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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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Proportion zwischen dem Einzelquantum und dem Gesamtquantum von
Waren und Geld, so scheint sie freilich bei jeder beliebigen Ver-
mehrung des letzteren unverändert und mit gleicher Bedeutung für die
Preisbildung weiterbestehen zu können. Der Geldbruch zeigte dann
nur bei der Vergrösserung des Nenners auch die proportionale Ver-
grösserung des Zählers, ohne seinen Wert zu ändern. Allein that-
sächlich findet bei sehr erheblicher Geldvermehrung diese Proportio-
nalität der Änderung nicht statt. Während vielmehr in Wirklichkeit
der Nenner des Geldbruches sich sehr vergrössert, bleibt zunächst, und
bis alle Verkehrsverhältnisse sich der neuen Grundlage angepasst haben,
der Zähler derselbe. Der Preis also, der aus der absoluten Grösse
des letzteren besteht, ist vorläufig ungeändert, während er relativ,
d. h. während der Geldbruch, viel kleiner wird. Infolgedessen ist der
Besitzer der neuen Geldmassen, zunächst also etwa die Regierung, in
einer ausserordentlich begünstigten Lage allen Warenverkäufern gegen-
über, worauf dann unvermeidlich Reaktionen voll schwerster Er-
schütterungen des Verkehrs eintreten müssen, und zwar besonders von
dem Augenblick an, wo die Einnahmen der Regierung selbst in dem
entwerteten Gelde eingehen. Die Ausgleichung, d. h. der Zähler des
Geldbruches -- der Preis der Waren -- hebt sich natürlich erst
dann proportional, wenn der übermässige Geldvorrat der Regierung
im wesentlichen ausgegeben ist. Sie findet sich also den erhöhten
Preisen ihrer Bedürfnisse wieder mit einem gesenkten Geldvorrat
gegenüber, eine Situation, in der die Versuchung, ihr durch eine neue
Emission von Geld zu begegnen, meist unwiderstehlich ist und das
Spiel von neuem beginnen lässt. Ich führe dies nur als Typus der
zahlreichen und so oft behandelten Misserfolge willkürlicher Papiergeld-
emissionen an. Solche liegen aber verführerisch nahe, sobald nicht
eine feste Bindung des Geldes an eine Substanz da ist, deren Ver-
mehrung eine begrenzte ist. Ja, eine äusserlich gegenteilige Er-
scheinung beweist dies um so entschiedener. Im 16. Jahrhundert
schlug ein französischer Staatsmann vor, man solle doch künftig das
Silber nicht mehr als Geld verwenden, sondern die Münzen aus Eisen
prägen -- und zwar von dem Gesichtspunkt aus, dass die Massen-
einfuhr des Silbers aus Amerika diesem Metall seine Seltenheit raubte.
Nähme man dagegen ein Metall, das ausschliesslich durch die staat-
liche Prägung überhaupt einen Wert erhält, so läge darin eine grössere
Garantie für die erforderliche Eingeschränktheit des Geldquantums;
während, wenn jeder Besitzer von Silber damit unmittelbar auch Geld
habe, es an jeder Grenze für seine Masse fehle. Dieser merkwürdige
Vorschlag zeigt also ein sehr klares Gefühl dafür, dass Edelmetall nicht

Proportion zwischen dem Einzelquantum und dem Gesamtquantum von
Waren und Geld, so scheint sie freilich bei jeder beliebigen Ver-
mehrung des letzteren unverändert und mit gleicher Bedeutung für die
Preisbildung weiterbestehen zu können. Der Geldbruch zeigte dann
nur bei der Vergröſserung des Nenners auch die proportionale Ver-
gröſserung des Zählers, ohne seinen Wert zu ändern. Allein that-
sächlich findet bei sehr erheblicher Geldvermehrung diese Proportio-
nalität der Änderung nicht statt. Während vielmehr in Wirklichkeit
der Nenner des Geldbruches sich sehr vergröſsert, bleibt zunächst, und
bis alle Verkehrsverhältnisse sich der neuen Grundlage angepaſst haben,
der Zähler derselbe. Der Preis also, der aus der absoluten Gröſse
des letzteren besteht, ist vorläufig ungeändert, während er relativ,
d. h. während der Geldbruch, viel kleiner wird. Infolgedessen ist der
Besitzer der neuen Geldmassen, zunächst also etwa die Regierung, in
einer auſserordentlich begünstigten Lage allen Warenverkäufern gegen-
über, worauf dann unvermeidlich Reaktionen voll schwerster Er-
schütterungen des Verkehrs eintreten müssen, und zwar besonders von
dem Augenblick an, wo die Einnahmen der Regierung selbst in dem
entwerteten Gelde eingehen. Die Ausgleichung, d. h. der Zähler des
Geldbruches — der Preis der Waren — hebt sich natürlich erst
dann proportional, wenn der übermäſsige Geldvorrat der Regierung
im wesentlichen ausgegeben ist. Sie findet sich also den erhöhten
Preisen ihrer Bedürfnisse wieder mit einem gesenkten Geldvorrat
gegenüber, eine Situation, in der die Versuchung, ihr durch eine neue
Emission von Geld zu begegnen, meist unwiderstehlich ist und das
Spiel von neuem beginnen läſst. Ich führe dies nur als Typus der
zahlreichen und so oft behandelten Miſserfolge willkürlicher Papiergeld-
emissionen an. Solche liegen aber verführerisch nahe, sobald nicht
eine feste Bindung des Geldes an eine Substanz da ist, deren Ver-
mehrung eine begrenzte ist. Ja, eine äusserlich gegenteilige Er-
scheinung beweist dies um so entschiedener. Im 16. Jahrhundert
schlug ein französischer Staatsmann vor, man solle doch künftig das
Silber nicht mehr als Geld verwenden, sondern die Münzen aus Eisen
prägen — und zwar von dem Gesichtspunkt aus, daſs die Massen-
einfuhr des Silbers aus Amerika diesem Metall seine Seltenheit raubte.
Nähme man dagegen ein Metall, das ausschlieſslich durch die staat-
liche Prägung überhaupt einen Wert erhält, so läge darin eine gröſsere
Garantie für die erforderliche Eingeschränktheit des Geldquantums;
während, wenn jeder Besitzer von Silber damit unmittelbar auch Geld
habe, es an jeder Grenze für seine Masse fehle. Dieser merkwürdige
Vorschlag zeigt also ein sehr klares Gefühl dafür, daſs Edelmetall nicht

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[125/0149] Proportion zwischen dem Einzelquantum und dem Gesamtquantum von Waren und Geld, so scheint sie freilich bei jeder beliebigen Ver- mehrung des letzteren unverändert und mit gleicher Bedeutung für die Preisbildung weiterbestehen zu können. Der Geldbruch zeigte dann nur bei der Vergröſserung des Nenners auch die proportionale Ver- gröſserung des Zählers, ohne seinen Wert zu ändern. Allein that- sächlich findet bei sehr erheblicher Geldvermehrung diese Proportio- nalität der Änderung nicht statt. Während vielmehr in Wirklichkeit der Nenner des Geldbruches sich sehr vergröſsert, bleibt zunächst, und bis alle Verkehrsverhältnisse sich der neuen Grundlage angepaſst haben, der Zähler derselbe. Der Preis also, der aus der absoluten Gröſse des letzteren besteht, ist vorläufig ungeändert, während er relativ, d. h. während der Geldbruch, viel kleiner wird. Infolgedessen ist der Besitzer der neuen Geldmassen, zunächst also etwa die Regierung, in einer auſserordentlich begünstigten Lage allen Warenverkäufern gegen- über, worauf dann unvermeidlich Reaktionen voll schwerster Er- schütterungen des Verkehrs eintreten müssen, und zwar besonders von dem Augenblick an, wo die Einnahmen der Regierung selbst in dem entwerteten Gelde eingehen. Die Ausgleichung, d. h. der Zähler des Geldbruches — der Preis der Waren — hebt sich natürlich erst dann proportional, wenn der übermäſsige Geldvorrat der Regierung im wesentlichen ausgegeben ist. Sie findet sich also den erhöhten Preisen ihrer Bedürfnisse wieder mit einem gesenkten Geldvorrat gegenüber, eine Situation, in der die Versuchung, ihr durch eine neue Emission von Geld zu begegnen, meist unwiderstehlich ist und das Spiel von neuem beginnen läſst. Ich führe dies nur als Typus der zahlreichen und so oft behandelten Miſserfolge willkürlicher Papiergeld- emissionen an. Solche liegen aber verführerisch nahe, sobald nicht eine feste Bindung des Geldes an eine Substanz da ist, deren Ver- mehrung eine begrenzte ist. Ja, eine äusserlich gegenteilige Er- scheinung beweist dies um so entschiedener. Im 16. Jahrhundert schlug ein französischer Staatsmann vor, man solle doch künftig das Silber nicht mehr als Geld verwenden, sondern die Münzen aus Eisen prägen — und zwar von dem Gesichtspunkt aus, daſs die Massen- einfuhr des Silbers aus Amerika diesem Metall seine Seltenheit raubte. Nähme man dagegen ein Metall, das ausschlieſslich durch die staat- liche Prägung überhaupt einen Wert erhält, so läge darin eine gröſsere Garantie für die erforderliche Eingeschränktheit des Geldquantums; während, wenn jeder Besitzer von Silber damit unmittelbar auch Geld habe, es an jeder Grenze für seine Masse fehle. Dieser merkwürdige Vorschlag zeigt also ein sehr klares Gefühl dafür, daſs Edelmetall nicht

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/149>, abgerufen am 28.03.2024.