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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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Herr Schantroch, der mit mir in der nehmlichen Au¬
berge speiste, schien ein eben so seichter Kritiker zu
seyn, als er ein mittelmässiger Schauspieler ist. Doch
ist seine Gesellschaft nicht ganz ohne Verdienst und
hat einige Subjekte, die auch ihren Dialekt ziemlich
überwunden haben: und Herr Schantroch soll als
Prinzipal alles thun, was in seinen Kräften ist, sie gut
zu halten. Die Tagsordnung des Stadtgesprächs waren
Balltrakasserien, wo sich vorzüglich ein Offizier durch
sein unanständiges brüskes Betragen ausgezeichnet ha¬
ben sollte; und dieser war nach seinem Familienna¬
men zu urtheilen, leider unser Landsmann. Die Kaf¬
feehäuser sind in Gräz und hier weit besser als in
Wien; und das hiesige Schweizerkaffeehaus ist ganz
artig und verhältnissmässig anständiger als das berühmte
Milanosche in der Residenz, wo man sitzt, als ob
man zur Finsterniss verdammt wäre. Du siehst, dass
man für das letzte Zipfelchen unsers deutschen Vater¬
landes hier ganz komfortabel lebt und uns noch Ehre
genug macht.

Einige Barone aus der Provinz, die in meiner
Auberge speisten, sprachen von den hiesigen öffentli¬
chen Rechtsverhältnissen zwischen Obrigkeiten und Un¬
terthanen, oder vielmehr zwischen Erbherren und
Leibeigenen; denn das erste ist nur ein Euphemismus:
und da ergab sich denn für mich, den stillen Zuhö¬
rer, dass alles noch ein grosses, grobes, verworrenes
Chaos ist, eine Mischung von rechtlicher Unterdrü¬
ckung und alter Sklaverey.

Was Küttner von dem bösen Betragen der Fran¬
zosen in der hiesigen Gegend gesagt hat, muss wohl

Herr Schantroch, der mit mir in der nehmlichen Au¬
berge speiste, schien ein eben so seichter Kritiker zu
seyn, als er ein mittelmäſsiger Schauspieler ist. Doch
ist seine Gesellschaft nicht ganz ohne Verdienst und
hat einige Subjekte, die auch ihren Dialekt ziemlich
überwunden haben: und Herr Schantroch soll als
Prinzipal alles thun, was in seinen Kräften ist, sie gut
zu halten. Die Tagsordnung des Stadtgesprächs waren
Balltrakasserien, wo sich vorzüglich ein Offizier durch
sein unanständiges brüskes Betragen ausgezeichnet ha¬
ben sollte; und dieser war nach seinem Familienna¬
men zu urtheilen, leider unser Landsmann. Die Kaf¬
feehäuser sind in Gräz und hier weit besser als in
Wien; und das hiesige Schweizerkaffeehaus ist ganz
artig und verhältniſsmäſsig anständiger als das berühmte
Milanosche in der Residenz, wo man sitzt, als ob
man zur Finsterniſs verdammt wäre. Du siehst, daſs
man für das letzte Zipfelchen unsers deutschen Vater¬
landes hier ganz komfortabel lebt und uns noch Ehre
genug macht.

Einige Barone aus der Provinz, die in meiner
Auberge speisten, sprachen von den hiesigen öffentli¬
chen Rechtsverhältnissen zwischen Obrigkeiten und Un¬
terthanen, oder vielmehr zwischen Erbherren und
Leibeigenen; denn das erste ist nur ein Euphemismus:
und da ergab sich denn für mich, den stillen Zuhö¬
rer, daſs alles noch ein groſses, grobes, verworrenes
Chaos ist, eine Mischung von rechtlicher Unterdrü¬
ckung und alter Sklaverey.

Was Küttner von dem bösen Betragen der Fran¬
zosen in der hiesigen Gegend gesagt hat, muſs wohl

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[68/0094] Herr Schantroch, der mit mir in der nehmlichen Au¬ berge speiste, schien ein eben so seichter Kritiker zu seyn, als er ein mittelmäſsiger Schauspieler ist. Doch ist seine Gesellschaft nicht ganz ohne Verdienst und hat einige Subjekte, die auch ihren Dialekt ziemlich überwunden haben: und Herr Schantroch soll als Prinzipal alles thun, was in seinen Kräften ist, sie gut zu halten. Die Tagsordnung des Stadtgesprächs waren Balltrakasserien, wo sich vorzüglich ein Offizier durch sein unanständiges brüskes Betragen ausgezeichnet ha¬ ben sollte; und dieser war nach seinem Familienna¬ men zu urtheilen, leider unser Landsmann. Die Kaf¬ feehäuser sind in Gräz und hier weit besser als in Wien; und das hiesige Schweizerkaffeehaus ist ganz artig und verhältniſsmäſsig anständiger als das berühmte Milanosche in der Residenz, wo man sitzt, als ob man zur Finsterniſs verdammt wäre. Du siehst, daſs man für das letzte Zipfelchen unsers deutschen Vater¬ landes hier ganz komfortabel lebt und uns noch Ehre genug macht. Einige Barone aus der Provinz, die in meiner Auberge speisten, sprachen von den hiesigen öffentli¬ chen Rechtsverhältnissen zwischen Obrigkeiten und Un¬ terthanen, oder vielmehr zwischen Erbherren und Leibeigenen; denn das erste ist nur ein Euphemismus: und da ergab sich denn für mich, den stillen Zuhö¬ rer, daſs alles noch ein groſses, grobes, verworrenes Chaos ist, eine Mischung von rechtlicher Unterdrü¬ ckung und alter Sklaverey. Was Küttner von dem bösen Betragen der Fran¬ zosen in der hiesigen Gegend gesagt hat, muſs wohl

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/94>, abgerufen am 22.11.2024.