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Siebold, Carl Theodor Ernst von: Die Süsswasserfische von Mitteleuropa. Leipzig, 1863.

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Familie: Petromyzonini.
seite desselben hinabbogen, um die abgehenden Eier zu befruchten, ohne
dass eine Immissio der Urogenitalpapille vorgenommen wurde. Nach dieser
Beobachtung A. Müller's erhält eine bisher wenig beachtete Notiz, welche
von Baldner herrührt und sich auf Petromyzon Planeri bezieht, ein besonde-
res Gewicht. Dieser erfahrene Fischer berichtet von den kleinen Neunaugen
unter anderen1): "Dieser Neunhocken oder Neunaug hatt seinen Leych im
Mertzen und Aprill. Sie hangen an den Steinen hauffecht beyeinander, wo
das Wasser starkh laufft, da machen sie dieffe grüblein, darin thut sich das
paar mit den Bauchen zusammen, ihre geylheit zu verrichten, welches ich
sonsten von keinem Fisch also gesehen, alss von den Neunhocken, dieweil
sie in den Wassern, da es nicht dieff, leychen, dass mans wohl sehen kann".

Eine höchst interessante Thatsache, welche A. Müller2) bei diesen Beo-
bachtungen noch erkannt hat, ist das vollständige Verschwinden der kleinen
Neunaugen nach überstandener Laichzeit. Aller Nachsuchungen ungeachtet
hatte A. Müller keine Spur mehr von ihnen auffinden, sondern nur einige ihrer
Leichname im Wasser wahrnehmen können. Da ausserdem die Ovarien die-
ser Neunaugen nie Eier von verschiedenen Entwicklungsstadien als Vorberei-
tung zu einer künftigen Fortpflanzungszeit enthalten, wie bei anderen Thieren,
und da sie kurz nach der Laichzeit nichts weiter als die leeren Kelche enthal-
ten, so durfte A. Müller mit Recht hieraus schliessen, dass diese kleinen
Neunaugen mit ihren gänzlich erschöpften Geschlechtswerkzeugen nach der
Laichzeit untergehen. Ich habe mich ebenfalls von dem vollkommen eier-
losen Zustande der Ovarien bei ausgelaichten kleinen Neunaugen überzeugen
können, und muss noch einmal darauf zurückkommen, dass aus bereits oben
angeführten Gründen (pag. 372. u. pag. 374.) die Vermuthung Müller's
nahe liegt, dass bei Petromyzon marinus und fluviatilis ähnliche Verhältnisse
statt finden. Ja, ich gehe noch weiter und werfe die Frage auf, ob nicht auch
eine solche nur einmal im Leben erwachende Fortpflanzungsthätigkeit mit
nachfolgendem Tode die Ursache sein mag, dass die in das Meer hinausge-
wanderten Aale von dort (s. pag. 352) nie mehr zurückkehren?

Die Entwicklung der befruchteten Eier des Petromyzon Planeri, welche
im Mai vollendet ist, versetzte A. Müller in neues Erstaunen, indem die
daraus hervorschlüpfenden jungen Fische vollkommen jungen Querdern gleich-
sahen3), welche bei weiterem Heranwachsen von Ammocoetes branchialis nicht

1) In dem oben angeführten Manuscript pag. 188. Von dieser Stelle hat Willughby:
de historia piscium, pag. 105 folgenden kurzen Auszug gegeben: Lampetrae fluviatiles mi-
nores praeter morem aliorum piscium ventribus commissis coeunt, cum enim hoc tempore
locis vadosis versentur, earum actiones facile possunt observari.
2) A. a. O. pag. 323 u. 334.
3) Man vergleiche hierzu Max Schultze: Die Entwicklungsgeschichte von Petromyzon
Planeri.
Haarlem 1856.

Familie: Petromyzonini.
seite desselben hinabbogen, um die abgehenden Eier zu befruchten, ohne
dass eine Immissio der Urogenitalpapille vorgenommen wurde. Nach dieser
Beobachtung A. Müller’s erhält eine bisher wenig beachtete Notiz, welche
von Baldner herrührt und sich auf Petromyzon Planeri bezieht, ein besonde-
res Gewicht. Dieser erfahrene Fischer berichtet von den kleinen Neunaugen
unter anderen1): »Dieser Neunhocken oder Neunaug hatt seinen Leych im
Mertzen und Aprill. Sie hangen an den Steinen hauffecht beyeinander, wo
das Wasser starkh laufft, da machen sie dieffe grüblein, darin thut sich das
paar mit den Bauchen zusammen, ihre geylheit zu verrichten, welches ich
sonsten von keinem Fisch also gesehen, alss von den Neunhocken, dieweil
sie in den Wassern, da es nicht dieff, leychen, dass mans wohl sehen kann«.

Eine höchst interessante Thatsache, welche A. Müller2) bei diesen Beo-
bachtungen noch erkannt hat, ist das vollständige Verschwinden der kleinen
Neunaugen nach überstandener Laichzeit. Aller Nachsuchungen ungeachtet
hatte A. Müller keine Spur mehr von ihnen auffinden, sondern nur einige ihrer
Leichname im Wasser wahrnehmen können. Da ausserdem die Ovarien die-
ser Neunaugen nie Eier von verschiedenen Entwicklungsstadien als Vorberei-
tung zu einer künftigen Fortpflanzungszeit enthalten, wie bei anderen Thieren,
und da sie kurz nach der Laichzeit nichts weiter als die leeren Kelche enthal-
ten, so durfte A. Müller mit Recht hieraus schliessen, dass diese kleinen
Neunaugen mit ihren gänzlich erschöpften Geschlechtswerkzeugen nach der
Laichzeit untergehen. Ich habe mich ebenfalls von dem vollkommen eier-
losen Zustande der Ovarien bei ausgelaichten kleinen Neunaugen überzeugen
können, und muss noch einmal darauf zurückkommen, dass aus bereits oben
angeführten Gründen (pag. 372. u. pag. 374.) die Vermuthung Müller’s
nahe liegt, dass bei Petromyzon marinus und fluviatilis ähnliche Verhältnisse
statt finden. Ja, ich gehe noch weiter und werfe die Frage auf, ob nicht auch
eine solche nur einmal im Leben erwachende Fortpflanzungsthätigkeit mit
nachfolgendem Tode die Ursache sein mag, dass die in das Meer hinausge-
wanderten Aale von dort (s. pag. 352) nie mehr zurückkehren?

Die Entwicklung der befruchteten Eier des Petromyzon Planeri, welche
im Mai vollendet ist, versetzte A. Müller in neues Erstaunen, indem die
daraus hervorschlüpfenden jungen Fische vollkommen jungen Querdern gleich-
sahen3), welche bei weiterem Heranwachsen von Ammocoetes branchialis nicht

1) In dem oben angeführten Manuscript pag. 188. Von dieser Stelle hat Willughby:
de historia piscium, pag. 105 folgenden kurzen Auszug gegeben: Lampetrae fluviatiles mi-
nores praeter morem aliorum piscium ventribus commissis coeunt, cum enim hoc tempore
locis vadosis versentur, earum actiones facile possunt observari.
2) A. a. O. pag. 323 u. 334.
3) Man vergleiche hierzu Max Schultze: Die Entwicklungsgeschichte von Petromyzon
Planeri.
Haarlem 1856.
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[378/0391] Familie: Petromyzonini. seite desselben hinabbogen, um die abgehenden Eier zu befruchten, ohne dass eine Immissio der Urogenitalpapille vorgenommen wurde. Nach dieser Beobachtung A. Müller’s erhält eine bisher wenig beachtete Notiz, welche von Baldner herrührt und sich auf Petromyzon Planeri bezieht, ein besonde- res Gewicht. Dieser erfahrene Fischer berichtet von den kleinen Neunaugen unter anderen 1): »Dieser Neunhocken oder Neunaug hatt seinen Leych im Mertzen und Aprill. Sie hangen an den Steinen hauffecht beyeinander, wo das Wasser starkh laufft, da machen sie dieffe grüblein, darin thut sich das paar mit den Bauchen zusammen, ihre geylheit zu verrichten, welches ich sonsten von keinem Fisch also gesehen, alss von den Neunhocken, dieweil sie in den Wassern, da es nicht dieff, leychen, dass mans wohl sehen kann«. Eine höchst interessante Thatsache, welche A. Müller 2) bei diesen Beo- bachtungen noch erkannt hat, ist das vollständige Verschwinden der kleinen Neunaugen nach überstandener Laichzeit. Aller Nachsuchungen ungeachtet hatte A. Müller keine Spur mehr von ihnen auffinden, sondern nur einige ihrer Leichname im Wasser wahrnehmen können. Da ausserdem die Ovarien die- ser Neunaugen nie Eier von verschiedenen Entwicklungsstadien als Vorberei- tung zu einer künftigen Fortpflanzungszeit enthalten, wie bei anderen Thieren, und da sie kurz nach der Laichzeit nichts weiter als die leeren Kelche enthal- ten, so durfte A. Müller mit Recht hieraus schliessen, dass diese kleinen Neunaugen mit ihren gänzlich erschöpften Geschlechtswerkzeugen nach der Laichzeit untergehen. Ich habe mich ebenfalls von dem vollkommen eier- losen Zustande der Ovarien bei ausgelaichten kleinen Neunaugen überzeugen können, und muss noch einmal darauf zurückkommen, dass aus bereits oben angeführten Gründen (pag. 372. u. pag. 374.) die Vermuthung Müller’s nahe liegt, dass bei Petromyzon marinus und fluviatilis ähnliche Verhältnisse statt finden. Ja, ich gehe noch weiter und werfe die Frage auf, ob nicht auch eine solche nur einmal im Leben erwachende Fortpflanzungsthätigkeit mit nachfolgendem Tode die Ursache sein mag, dass die in das Meer hinausge- wanderten Aale von dort (s. pag. 352) nie mehr zurückkehren? Die Entwicklung der befruchteten Eier des Petromyzon Planeri, welche im Mai vollendet ist, versetzte A. Müller in neues Erstaunen, indem die daraus hervorschlüpfenden jungen Fische vollkommen jungen Querdern gleich- sahen 3), welche bei weiterem Heranwachsen von Ammocoetes branchialis nicht 1) In dem oben angeführten Manuscript pag. 188. Von dieser Stelle hat Willughby: de historia piscium, pag. 105 folgenden kurzen Auszug gegeben: Lampetrae fluviatiles mi- nores praeter morem aliorum piscium ventribus commissis coeunt, cum enim hoc tempore locis vadosis versentur, earum actiones facile possunt observari. 2) A. a. O. pag. 323 u. 334. 3) Man vergleiche hierzu Max Schultze: Die Entwicklungsgeschichte von Petromyzon Planeri. Haarlem 1856.

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Zitationshilfe: Siebold, Carl Theodor Ernst von: Die Süsswasserfische von Mitteleuropa. Leipzig, 1863, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siebold_suesswasserfische_1863/391>, abgerufen am 22.11.2024.