildeten sich aus den Erforderlich-
keiten und Usancen, die sich im Verkehr der Gruppengenossen zunächst
von Fall zu Fall entwickeln und sich schlieſslich fixieren, die objek-
tiven Gesetze der Sitte, des Rechts, der Moral — ideale Erzeugnisse
des menschlichen Vorstellens und Wertens, die nun für unser Denken
ganz jenseits des einzelnen Wollens und Handelns stehen, gleichsam
als dessen losgelöste „reine Formen“. So verkörpert sich, diesen
Prozeſs fortsetzend, das Staatsgesetz in dem Richterstand und der ganzen
Verwaltungshierarchie; so die zusammenhaltende Kraft einer politischen
Partei in dem Parteivorstand und der parlamentarischen Vertretung;
so verlegt sich die Kohäsion eines Regimentes in seine Fahne, einer
mystischen Vereinigung in ihren Gral u. s. w. Es werden also die
Wechselwirkungen unter den interessierten Elementen selbst, die die
soziale Einheit erzeugen, dadurch ersetzt, daſs jedes dieser Elemente
für sich zu dem darüber oder dazwischen geschobenen Organe in Be-
ziehung tritt. In diese Kategorie substanzgewordener Sozialfunktionen
gehört das Geld. Die Funktion des Tausches, eine unmittelbare
Wechselwirkung unter Individuen, ist mit ihm zu einem für sich be-
stehenden Gebilde kristallisiert. Der Austausch der Arbeitsprodukte
oder des sonst aus irgend einer Quelle her Besessenen, ist offenbar eine
der reinsten und primitivsten Formen menschlicher Vergesellschaftung;
und zwar nicht so, daſs die „Gesellschaft“ schon perfekt wäre, und
dann käme es zu Tauschakten innerhalb ihrer; sondern der Tausch
selbst ist eine der Funktionen, die aus dem bloſsen Nebeneinander der
Individuen ihre innerliche Verknüpfung, die Gesellschaft, zustande
bringen; denn die Gesellschaft ist nicht eine absolute Einheit, die erst
dasein müſste, damit alle die einzelnen Beziehungen ihrer Mitglieder:
Über- und Unterordnung, Kohäsion, Nachahmungen, Arbeitsteilung,
Tausch, gleichgerichtete Angriffe und Verteidigungen, religiöse Gemein-

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[144/0168] Person vorstellen. Gleichviel wie die in Dunkel gehüllten historischen Anfänge des gesellschaftlichen Lebens wirklich gestaltet waren — seine genetische und systematische Betrachtung muſs diese einfachste und unmittelbarste Beziehung zum Grunde legen, von der wir doch schlieſslich auch heute noch unzählige gesellschaftliche Neubildungen ausgehen sehen. Die weitere Entwicklung ersetzt nun diese Unmittelbarkeit der wechsel- wirkenden Kräfte durch die Schaffung höherer überpersönlicher Gebilde, die als gesonderte Träger eben jener Kräfte auftreten und die Be- ziehungen der Individuen untereinander durch sich hindurchleiten und vermitteln. Diese Gebilde bieten sich in den verschiedensten Er- scheinungsarten dar: in greifbarer Realität wie als bloſse Ideen und Phantasieprodukte, als weitverzweigte Organisationen wie in der Ver- körperung durch Einzelpersonen. So bildeten sich aus den Erforderlich- keiten und Usancen, die sich im Verkehr der Gruppengenossen zunächst von Fall zu Fall entwickeln und sich schlieſslich fixieren, die objek- tiven Gesetze der Sitte, des Rechts, der Moral — ideale Erzeugnisse des menschlichen Vorstellens und Wertens, die nun für unser Denken ganz jenseits des einzelnen Wollens und Handelns stehen, gleichsam als dessen losgelöste „reine Formen“. So verkörpert sich, diesen Prozeſs fortsetzend, das Staatsgesetz in dem Richterstand und der ganzen Verwaltungshierarchie; so die zusammenhaltende Kraft einer politischen Partei in dem Parteivorstand und der parlamentarischen Vertretung; so verlegt sich die Kohäsion eines Regimentes in seine Fahne, einer mystischen Vereinigung in ihren Gral u. s. w. Es werden also die Wechselwirkungen unter den interessierten Elementen selbst, die die soziale Einheit erzeugen, dadurch ersetzt, daſs jedes dieser Elemente für sich zu dem darüber oder dazwischen geschobenen Organe in Be- ziehung tritt. In diese Kategorie substanzgewordener Sozialfunktionen gehört das Geld. Die Funktion des Tausches, eine unmittelbare Wechselwirkung unter Individuen, ist mit ihm zu einem für sich be- stehenden Gebilde kristallisiert. Der Austausch der Arbeitsprodukte oder des sonst aus irgend einer Quelle her Besessenen, ist offenbar eine der reinsten und primitivsten Formen menschlicher Vergesellschaftung; und zwar nicht so, daſs die „Gesellschaft“ schon perfekt wäre, und dann käme es zu Tauschakten innerhalb ihrer; sondern der Tausch selbst ist eine der Funktionen, die aus dem bloſsen Nebeneinander der Individuen ihre innerliche Verknüpfung, die Gesellschaft, zustande bringen; denn die Gesellschaft ist nicht eine absolute Einheit, die erst dasein müſste, damit alle die einzelnen Beziehungen ihrer Mitglieder: Über- und Unterordnung, Kohäsion, Nachahmungen, Arbeitsteilung, Tausch, gleichgerichtete Angriffe und Verteidigungen, religiöse Gemein-

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/168>, abgerufen am 24.11.2024.