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Siebold, Carl Theodor Ernst von: Die Süsswasserfische von Mitteleuropa. Leipzig, 1863.

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Gattung: Petromyzon.
zu unterscheiden waren. Diese Entdeckung musste den eifrigen Beobachter
auf den Gedanken bringen, dass Ammocoetes branchialis die Larve des Petro-
myzon Planeri
sei und dass sich diese Larven in ihren verschiedenen Meta-
morphosen bis zum vollkommenen Petromyzon Planeri draussen im Freien
finden müssen. In der That gelang es A. Müller, die verschiedenen Ver-
wandlungszustände der kleinen Neunaugen vom blinden Ammocoetes bran-
chialis
bis zum ausgebildeten grossäugigen Petromyzon Planeri aufzufinden.
A. Müller1) überzeugte sich, dass die Jungen der kleinen Neunaugen zu
Querdern von mehreren Zoll Länge auswachsen, wozu sie drei bis vier Jahre
Zeit gebrauchen, und dass sie sich nicht vor dem vierten Jahre in Petromyzon
Planeri
verwandeln. Es ist eine bekannte Sache, dass Ammocoetes branchialis
eine Länge von 6 bis 7 Zoll erreicht, ohne dass sich auch die Spur einer an-
gefangenen Metamorphose an ihm wahrnehmen lässt. Es müssen aber in die-
ser Beziehung grosse Ungleichheiten statt finden, manche Querderlarven
scheinen sich schon ziemlich früh in Neunaugen umzuwandeln, während an-
dere Individuen um vieles grösser auswachsen, ehe sie in die Neunaugenform
übergehen. Eine Sendung von mehreren Individuen des P. Planeri aus Hol-
stein, welche ich Herrn Professor Behn in Kiel zu verdanken hatte, enthielt
neben einem 41/2zölligen männlichen Individuum ein 101/4zölliges männliches
und sogar ein 13zölliges weibliches Individuum.

Im vollständig ausgewachsenen Larven- oder Ammocoetes-Zustande bie-
tet P. Planeri folgende Körperform dar. Der Kopf ist sehr klein, so dass das
vorderste der sieben Kiemenlöcher dem Mundnapfe jederseits sehr nahe
steht, der Mundnapf wird von einer sehr grossen Oberlippe und einer sehr
kleinen Unterlippe umgeben. Die Oberlippe ragt über die letztere weit her-
vor und schliesst dieselbe von beiden Seiten her fast vollständig ein. Der
Eingang zur zahnlosen Mundhöhle ist hinter den Lippen von mehreren grösse-
ren verästelten Bartfäden rund herum besetzt, vor ihnen zeigt sich die innere
Fläche der Oberlippenmitte mit kleinen zerfaserten Papillen dicht bewach-
sen. Unmittelbar hinter der Oberlippe befindet sich das unpaarige Nasenloch
auf der Mittellinie der Stirn, und zu beiden Seiten desselben die winzigen
Augäpfel, welche in einer seichten Grube von der allgemeinen Hautbedeckung
überzogen, tief verborgen liegen. Ueber die sieben Kiemenöffnungen jeder
Seite zieht sich eine tiefe Längsfurche hin. Die Rückenflosse beginnt auf der
Mitte des Rückens und zieht als ein niedriger, strahlenloser Hautsaum bis
zum Schwanze hin, wobei sich dieser Hautsaum zweimal, das zweite Mal et-
was mehr als das erste Mal flach bogenförmig erhebt und so eine erste und
zweite Rückenflosse andeutet. An dem Schwanzende bildet die Fortsetzung
dieses Hautsaumes einen etwas breiteren oberen und unteren Lappen als An-
deutung einer Schwanzflosse. Unter der zweiten Erhebung der Rückenhaut-

1) A. a. O. pag. 333.

Gattung: Petromyzon.
zu unterscheiden waren. Diese Entdeckung musste den eifrigen Beobachter
auf den Gedanken bringen, dass Ammocoetes branchialis die Larve des Petro-
myzon Planeri
sei und dass sich diese Larven in ihren verschiedenen Meta-
morphosen bis zum vollkommenen Petromyzon Planeri draussen im Freien
finden müssen. In der That gelang es A. Müller, die verschiedenen Ver-
wandlungszustände der kleinen Neunaugen vom blinden Ammocoetes bran-
chialis
bis zum ausgebildeten grossäugigen Petromyzon Planeri aufzufinden.
A. Müller1) überzeugte sich, dass die Jungen der kleinen Neunaugen zu
Querdern von mehreren Zoll Länge auswachsen, wozu sie drei bis vier Jahre
Zeit gebrauchen, und dass sie sich nicht vor dem vierten Jahre in Petromyzon
Planeri
verwandeln. Es ist eine bekannte Sache, dass Ammocoetes branchialis
eine Länge von 6 bis 7 Zoll erreicht, ohne dass sich auch die Spur einer an-
gefangenen Metamorphose an ihm wahrnehmen lässt. Es müssen aber in die-
ser Beziehung grosse Ungleichheiten statt finden, manche Querderlarven
scheinen sich schon ziemlich früh in Neunaugen umzuwandeln, während an-
dere Individuen um vieles grösser auswachsen, ehe sie in die Neunaugenform
übergehen. Eine Sendung von mehreren Individuen des P. Planeri aus Hol-
stein, welche ich Herrn Professor Behn in Kiel zu verdanken hatte, enthielt
neben einem 4½zölligen männlichen Individuum ein 10¼zölliges männliches
und sogar ein 13zölliges weibliches Individuum.

Im vollständig ausgewachsenen Larven- oder Ammocoetes-Zustande bie-
tet P. Planeri folgende Körperform dar. Der Kopf ist sehr klein, so dass das
vorderste der sieben Kiemenlöcher dem Mundnapfe jederseits sehr nahe
steht, der Mundnapf wird von einer sehr grossen Oberlippe und einer sehr
kleinen Unterlippe umgeben. Die Oberlippe ragt über die letztere weit her-
vor und schliesst dieselbe von beiden Seiten her fast vollständig ein. Der
Eingang zur zahnlosen Mundhöhle ist hinter den Lippen von mehreren grösse-
ren verästelten Bartfäden rund herum besetzt, vor ihnen zeigt sich die innere
Fläche der Oberlippenmitte mit kleinen zerfaserten Papillen dicht bewach-
sen. Unmittelbar hinter der Oberlippe befindet sich das unpaarige Nasenloch
auf der Mittellinie der Stirn, und zu beiden Seiten desselben die winzigen
Augäpfel, welche in einer seichten Grube von der allgemeinen Hautbedeckung
überzogen, tief verborgen liegen. Ueber die sieben Kiemenöffnungen jeder
Seite zieht sich eine tiefe Längsfurche hin. Die Rückenflosse beginnt auf der
Mitte des Rückens und zieht als ein niedriger, strahlenloser Hautsaum bis
zum Schwanze hin, wobei sich dieser Hautsaum zweimal, das zweite Mal et-
was mehr als das erste Mal flach bogenförmig erhebt und so eine erste und
zweite Rückenflosse andeutet. An dem Schwanzende bildet die Fortsetzung
dieses Hautsaumes einen etwas breiteren oberen und unteren Lappen als An-
deutung einer Schwanzflosse. Unter der zweiten Erhebung der Rückenhaut-

1) A. a. O. pag. 333.
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[379/0392] Gattung: Petromyzon. zu unterscheiden waren. Diese Entdeckung musste den eifrigen Beobachter auf den Gedanken bringen, dass Ammocoetes branchialis die Larve des Petro- myzon Planeri sei und dass sich diese Larven in ihren verschiedenen Meta- morphosen bis zum vollkommenen Petromyzon Planeri draussen im Freien finden müssen. In der That gelang es A. Müller, die verschiedenen Ver- wandlungszustände der kleinen Neunaugen vom blinden Ammocoetes bran- chialis bis zum ausgebildeten grossäugigen Petromyzon Planeri aufzufinden. A. Müller 1) überzeugte sich, dass die Jungen der kleinen Neunaugen zu Querdern von mehreren Zoll Länge auswachsen, wozu sie drei bis vier Jahre Zeit gebrauchen, und dass sie sich nicht vor dem vierten Jahre in Petromyzon Planeri verwandeln. Es ist eine bekannte Sache, dass Ammocoetes branchialis eine Länge von 6 bis 7 Zoll erreicht, ohne dass sich auch die Spur einer an- gefangenen Metamorphose an ihm wahrnehmen lässt. Es müssen aber in die- ser Beziehung grosse Ungleichheiten statt finden, manche Querderlarven scheinen sich schon ziemlich früh in Neunaugen umzuwandeln, während an- dere Individuen um vieles grösser auswachsen, ehe sie in die Neunaugenform übergehen. Eine Sendung von mehreren Individuen des P. Planeri aus Hol- stein, welche ich Herrn Professor Behn in Kiel zu verdanken hatte, enthielt neben einem 4½zölligen männlichen Individuum ein 10¼zölliges männliches und sogar ein 13zölliges weibliches Individuum. Im vollständig ausgewachsenen Larven- oder Ammocoetes-Zustande bie- tet P. Planeri folgende Körperform dar. Der Kopf ist sehr klein, so dass das vorderste der sieben Kiemenlöcher dem Mundnapfe jederseits sehr nahe steht, der Mundnapf wird von einer sehr grossen Oberlippe und einer sehr kleinen Unterlippe umgeben. Die Oberlippe ragt über die letztere weit her- vor und schliesst dieselbe von beiden Seiten her fast vollständig ein. Der Eingang zur zahnlosen Mundhöhle ist hinter den Lippen von mehreren grösse- ren verästelten Bartfäden rund herum besetzt, vor ihnen zeigt sich die innere Fläche der Oberlippenmitte mit kleinen zerfaserten Papillen dicht bewach- sen. Unmittelbar hinter der Oberlippe befindet sich das unpaarige Nasenloch auf der Mittellinie der Stirn, und zu beiden Seiten desselben die winzigen Augäpfel, welche in einer seichten Grube von der allgemeinen Hautbedeckung überzogen, tief verborgen liegen. Ueber die sieben Kiemenöffnungen jeder Seite zieht sich eine tiefe Längsfurche hin. Die Rückenflosse beginnt auf der Mitte des Rückens und zieht als ein niedriger, strahlenloser Hautsaum bis zum Schwanze hin, wobei sich dieser Hautsaum zweimal, das zweite Mal et- was mehr als das erste Mal flach bogenförmig erhebt und so eine erste und zweite Rückenflosse andeutet. An dem Schwanzende bildet die Fortsetzung dieses Hautsaumes einen etwas breiteren oberen und unteren Lappen als An- deutung einer Schwanzflosse. Unter der zweiten Erhebung der Rückenhaut- 1) A. a. O. pag. 333.

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Zitationshilfe: Siebold, Carl Theodor Ernst von: Die Süsswasserfische von Mitteleuropa. Leipzig, 1863, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siebold_suesswasserfische_1863/392>, abgerufen am 24.11.2024.