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Siebold, Carl Theodor Ernst von: Die Süsswasserfische von Mitteleuropa. Leipzig, 1863.

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Gattung: Petromyzon.

Sein Vorkommen ist ein ausserordentlich verbreitetes; in allen Flussge-
bieten Deutschlands ist das kleine Neunauge bis zu den kleinsten Nebenbächen
hinauf anzutreffen, jedoch ungleich seltner als seine Larven, welcher Umstand
mit der ganz eigenthümlichen von A. Müller zuerst aufgedeckten Verwand-
lungs- und Fortpflanzungsgeschichte dieses Fisches in enger Beziehung steht.
Das kleine Neunauge verharrt in seinem Larvenzustande, nämlich in der Form
des Ammocoetes drei bis vier Jahre, wogegen nach den Beobachtungen A.
Müller's1) die Lebensdauer des ausgebildeten Thieres nur eine kurze ist, kein
Wunder also, dass Ammocoetes branchialis trotz seines versteckten Aufent-
halts den Fischern und Ichthyologen viel häufiger in die Hände geräth als der
Petromyzon Planeri, der von manchen Faunisten gänzlich übersehen wurde,
während ihm seine Larvenform, der Ammocoetes branchialis nicht entgangen
war. Das seltenere Vorkommen des fertigen Petromyzon Planeri mag auch
die Veranlassung gewesen sein, dass die Ichthyologen mit diesem Fische we-
niger vertraut geworden sind und weder in Abbildungen noch in Beschrei-
bungen, die sie nur zu häufig von einander entlehnten, die wahre Form die-
ses Fisches wiedergegeben haben. Die Afterflosse der geschlechtsreifen
Weibchen des kleinen Neunauges finde ich nirgends erwähnt, auch sind die
Rückenflossen desselben nur von wenigen Ichthyologen richtig aufgefasst wor-
den; selbst Bloch, welcher dieses kleine Neunauge zuerst beschrieb, hat
dasselbe mit weit von einander getrennten Rückenflossen so unkenntlich
dargestellt, dass Günther (a. a. O.) sich veranlasst sah, diese Abbildung für
einen jungen Petromyzon fluviatilis zu erklären. Da die meisten übrigen bild-
lichen Darstellungen des Petromyzon Planeri nur Copien dieser Bloch'schen
Figur sind, so halte ich es nicht für unangemessen auf folgende Abbildungen
aufmerksam zu machen, welche wenigstens die beiden Rückenflossen dieses
Fisches in einem richtigen Verhältniss zu einander erkennen lassen. Als solche
gute Abbildungen des Petromyzon Planeri empfehle ich die von Lacepede2)
und von Yarrell3), welche letztere von Kröyer4) copirt worden ist.

Die Laichzeit des kleinen Neunauges findet im Frühjahre statt und be-
ginnt mit den ersten warmen Tagen des April. A. Müller5) hat das Glück
gehabt in der Panke, einem kleinen innerhalb Berlin sich in die Spree er-
giessenden Bache den Petromyzon Planeri bei seinem Laichgeschäfte sehr ge-
nau zu beobachten. Er sah von diesen kleinen Neunaugen zehn und mehr
Stücke in Schwärmen beisammen, von welchen einzelne Milchner sich am
Nacken der Rogner festsogen und in einer halben Windung nach der Unter-

1) A. a. O. pag. 334.
2) S. dessen: Histoire naturelle des Poissons. Vol. I. 1798. pag. 30. Pl. III. Fig. 1.
3) Vergl. dessen: British fishes a. a. O.
4) S. dessen: Danmarks Fiske. III. Bd. pag. 1052.
5) A. a. O. pag. 324.
Gattung: Petromyzon.

Sein Vorkommen ist ein ausserordentlich verbreitetes; in allen Flussge-
bieten Deutschlands ist das kleine Neunauge bis zu den kleinsten Nebenbächen
hinauf anzutreffen, jedoch ungleich seltner als seine Larven, welcher Umstand
mit der ganz eigenthümlichen von A. Müller zuerst aufgedeckten Verwand-
lungs- und Fortpflanzungsgeschichte dieses Fisches in enger Beziehung steht.
Das kleine Neunauge verharrt in seinem Larvenzustande, nämlich in der Form
des Ammocoetes drei bis vier Jahre, wogegen nach den Beobachtungen A.
Müller’s1) die Lebensdauer des ausgebildeten Thieres nur eine kurze ist, kein
Wunder also, dass Ammocoetes branchialis trotz seines versteckten Aufent-
halts den Fischern und Ichthyologen viel häufiger in die Hände geräth als der
Petromyzon Planeri, der von manchen Faunisten gänzlich übersehen wurde,
während ihm seine Larvenform, der Ammocoetes branchialis nicht entgangen
war. Das seltenere Vorkommen des fertigen Petromyzon Planeri mag auch
die Veranlassung gewesen sein, dass die Ichthyologen mit diesem Fische we-
niger vertraut geworden sind und weder in Abbildungen noch in Beschrei-
bungen, die sie nur zu häufig von einander entlehnten, die wahre Form die-
ses Fisches wiedergegeben haben. Die Afterflosse der geschlechtsreifen
Weibchen des kleinen Neunauges finde ich nirgends erwähnt, auch sind die
Rückenflossen desselben nur von wenigen Ichthyologen richtig aufgefasst wor-
den; selbst Bloch, welcher dieses kleine Neunauge zuerst beschrieb, hat
dasselbe mit weit von einander getrennten Rückenflossen so unkenntlich
dargestellt, dass Günther (a. a. O.) sich veranlasst sah, diese Abbildung für
einen jungen Petromyzon fluviatilis zu erklären. Da die meisten übrigen bild-
lichen Darstellungen des Petromyzon Planeri nur Copien dieser Bloch’schen
Figur sind, so halte ich es nicht für unangemessen auf folgende Abbildungen
aufmerksam zu machen, welche wenigstens die beiden Rückenflossen dieses
Fisches in einem richtigen Verhältniss zu einander erkennen lassen. Als solche
gute Abbildungen des Petromyzon Planeri empfehle ich die von Lacépède2)
und von Yarrell3), welche letztere von Krøyer4) copirt worden ist.

Die Laichzeit des kleinen Neunauges findet im Frühjahre statt und be-
ginnt mit den ersten warmen Tagen des April. A. Müller5) hat das Glück
gehabt in der Panke, einem kleinen innerhalb Berlin sich in die Spree er-
giessenden Bache den Petromyzon Planeri bei seinem Laichgeschäfte sehr ge-
nau zu beobachten. Er sah von diesen kleinen Neunaugen zehn und mehr
Stücke in Schwärmen beisammen, von welchen einzelne Milchner sich am
Nacken der Rogner festsogen und in einer halben Windung nach der Unter-

1) A. a. O. pag. 334.
2) S. dessen: Histoire naturelle des Poissons. Vol. I. 1798. pag. 30. Pl. III. Fig. 1.
3) Vergl. dessen: British fishes a. a. O.
4) S. dessen: Danmarks Fiske. III. Bd. pag. 1052.
5) A. a. O. pag. 324.
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[377/0390] Gattung: Petromyzon. Sein Vorkommen ist ein ausserordentlich verbreitetes; in allen Flussge- bieten Deutschlands ist das kleine Neunauge bis zu den kleinsten Nebenbächen hinauf anzutreffen, jedoch ungleich seltner als seine Larven, welcher Umstand mit der ganz eigenthümlichen von A. Müller zuerst aufgedeckten Verwand- lungs- und Fortpflanzungsgeschichte dieses Fisches in enger Beziehung steht. Das kleine Neunauge verharrt in seinem Larvenzustande, nämlich in der Form des Ammocoetes drei bis vier Jahre, wogegen nach den Beobachtungen A. Müller’s 1) die Lebensdauer des ausgebildeten Thieres nur eine kurze ist, kein Wunder also, dass Ammocoetes branchialis trotz seines versteckten Aufent- halts den Fischern und Ichthyologen viel häufiger in die Hände geräth als der Petromyzon Planeri, der von manchen Faunisten gänzlich übersehen wurde, während ihm seine Larvenform, der Ammocoetes branchialis nicht entgangen war. Das seltenere Vorkommen des fertigen Petromyzon Planeri mag auch die Veranlassung gewesen sein, dass die Ichthyologen mit diesem Fische we- niger vertraut geworden sind und weder in Abbildungen noch in Beschrei- bungen, die sie nur zu häufig von einander entlehnten, die wahre Form die- ses Fisches wiedergegeben haben. Die Afterflosse der geschlechtsreifen Weibchen des kleinen Neunauges finde ich nirgends erwähnt, auch sind die Rückenflossen desselben nur von wenigen Ichthyologen richtig aufgefasst wor- den; selbst Bloch, welcher dieses kleine Neunauge zuerst beschrieb, hat dasselbe mit weit von einander getrennten Rückenflossen so unkenntlich dargestellt, dass Günther (a. a. O.) sich veranlasst sah, diese Abbildung für einen jungen Petromyzon fluviatilis zu erklären. Da die meisten übrigen bild- lichen Darstellungen des Petromyzon Planeri nur Copien dieser Bloch’schen Figur sind, so halte ich es nicht für unangemessen auf folgende Abbildungen aufmerksam zu machen, welche wenigstens die beiden Rückenflossen dieses Fisches in einem richtigen Verhältniss zu einander erkennen lassen. Als solche gute Abbildungen des Petromyzon Planeri empfehle ich die von Lacépède 2) und von Yarrell 3), welche letztere von Krøyer 4) copirt worden ist. Die Laichzeit des kleinen Neunauges findet im Frühjahre statt und be- ginnt mit den ersten warmen Tagen des April. A. Müller 5) hat das Glück gehabt in der Panke, einem kleinen innerhalb Berlin sich in die Spree er- giessenden Bache den Petromyzon Planeri bei seinem Laichgeschäfte sehr ge- nau zu beobachten. Er sah von diesen kleinen Neunaugen zehn und mehr Stücke in Schwärmen beisammen, von welchen einzelne Milchner sich am Nacken der Rogner festsogen und in einer halben Windung nach der Unter- 1) A. a. O. pag. 334. 2) S. dessen: Histoire naturelle des Poissons. Vol. I. 1798. pag. 30. Pl. III. Fig. 1. 3) Vergl. dessen: British fishes a. a. O. 4) S. dessen: Danmarks Fiske. III. Bd. pag. 1052. 5) A. a. O. pag. 324.

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Zitationshilfe: Siebold, Carl Theodor Ernst von: Die Süsswasserfische von Mitteleuropa. Leipzig, 1863, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siebold_suesswasserfische_1863/390>, abgerufen am 24.11.2024.