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Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.

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aus Sibirien.
schen Nomaden. Ohnerachtet ich denen zu mir kommen-
den öfters Branntewein darbiete, so will doch Niemand
mehr davon, als sich etwa nur die Lippen zu benetzen, und
dann giebt er das Glas wieder zurück. Mein Führer,
der beständig sich nahe an der Gränzlinie aufhält, ist mit
den russischen Kaufleuten schon mehr bekannt, also auch
schon besser zum Branntewein gewöhnt, denn er trinkt
täglich zweymal seine Portion, und gäbe ich ihm mehr,
so würde ers auch nicht übel nehmen. Vorher habe ich
schon gesagt, daß die meisten Nomaden ihre schöne
Milch gewöhnlich zur spirituösen Destillation verder-
ben: auch in diesem unterscheiden sich die Kirgisen; nur
bey besondern Gelegenheiten oder Festen geschiehet es
zuweilen, daß sie einem geschätzten Gaste eine Schale
Milchbranntewein vorsetzen. Aber desto mehr ist der
berühmte Kümüß oder gesäuerte Stutenmilch bey ihnen
gäng und gäbe: sie ist nicht sehr berauschend, besonders
für einen europäischen Kopf; aber übrigens ein sehr heil-
sames, wohlschmeckendes, kühlendes und sättigendes Ge-
tränk. Beynahe möchte ich behaupten, daß kein anti-
venerisches Mittel sich diesem an die Seite stellen kön-
ne; wie ich denn weitläuftiger zwey Beyspiele anführen
könnte, wo ich seine Wunderkräfte sah. Ein sechswö-
chentlicher Gebrauch davon heilte im ersten Fall einen
durchaus inficirten Körper gänzlich, und im zweyten
Fall eine venerische Krätze, die, ohnerachtet aller ange-
wandten Mittel, zwey Jahre ausgedauert und sich bey-
nahe über den ganzen Körper ausgebreitet hatte. Bey-
nahe bin ich auch überzeugt, dieses gehöre mit unter die

Mit-
J 3

aus Sibirien.
ſchen Nomaden. Ohnerachtet ich denen zu mir kommen-
den oͤfters Branntewein darbiete, ſo will doch Niemand
mehr davon, als ſich etwa nur die Lippen zu benetzen, und
dann giebt er das Glas wieder zuruͤck. Mein Fuͤhrer,
der beſtaͤndig ſich nahe an der Graͤnzlinie aufhaͤlt, iſt mit
den ruſſiſchen Kaufleuten ſchon mehr bekannt, alſo auch
ſchon beſſer zum Branntewein gewoͤhnt, denn er trinkt
taͤglich zweymal ſeine Portion, und gaͤbe ich ihm mehr,
ſo wuͤrde ers auch nicht uͤbel nehmen. Vorher habe ich
ſchon geſagt, daß die meiſten Nomaden ihre ſchoͤne
Milch gewoͤhnlich zur ſpirituoͤſen Deſtillation verder-
ben: auch in dieſem unterſcheiden ſich die Kirgiſen; nur
bey beſondern Gelegenheiten oder Feſten geſchiehet es
zuweilen, daß ſie einem geſchaͤtzten Gaſte eine Schale
Milchbranntewein vorſetzen. Aber deſto mehr iſt der
beruͤhmte Kuͤmuͤß oder geſaͤuerte Stutenmilch bey ihnen
gaͤng und gaͤbe: ſie iſt nicht ſehr berauſchend, beſonders
fuͤr einen europaͤiſchen Kopf; aber uͤbrigens ein ſehr heil-
ſames, wohlſchmeckendes, kuͤhlendes und ſaͤttigendes Ge-
traͤnk. Beynahe moͤchte ich behaupten, daß kein anti-
veneriſches Mittel ſich dieſem an die Seite ſtellen koͤn-
ne; wie ich denn weitlaͤuftiger zwey Beyſpiele anfuͤhren
koͤnnte, wo ich ſeine Wunderkraͤfte ſah. Ein ſechswoͤ-
chentlicher Gebrauch davon heilte im erſten Fall einen
durchaus inficirten Koͤrper gaͤnzlich, und im zweyten
Fall eine veneriſche Kraͤtze, die, ohnerachtet aller ange-
wandten Mittel, zwey Jahre ausgedauert und ſich bey-
nahe uͤber den ganzen Koͤrper ausgebreitet hatte. Bey-
nahe bin ich auch uͤberzeugt, dieſes gehoͤre mit unter die

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[133/0141] aus Sibirien. ſchen Nomaden. Ohnerachtet ich denen zu mir kommen- den oͤfters Branntewein darbiete, ſo will doch Niemand mehr davon, als ſich etwa nur die Lippen zu benetzen, und dann giebt er das Glas wieder zuruͤck. Mein Fuͤhrer, der beſtaͤndig ſich nahe an der Graͤnzlinie aufhaͤlt, iſt mit den ruſſiſchen Kaufleuten ſchon mehr bekannt, alſo auch ſchon beſſer zum Branntewein gewoͤhnt, denn er trinkt taͤglich zweymal ſeine Portion, und gaͤbe ich ihm mehr, ſo wuͤrde ers auch nicht uͤbel nehmen. Vorher habe ich ſchon geſagt, daß die meiſten Nomaden ihre ſchoͤne Milch gewoͤhnlich zur ſpirituoͤſen Deſtillation verder- ben: auch in dieſem unterſcheiden ſich die Kirgiſen; nur bey beſondern Gelegenheiten oder Feſten geſchiehet es zuweilen, daß ſie einem geſchaͤtzten Gaſte eine Schale Milchbranntewein vorſetzen. Aber deſto mehr iſt der beruͤhmte Kuͤmuͤß oder geſaͤuerte Stutenmilch bey ihnen gaͤng und gaͤbe: ſie iſt nicht ſehr berauſchend, beſonders fuͤr einen europaͤiſchen Kopf; aber uͤbrigens ein ſehr heil- ſames, wohlſchmeckendes, kuͤhlendes und ſaͤttigendes Ge- traͤnk. Beynahe moͤchte ich behaupten, daß kein anti- veneriſches Mittel ſich dieſem an die Seite ſtellen koͤn- ne; wie ich denn weitlaͤuftiger zwey Beyſpiele anfuͤhren koͤnnte, wo ich ſeine Wunderkraͤfte ſah. Ein ſechswoͤ- chentlicher Gebrauch davon heilte im erſten Fall einen durchaus inficirten Koͤrper gaͤnzlich, und im zweyten Fall eine veneriſche Kraͤtze, die, ohnerachtet aller ange- wandten Mittel, zwey Jahre ausgedauert und ſich bey- nahe uͤber den ganzen Koͤrper ausgebreitet hatte. Bey- nahe bin ich auch uͤberzeugt, dieſes gehoͤre mit unter die Mit- J 3

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Zitationshilfe: Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/141>, abgerufen am 27.11.2024.