Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Sievers Briefe
der Körper ruhete, der wahrscheinlich in seinem Leben
kein gemeiner Mann gewesen seyn mußte. Nicht weit
von diesen passirte ich 2 kirgisische Kirchhöfe, davon je-
der 2 Mausolea, wie vorhin gedacht, in russischer Bau-
art hatten. Es scheint als wenn die Kirgisen sich gern
in der Nähe von tschudischen Gräbern ihre Grabstätte
wählen. Als wir um 3 Uhr Nachmittags unterhalb dem
Ursprunge des Flüßchen Bugaß in der Wollost Chara-
girei Chodshinbet
ankamen, so gefiel es meinem Füh-
rer Chaial mich um Erlaubniß zu bitten, hier übernach-
ten zu dürfen, um seine Freunde zu besuchen; dieses
war mir nun freylich nicht sehr lieb, indessen durfte ich's
nicht absagen, um mich keinen Verdrüßlichkeiten aus-
zusetzen. Denn nun war ich weit von der russischen Grän-
ze und ganz in den Händen der windigen Kirgisen.

Diesem zufolge also ließ ich mein Zelt aufschlagen
und das Mittagsessen zurichten. Nicht weit von unse-
rer Wollost stehet der Sultan Bükö, der, als er vor
drey Jahren in Petersburg war, von Jhro Kayserli-
chen Majestät das Patent als Russischer Kapitän be-
kam. Unser Flüßchen ernährt kleine Hechte und Grim-
pen. Achtzig Werst weiter unten, ohnweit seines Ein-
falls in den Noorsaissan, in einer Ebene, stehet die Chi-
nesische Gränzwacht, Börrö-Taßtagan. Vor mir
habe ich einen merkwürdigen ungeheuern Granitfels,
den Chasil-Taß (rother Stein).

Jemehr ich mit den Kirgisen bekannt werde, jemehr
überzeuge ich mich, daß sie keine Trunkenbolde sind; sie
unterscheiden sich also dadurch von allen übrigen asiati-

schen

Sievers Briefe
der Koͤrper ruhete, der wahrſcheinlich in ſeinem Leben
kein gemeiner Mann geweſen ſeyn mußte. Nicht weit
von dieſen paſſirte ich 2 kirgiſiſche Kirchhoͤfe, davon je-
der 2 Mauſolea, wie vorhin gedacht, in ruſſiſcher Bau-
art hatten. Es ſcheint als wenn die Kirgiſen ſich gern
in der Naͤhe von tſchudiſchen Graͤbern ihre Grabſtaͤtte
waͤhlen. Als wir um 3 Uhr Nachmittags unterhalb dem
Urſprunge des Fluͤßchen Bugaß in der Wolloſt Chara-
girei Chodſhinbet
ankamen, ſo gefiel es meinem Fuͤh-
rer Chaial mich um Erlaubniß zu bitten, hier uͤbernach-
ten zu duͤrfen, um ſeine Freunde zu beſuchen; dieſes
war mir nun freylich nicht ſehr lieb, indeſſen durfte ich’s
nicht abſagen, um mich keinen Verdruͤßlichkeiten aus-
zuſetzen. Denn nun war ich weit von der ruſſiſchen Graͤn-
ze und ganz in den Haͤnden der windigen Kirgiſen.

Dieſem zufolge alſo ließ ich mein Zelt aufſchlagen
und das Mittagseſſen zurichten. Nicht weit von unſe-
rer Wolloſt ſtehet der Sultan Buͤkoͤ, der, als er vor
drey Jahren in Petersburg war, von Jhro Kayſerli-
chen Majeſtaͤt das Patent als Ruſſiſcher Kapitaͤn be-
kam. Unſer Fluͤßchen ernaͤhrt kleine Hechte und Grim-
pen. Achtzig Werſt weiter unten, ohnweit ſeines Ein-
falls in den Noorſaiſſan, in einer Ebene, ſtehet die Chi-
neſiſche Graͤnzwacht, Boͤrroͤ-Taßtagan. Vor mir
habe ich einen merkwuͤrdigen ungeheuern Granitfels,
den Chaſil-Taß (rother Stein).

Jemehr ich mit den Kirgiſen bekannt werde, jemehr
uͤberzeuge ich mich, daß ſie keine Trunkenbolde ſind; ſie
unterſcheiden ſich alſo dadurch von allen uͤbrigen aſiati-

ſchen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0140" n="132"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Sievers Briefe</hi></fw><lb/>
der Ko&#x0364;rper ruhete, der wahr&#x017F;cheinlich in &#x017F;einem Leben<lb/>
kein gemeiner Mann gewe&#x017F;en &#x017F;eyn mußte. Nicht weit<lb/>
von die&#x017F;en pa&#x017F;&#x017F;irte ich 2 kirgi&#x017F;i&#x017F;che Kirchho&#x0364;fe, davon je-<lb/>
der 2 Mau&#x017F;olea, wie vorhin gedacht, in ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;cher Bau-<lb/>
art hatten. Es &#x017F;cheint als wenn die Kirgi&#x017F;en &#x017F;ich gern<lb/>
in der Na&#x0364;he von t&#x017F;chudi&#x017F;chen Gra&#x0364;bern ihre Grab&#x017F;ta&#x0364;tte<lb/>
wa&#x0364;hlen. Als wir um 3 Uhr Nachmittags unterhalb dem<lb/>
Ur&#x017F;prunge des Flu&#x0364;ßchen Bugaß in der Wollo&#x017F;t <hi rendition="#fr">Chara-<lb/>
girei Chod&#x017F;hinbet</hi> ankamen, &#x017F;o gefiel es meinem Fu&#x0364;h-<lb/>
rer Chaial mich um Erlaubniß zu bitten, hier u&#x0364;bernach-<lb/>
ten zu du&#x0364;rfen, um &#x017F;eine Freunde zu be&#x017F;uchen; die&#x017F;es<lb/>
war mir nun freylich nicht &#x017F;ehr lieb, inde&#x017F;&#x017F;en durfte ich&#x2019;s<lb/>
nicht ab&#x017F;agen, um mich keinen Verdru&#x0364;ßlichkeiten aus-<lb/>
zu&#x017F;etzen. Denn nun war ich weit von der ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Gra&#x0364;n-<lb/>
ze und ganz in den Ha&#x0364;nden der windigen Kirgi&#x017F;en.</p><lb/>
            <p>Die&#x017F;em zufolge al&#x017F;o ließ ich mein Zelt auf&#x017F;chlagen<lb/>
und das Mittagse&#x017F;&#x017F;en zurichten. Nicht weit von un&#x017F;e-<lb/>
rer Wollo&#x017F;t &#x017F;tehet der Sultan Bu&#x0364;ko&#x0364;, der, als er vor<lb/>
drey Jahren in Petersburg war, von Jhro Kay&#x017F;erli-<lb/>
chen Maje&#x017F;ta&#x0364;t das Patent als Ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;cher Kapita&#x0364;n be-<lb/>
kam. Un&#x017F;er Flu&#x0364;ßchen erna&#x0364;hrt kleine Hechte und Grim-<lb/>
pen. Achtzig Wer&#x017F;t weiter unten, ohnweit &#x017F;eines Ein-<lb/>
falls in den Noor&#x017F;ai&#x017F;&#x017F;an, in einer Ebene, &#x017F;tehet die Chi-<lb/>
ne&#x017F;i&#x017F;che Gra&#x0364;nzwacht, <hi rendition="#fr">Bo&#x0364;rro&#x0364;-Taßtagan.</hi> Vor mir<lb/>
habe ich einen merkwu&#x0364;rdigen ungeheuern Granitfels,<lb/>
den <hi rendition="#fr">Cha&#x017F;il-Taß</hi> (rother Stein).</p><lb/>
            <p>Jemehr ich mit den Kirgi&#x017F;en bekannt werde, jemehr<lb/>
u&#x0364;berzeuge ich mich, daß &#x017F;ie keine Trunkenbolde &#x017F;ind; &#x017F;ie<lb/>
unter&#x017F;cheiden &#x017F;ich al&#x017F;o dadurch von allen u&#x0364;brigen a&#x017F;iati-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;chen</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[132/0140] Sievers Briefe der Koͤrper ruhete, der wahrſcheinlich in ſeinem Leben kein gemeiner Mann geweſen ſeyn mußte. Nicht weit von dieſen paſſirte ich 2 kirgiſiſche Kirchhoͤfe, davon je- der 2 Mauſolea, wie vorhin gedacht, in ruſſiſcher Bau- art hatten. Es ſcheint als wenn die Kirgiſen ſich gern in der Naͤhe von tſchudiſchen Graͤbern ihre Grabſtaͤtte waͤhlen. Als wir um 3 Uhr Nachmittags unterhalb dem Urſprunge des Fluͤßchen Bugaß in der Wolloſt Chara- girei Chodſhinbet ankamen, ſo gefiel es meinem Fuͤh- rer Chaial mich um Erlaubniß zu bitten, hier uͤbernach- ten zu duͤrfen, um ſeine Freunde zu beſuchen; dieſes war mir nun freylich nicht ſehr lieb, indeſſen durfte ich’s nicht abſagen, um mich keinen Verdruͤßlichkeiten aus- zuſetzen. Denn nun war ich weit von der ruſſiſchen Graͤn- ze und ganz in den Haͤnden der windigen Kirgiſen. Dieſem zufolge alſo ließ ich mein Zelt aufſchlagen und das Mittagseſſen zurichten. Nicht weit von unſe- rer Wolloſt ſtehet der Sultan Buͤkoͤ, der, als er vor drey Jahren in Petersburg war, von Jhro Kayſerli- chen Majeſtaͤt das Patent als Ruſſiſcher Kapitaͤn be- kam. Unſer Fluͤßchen ernaͤhrt kleine Hechte und Grim- pen. Achtzig Werſt weiter unten, ohnweit ſeines Ein- falls in den Noorſaiſſan, in einer Ebene, ſtehet die Chi- neſiſche Graͤnzwacht, Boͤrroͤ-Taßtagan. Vor mir habe ich einen merkwuͤrdigen ungeheuern Granitfels, den Chaſil-Taß (rother Stein). Jemehr ich mit den Kirgiſen bekannt werde, jemehr uͤberzeuge ich mich, daß ſie keine Trunkenbolde ſind; ſie unterſcheiden ſich alſo dadurch von allen uͤbrigen aſiati- ſchen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/140
Zitationshilfe: Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/140>, abgerufen am 04.05.2024.