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Simmel, Georg: Über sociale Differenzierung. Leipzig, 1890.

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plexes im Vordergrunde stehen soll, ehe es von dem andern
abgelöst wird. Was diesen Konflikt von dem einfachen zwi-
schen dem Beharrungsstreben der einzelnen Thätigkeitsform
und dem sich Vordrängen der andern unterscheidet, ist
die dadurch eintretende Modifikation, dass hier mit dem Nach-
lassen jeder die Vorstellung ihrer Rückkehr verbunden ist.
Dies kann das Nachlassen einerseits erleichtern; es kann es
aber auch erschweren, sobald der Übergang von einer zur
andern überhaupt mit Schwierigkeiten verbunden ist und nun
das Bewusstsein, dass mit jedem ersten Wechsel auch gleich
der zweite näher rückt, leicht zu einem möglichsten Hinaus-
schieben des ersten führen kann. Ein deutliches Gegenstreben
der erwähnten Tendenzen findet sich nun etwa in der Orga-
nisierung der Beamtenfunktionen, sei es im privaten oder im
öffentlichen Dienst. Der Vorgesetzte oder Chef wird oft ein
Interesse daran haben, dass die Thätigkeit seiner Beamten
einen gewissen Kreis von Aufgaben umfasse, denen sie sich
abwechselnd widmen. Dies hat eine grössere Gewandtheit in
den Geschäften und vor allem die Erleichterung von nötig
werdenden Stellvertretungen und Aushülfen zur Folge. Dem
aber wird sich oft ein Interesse des Beamten selbst entgegen-
stellen, der die ihm überhaupt zugänglichen Funktionen lieber
in eine Reihe gliedern wird, die die eine endgültig abgethan
sein lässt, wenn die nächste beginnt. Denn hierdurch erreicht
er viel eher ein Aufsteigen im Dienst, indem sehr häufig nicht
sowohl die höhere und besser bezahlte Funktion die spätere
ist, als vielmehr die gewohnheitsmässig später aufgetragene
schliesslich als solche die Würde und das Entgelt einer höheren
gewinnt, wie dies namentlich in der Hierarchie der Sub-
alternen, aber auch bei den höchsten, an die Sinekure strei-
fenden Stellungen zu beobachten ist. Wo dagegen schon aller-
hand höhere und niedere Funktionen in abwechselnder Folge
in einer Stellung befasst sind, da wird sich das Aufsteigen
aus derselben nicht so leicht geben, weil die Differenzierungs-
momente, die sonst die Form des Nacheinander forderten oder
mit sich brachten, hier schon zugleich, im Nebeneinander,
bestehen.

Zu anderweitigen Konflikten führt der zweite Sinn eines
wirklichen Nebeneinander der Differenzierungen am Indivi-
duum, der die latenten Kräfte und Fähigkeiten einschliesst.
Hier werden sich die Verschiedenheiten des geistig-sittlichen
Wesens darin zeigen, dass der eine eine Mehrzahl von Thä-
tigkeiten übt, um die Fähigkeiten zu möglichst vielen gleich-
sam in sich aufzuspeichern, der andere nur an ihrem ver-
fliessenden Nacheinander, an der Abwechselung ihrer Aktua-
lität Interesse hat. Die gleiche Form der Differenz zeigen
etwa zwei Rentiers, von denen der eine sein Vermögen in

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plexes im Vordergrunde stehen soll, ehe es von dem andern
abgelöst wird. Was diesen Konflikt von dem einfachen zwi-
schen dem Beharrungsstreben der einzelnen Thätigkeitsform
und dem sich Vordrängen der andern unterscheidet, ist
die dadurch eintretende Modifikation, daſs hier mit dem Nach-
lassen jeder die Vorstellung ihrer Rückkehr verbunden ist.
Dies kann das Nachlassen einerseits erleichtern; es kann es
aber auch erschweren, sobald der Übergang von einer zur
andern überhaupt mit Schwierigkeiten verbunden ist und nun
das Bewuſstsein, daſs mit jedem ersten Wechsel auch gleich
der zweite näher rückt, leicht zu einem möglichsten Hinaus-
schieben des ersten führen kann. Ein deutliches Gegenstreben
der erwähnten Tendenzen findet sich nun etwa in der Orga-
nisierung der Beamtenfunktionen, sei es im privaten oder im
öffentlichen Dienst. Der Vorgesetzte oder Chef wird oft ein
Interesse daran haben, daſs die Thätigkeit seiner Beamten
einen gewissen Kreis von Aufgaben umfasse, denen sie sich
abwechselnd widmen. Dies hat eine gröſsere Gewandtheit in
den Geschäften und vor allem die Erleichterung von nötig
werdenden Stellvertretungen und Aushülfen zur Folge. Dem
aber wird sich oft ein Interesse des Beamten selbst entgegen-
stellen, der die ihm überhaupt zugänglichen Funktionen lieber
in eine Reihe gliedern wird, die die eine endgültig abgethan
sein läſst, wenn die nächste beginnt. Denn hierdurch erreicht
er viel eher ein Aufsteigen im Dienst, indem sehr häufig nicht
sowohl die höhere und besser bezahlte Funktion die spätere
ist, als vielmehr die gewohnheitsmäſsig später aufgetragene
schlieſslich als solche die Würde und das Entgelt einer höheren
gewinnt, wie dies namentlich in der Hierarchie der Sub-
alternen, aber auch bei den höchsten, an die Sinekure strei-
fenden Stellungen zu beobachten ist. Wo dagegen schon aller-
hand höhere und niedere Funktionen in abwechselnder Folge
in einer Stellung befaſst sind, da wird sich das Aufsteigen
aus derselben nicht so leicht geben, weil die Differenzierungs-
momente, die sonst die Form des Nacheinander forderten oder
mit sich brachten, hier schon zugleich, im Nebeneinander,
bestehen.

Zu anderweitigen Konflikten führt der zweite Sinn eines
wirklichen Nebeneinander der Differenzierungen am Indivi-
duum, der die latenten Kräfte und Fähigkeiten einschlieſst.
Hier werden sich die Verschiedenheiten des geistig-sittlichen
Wesens darin zeigen, daſs der eine eine Mehrzahl von Thä-
tigkeiten übt, um die Fähigkeiten zu möglichst vielen gleich-
sam in sich aufzuspeichern, der andere nur an ihrem ver-
flieſsenden Nacheinander, an der Abwechselung ihrer Aktua-
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[143/0157] X 1. plexes im Vordergrunde stehen soll, ehe es von dem andern abgelöst wird. Was diesen Konflikt von dem einfachen zwi- schen dem Beharrungsstreben der einzelnen Thätigkeitsform und dem sich Vordrängen der andern unterscheidet, ist die dadurch eintretende Modifikation, daſs hier mit dem Nach- lassen jeder die Vorstellung ihrer Rückkehr verbunden ist. Dies kann das Nachlassen einerseits erleichtern; es kann es aber auch erschweren, sobald der Übergang von einer zur andern überhaupt mit Schwierigkeiten verbunden ist und nun das Bewuſstsein, daſs mit jedem ersten Wechsel auch gleich der zweite näher rückt, leicht zu einem möglichsten Hinaus- schieben des ersten führen kann. Ein deutliches Gegenstreben der erwähnten Tendenzen findet sich nun etwa in der Orga- nisierung der Beamtenfunktionen, sei es im privaten oder im öffentlichen Dienst. Der Vorgesetzte oder Chef wird oft ein Interesse daran haben, daſs die Thätigkeit seiner Beamten einen gewissen Kreis von Aufgaben umfasse, denen sie sich abwechselnd widmen. Dies hat eine gröſsere Gewandtheit in den Geschäften und vor allem die Erleichterung von nötig werdenden Stellvertretungen und Aushülfen zur Folge. Dem aber wird sich oft ein Interesse des Beamten selbst entgegen- stellen, der die ihm überhaupt zugänglichen Funktionen lieber in eine Reihe gliedern wird, die die eine endgültig abgethan sein läſst, wenn die nächste beginnt. Denn hierdurch erreicht er viel eher ein Aufsteigen im Dienst, indem sehr häufig nicht sowohl die höhere und besser bezahlte Funktion die spätere ist, als vielmehr die gewohnheitsmäſsig später aufgetragene schlieſslich als solche die Würde und das Entgelt einer höheren gewinnt, wie dies namentlich in der Hierarchie der Sub- alternen, aber auch bei den höchsten, an die Sinekure strei- fenden Stellungen zu beobachten ist. Wo dagegen schon aller- hand höhere und niedere Funktionen in abwechselnder Folge in einer Stellung befaſst sind, da wird sich das Aufsteigen aus derselben nicht so leicht geben, weil die Differenzierungs- momente, die sonst die Form des Nacheinander forderten oder mit sich brachten, hier schon zugleich, im Nebeneinander, bestehen. Zu anderweitigen Konflikten führt der zweite Sinn eines wirklichen Nebeneinander der Differenzierungen am Indivi- duum, der die latenten Kräfte und Fähigkeiten einschlieſst. Hier werden sich die Verschiedenheiten des geistig-sittlichen Wesens darin zeigen, daſs der eine eine Mehrzahl von Thä- tigkeiten übt, um die Fähigkeiten zu möglichst vielen gleich- sam in sich aufzuspeichern, der andere nur an ihrem ver- flieſsenden Nacheinander, an der Abwechselung ihrer Aktua- lität Interesse hat. Die gleiche Form der Differenz zeigen etwa zwei Rentiers, von denen der eine sein Vermögen in

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Über sociale Differenzierung. Leipzig, 1890, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_differenzierung_1890/157>, abgerufen am 28.04.2024.