und die man gewöhnlich nur Virgils Schule nennt. Wenn man nun gleich den Ort wohl sehr uneigent¬ lich Virgils Schule nennt, so ist es doch sehr wahr-, scheinlich, dass er hier oft gearbeitet haben mag. Es ist eine der angenehmsten klassischen mythologischen Stellen, welche die Einbildungskraft sich nur schaffen kann. Vermuthlich gehört der Platz zu den Gärten des Pollio. Er hatte hier um sich her einen grossen Theil von dem Theater seiner Aeneide, alle Oerter die an den Meerbusen von Neapel und Bajä liegen, von den phlegräischen Feldern bis nach Surrent.
Nicht weit von der Landspitze und von dem Wirthshause, wo ich einkehrte, stand ehemals ein al¬ ter Tempel der Fortuna, von dem noch einige Säulen und etwas Gemäuer zu sehen sind. Jetzt hat man an dem Orte ein christliches Kirchlein gebauet und es der Madonna della fortuna geweiht. Man hat bekanntlich manches aus dem Heidenthum in den christlichen Ri¬ tus übergetragen, die Saturnalien, das Weihwasser und vieles andere; aber besser hätte man nicht umändern können: denn es ist wohl auf der ganzen Erde, in der wahren Geschichte und in der Fabellehre kein anderes Weib, das ein solches Glück gemacht hätte, als diese Madonna. Ein wenig weiter landeinwärts sind in den Gärten noch die gemauerten Tiefen, die man mit Wahrscheinlichkeit für die Fischhälter des Pollio an¬ nimmt, und in dieser Meinung eine grosse marmorne Tafel an der Thür angebracht hat, auf welcher latei¬ nisch alle Gräuel abscheulich genug beschrieben sind, die der Heide hier getrieben hat; wo denn natürlich die Milde unserer Religion und unserer Regierungen
und die man gewöhnlich nur Virgils Schule nennt. Wenn man nun gleich den Ort wohl sehr uneigent¬ lich Virgils Schule nennt, so ist es doch sehr wahr-, scheinlich, daſs er hier oft gearbeitet haben mag. Es ist eine der angenehmsten klassischen mythologischen Stellen, welche die Einbildungskraft sich nur schaffen kann. Vermuthlich gehört der Platz zu den Gärten des Pollio. Er hatte hier um sich her einen groſsen Theil von dem Theater seiner Aeneide, alle Oerter die an den Meerbusen von Neapel und Bajä liegen, von den phlegräischen Feldern bis nach Surrent.
Nicht weit von der Landspitze und von dem Wirthshause, wo ich einkehrte, stand ehemals ein al¬ ter Tempel der Fortuna, von dem noch einige Säulen und etwas Gemäuer zu sehen sind. Jetzt hat man an dem Orte ein christliches Kirchlein gebauet und es der Madonna della fortuna geweiht. Man hat bekanntlich manches aus dem Heidenthum in den christlichen Ri¬ tus übergetragen, die Saturnalien, das Weihwasser und vieles andere; aber besser hätte man nicht umändern können: denn es ist wohl auf der ganzen Erde, in der wahren Geschichte und in der Fabellehre kein anderes Weib, das ein solches Glück gemacht hätte, als diese Madonna. Ein wenig weiter landeinwärts sind in den Gärten noch die gemauerten Tiefen, die man mit Wahrscheinlichkeit für die Fischhälter des Pollio an¬ nimmt, und in dieser Meinung eine groſse marmorne Tafel an der Thür angebracht hat, auf welcher latei¬ niſch alle Gräuel abscheulich genug beschrieben sind, die der Heide hier getrieben hat; wo denn natürlich die Milde unserer Religion und unserer Regierungen
<TEI><text><body><div><p><pbfacs="#f0220"n="194"/>
und die man gewöhnlich nur Virgils Schule nennt.<lb/>
Wenn man nun gleich den Ort wohl sehr uneigent¬<lb/>
lich Virgils Schule nennt, so ist es doch sehr wahr-,<lb/>
scheinlich, daſs er hier oft gearbeitet haben mag. Es<lb/>
ist eine der angenehmsten klassischen mythologischen<lb/>
Stellen, welche die Einbildungskraft sich nur schaffen<lb/>
kann. Vermuthlich gehört der Platz zu den Gärten<lb/>
des Pollio. Er hatte hier um sich her einen groſsen<lb/>
Theil von dem Theater seiner Aeneide, alle Oerter<lb/>
die an den Meerbusen von Neapel und Bajä liegen,<lb/>
von den phlegräischen Feldern bis nach Surrent.</p><lb/><p>Nicht weit von der Landspitze und von dem<lb/>
Wirthshause, wo ich einkehrte, stand ehemals ein al¬<lb/>
ter Tempel der Fortuna, von dem noch einige Säulen<lb/>
und etwas Gemäuer zu sehen sind. Jetzt hat man an<lb/>
dem Orte ein christliches Kirchlein gebauet und es der<lb/>
Madonna <hirendition="#i">della fortuna</hi> geweiht. Man hat bekanntlich<lb/>
manches aus dem Heidenthum in den christlichen Ri¬<lb/>
tus übergetragen, die Saturnalien, das Weihwasser und<lb/>
vieles andere; aber besser hätte man nicht umändern<lb/>
können: denn es ist wohl auf der ganzen Erde, in der<lb/>
wahren Geschichte und in der Fabellehre kein anderes<lb/>
Weib, das ein solches Glück gemacht hätte, als diese<lb/>
Madonna. Ein wenig weiter landeinwärts sind in den<lb/>
Gärten noch die gemauerten Tiefen, die man mit<lb/>
Wahrscheinlichkeit für die Fischhälter des Pollio an¬<lb/>
nimmt, und in dieser Meinung eine groſse marmorne<lb/>
Tafel an der Thür angebracht hat, auf welcher latei¬<lb/>
niſch alle Gräuel abscheulich genug beschrieben sind,<lb/>
die der Heide hier getrieben hat; wo denn natürlich<lb/>
die Milde unserer Religion und unserer Regierungen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[194/0220]
und die man gewöhnlich nur Virgils Schule nennt.
Wenn man nun gleich den Ort wohl sehr uneigent¬
lich Virgils Schule nennt, so ist es doch sehr wahr-,
scheinlich, daſs er hier oft gearbeitet haben mag. Es
ist eine der angenehmsten klassischen mythologischen
Stellen, welche die Einbildungskraft sich nur schaffen
kann. Vermuthlich gehört der Platz zu den Gärten
des Pollio. Er hatte hier um sich her einen groſsen
Theil von dem Theater seiner Aeneide, alle Oerter
die an den Meerbusen von Neapel und Bajä liegen,
von den phlegräischen Feldern bis nach Surrent.
Nicht weit von der Landspitze und von dem
Wirthshause, wo ich einkehrte, stand ehemals ein al¬
ter Tempel der Fortuna, von dem noch einige Säulen
und etwas Gemäuer zu sehen sind. Jetzt hat man an
dem Orte ein christliches Kirchlein gebauet und es der
Madonna della fortuna geweiht. Man hat bekanntlich
manches aus dem Heidenthum in den christlichen Ri¬
tus übergetragen, die Saturnalien, das Weihwasser und
vieles andere; aber besser hätte man nicht umändern
können: denn es ist wohl auf der ganzen Erde, in der
wahren Geschichte und in der Fabellehre kein anderes
Weib, das ein solches Glück gemacht hätte, als diese
Madonna. Ein wenig weiter landeinwärts sind in den
Gärten noch die gemauerten Tiefen, die man mit
Wahrscheinlichkeit für die Fischhälter des Pollio an¬
nimmt, und in dieser Meinung eine groſse marmorne
Tafel an der Thür angebracht hat, auf welcher latei¬
niſch alle Gräuel abscheulich genug beschrieben sind,
die der Heide hier getrieben hat; wo denn natürlich
die Milde unserer Religion und unserer Regierungen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/220>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.