zwischen Haupt und Gliedern des Staatskörpers, der Belebtheit der Staatsexistenz als solcher, dass nicht mehr in dem substanziellen Be- sitze, sondern in der Fruchtbarkeit des Geldes für das Gedeihen der Industrie etc. der Endzweck seines Erwerbes gesucht wurde. Als dann die liberalen Tendenzen das staatliche Leben zu immer freierem Fluss, immer ungehemmterer Geschmeidigkeit, immer labilerem Gleichgewicht der Elemente führten, war die materielle Grundlage für die Theorie Adam Smiths gegeben: dass Gold und Silber blosse Werkzeuge sind, nicht anders als Kochgeräte, und dass ihr Import an und für sich so wenig den Wohlstand der Länder steigere, wie man durch die Vermehrung der Kochgeräte schon mehr zu essen habe. Haben sich schliesslich die alten substanziellen Ordnungen soweit aufgelöst, um anarchistische Ideale zu ermöglichen, so wird in ihnen begreiflicherweise auch diese Richtung der Geldtheorie ihr Extrem erreichen. Proudhon, der alle festen Staatsgebilde beseitigen und die freie unmittelbare Wechselwirkung der Individuen als die einzig richtige Form des sozialen Lebens an- erkennen will, bekämpft den Gebrauch des Geldes überhaupt; denn in ihm sieht er ein genaues Analogon jener Herrschaftsgebilde, die aus den Individuen ihre lebendige Wechselwirkung heraussaugen und in sich kristallisieren. Es müsse daher die Tauschbarkeit der Werte ohne Dazwischenkunft des Geldes begründet werden, ebenso wie die Regierung der Gesellschaft durch alle Bürger ohne Dazwischenkunft des Königs; und wie man jedem Bürger das Stimmrecht gegeben habe, so müsse jede Ware an und für sich und ohne Vermittlung des Geldes zum Wertrepräsentanten werden. -- Mit der Ansicht Adam Smiths ist die Richtung auf die hier vertretene Geldtheorie eingeschlagen, die man im Gegensatz zu den materialistischen, als spiritualistische (vielleicht als erkenntnistheoretische) bezeichnen kann. Denn während jene die Wert- bedeutung der lebendigen wirtschaftlichen Vorgänge in eine Substanz setzen, wird hier umgekehrt aller Wert der Substanz in Funktionen gesetzt. So erklärt der Materialismus: der Geist ist Materie, der Spiri- tualismus: die Materie ist Geist. Der eine Standpunkt lässt die Be- wegung zur Substanz erstarren, der andere löst die Substanz in Be- wegung auf. Wenn uns die eine Annahme als Irrtum erscheint, so war derselbe, wie wir einsehen, kein zufälliger, sondern der angemessene theoretische Ausdruck eines thatsächlichen soziologischen Zustandes, der erst durch reale Mächte überwunden werden musste, ehe sein theore- tisches Gegenbild durch theoretische überwunden werden konnte.
Der weitere Zusammenhang, in den sich der soziologische Charakter des Geldes einstellt, ist dieser. Als den Ausgangspunkt aller sozialen Gestaltung können wir uns nur die Wechselwirkung von Person zu
zwischen Haupt und Gliedern des Staatskörpers, der Belebtheit der Staatsexistenz als solcher, daſs nicht mehr in dem substanziellen Be- sitze, sondern in der Fruchtbarkeit des Geldes für das Gedeihen der Industrie etc. der Endzweck seines Erwerbes gesucht wurde. Als dann die liberalen Tendenzen das staatliche Leben zu immer freierem Fluſs, immer ungehemmterer Geschmeidigkeit, immer labilerem Gleichgewicht der Elemente führten, war die materielle Grundlage für die Theorie Adam Smiths gegeben: daſs Gold und Silber bloſse Werkzeuge sind, nicht anders als Kochgeräte, und daſs ihr Import an und für sich so wenig den Wohlstand der Länder steigere, wie man durch die Vermehrung der Kochgeräte schon mehr zu essen habe. Haben sich schlieſslich die alten substanziellen Ordnungen soweit aufgelöst, um anarchistische Ideale zu ermöglichen, so wird in ihnen begreiflicherweise auch diese Richtung der Geldtheorie ihr Extrem erreichen. Proudhon, der alle festen Staatsgebilde beseitigen und die freie unmittelbare Wechselwirkung der Individuen als die einzig richtige Form des sozialen Lebens an- erkennen will, bekämpft den Gebrauch des Geldes überhaupt; denn in ihm sieht er ein genaues Analogon jener Herrschaftsgebilde, die aus den Individuen ihre lebendige Wechselwirkung heraussaugen und in sich kristallisieren. Es müsse daher die Tauschbarkeit der Werte ohne Dazwischenkunft des Geldes begründet werden, ebenso wie die Regierung der Gesellschaft durch alle Bürger ohne Dazwischenkunft des Königs; und wie man jedem Bürger das Stimmrecht gegeben habe, so müsse jede Ware an und für sich und ohne Vermittlung des Geldes zum Wertrepräsentanten werden. — Mit der Ansicht Adam Smiths ist die Richtung auf die hier vertretene Geldtheorie eingeschlagen, die man im Gegensatz zu den materialistischen, als spiritualistische (vielleicht als erkenntnistheoretische) bezeichnen kann. Denn während jene die Wert- bedeutung der lebendigen wirtschaftlichen Vorgänge in eine Substanz setzen, wird hier umgekehrt aller Wert der Substanz in Funktionen gesetzt. So erklärt der Materialismus: der Geist ist Materie, der Spiri- tualismus: die Materie ist Geist. Der eine Standpunkt läſst die Be- wegung zur Substanz erstarren, der andere löst die Substanz in Be- wegung auf. Wenn uns die eine Annahme als Irrtum erscheint, so war derselbe, wie wir einsehen, kein zufälliger, sondern der angemessene theoretische Ausdruck eines thatsächlichen soziologischen Zustandes, der erst durch reale Mächte überwunden werden muſste, ehe sein theore- tisches Gegenbild durch theoretische überwunden werden konnte.
Der weitere Zusammenhang, in den sich der soziologische Charakter des Geldes einstellt, ist dieser. Als den Ausgangspunkt aller sozialen Gestaltung können wir uns nur die Wechselwirkung von Person zu
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zwischen Haupt und Gliedern des Staatskörpers, der Belebtheit der
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Industrie etc. der Endzweck seines Erwerbes gesucht wurde. Als dann
die liberalen Tendenzen das staatliche Leben zu immer freierem Fluſs,
immer ungehemmterer Geschmeidigkeit, immer labilerem Gleichgewicht
der Elemente führten, war die materielle Grundlage für die Theorie
Adam Smiths gegeben: daſs Gold und Silber bloſse Werkzeuge sind,
nicht anders als Kochgeräte, und daſs ihr Import an und für sich so
wenig den Wohlstand der Länder steigere, wie man durch die Vermehrung
der Kochgeräte schon mehr zu essen habe. Haben sich schlieſslich die
alten substanziellen Ordnungen soweit aufgelöst, um anarchistische
Ideale zu ermöglichen, so wird in ihnen begreiflicherweise auch diese
Richtung der Geldtheorie ihr Extrem erreichen. Proudhon, der alle
festen Staatsgebilde beseitigen und die freie unmittelbare Wechselwirkung
der Individuen als die einzig richtige Form des sozialen Lebens an-
erkennen will, bekämpft den Gebrauch des Geldes überhaupt; denn
in ihm sieht er ein genaues Analogon jener Herrschaftsgebilde, die aus
den Individuen ihre lebendige Wechselwirkung heraussaugen und in
sich kristallisieren. Es müsse daher die Tauschbarkeit der Werte
ohne Dazwischenkunft des Geldes begründet werden, ebenso wie die
Regierung der Gesellschaft durch alle Bürger ohne Dazwischenkunft
des Königs; und wie man jedem Bürger das Stimmrecht gegeben habe,
so müsse jede Ware an und für sich und ohne Vermittlung des Geldes
zum Wertrepräsentanten werden. — Mit der Ansicht Adam Smiths ist
die Richtung auf die hier vertretene Geldtheorie eingeschlagen, die man
im Gegensatz zu den materialistischen, als spiritualistische (vielleicht als
erkenntnistheoretische) bezeichnen kann. Denn während jene die Wert-
bedeutung der lebendigen wirtschaftlichen Vorgänge in eine Substanz
setzen, wird hier umgekehrt aller Wert der Substanz in Funktionen
gesetzt. So erklärt der Materialismus: der Geist ist Materie, der Spiri-
tualismus: die Materie ist Geist. Der eine Standpunkt läſst die Be-
wegung zur Substanz erstarren, der andere löst die Substanz in Be-
wegung auf. Wenn uns die eine Annahme als Irrtum erscheint, so
war derselbe, wie wir einsehen, kein zufälliger, sondern der angemessene
theoretische Ausdruck eines thatsächlichen soziologischen Zustandes, der
erst durch reale Mächte überwunden werden muſste, ehe sein theore-
tisches Gegenbild durch theoretische überwunden werden konnte.
Der weitere Zusammenhang, in den sich der soziologische Charakter
des Geldes einstellt, ist dieser. Als den Ausgangspunkt aller sozialen
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/167>, abgerufen am 24.11.2024.
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