Hierauf haben wir Folgendes zu erwiedern: Wenn Prof. Schmidt deshalb nicht glauben will, dass das Leichenmiasma des Zeigefingers des touchirenden Studiosus der Berlinerin das Puerperalfieber bringt, weil derselbe Finger den normal Ent- bundenen nicht auch das Kindbettfieber bringt, so können wir unser Staunen über solch eine Behauptung nicht unterdrücken. Prof. Schmidt sagt Seite 491: "Seit mir die ärztliche Leitung der Gebäranstalt vom September 1844 anvertraut wurde, bis inclusive Mai 1850, sind von 2631 Wöchnerinnen überhaupt 442 auf andere Stationen verlegt, 7 sind in den ersten 5 Tagen nach der Geburt, 6 sind nach längerer Zeit in der Gebäran- stalt selbst gestorben. Und eben in dem Umstande, dass jede Wöchnerin verlegt wird, sobald sie verdächtig zu werden an- fängt, scheint mir ein Grund zu liegen, weshalb dieser grosse Würgengelder Gebäranstalten in der Charite selten vorkommt."
Prof. Schmidt schickt von 2631 Wöchnerinnen 442 auf andere Stationen, und trotz dem Unglücke so vieler hundert Wöchnerinnen macht Prof. Schmidt nicht einmal die Erfah- rung, dass auch normal Entbundene häufig am Puerperalfieber erkranken.
Der Leser weiss, dass in Folge unverhütbarer Selbstin- fection nicht eine Wöchnerin von 100 Wöchnerinnen stirbt, folglich konnten von 2631 Wöchnerinnen höchstens 25 in Folge von Selbstinfection sterben.
In der Gebäranstalt selbst sind 13 Wöchnerinnen gestor- ben, wie viele mögen von den 442 an anderen Stationen ge- storben sein?
Der Tod so vieler Wöchnerinnen war nicht geeignet, Prof. Schmidt die Erfahrung machen zu lassen, dass der Würg- engel der Gebäranstalten auch in der Charite nur zu reichliche Beute hält.
Unser Staunen steigert sich noch durch die Behauptung Prof. Schmidt's, dass die Nosocomial-Atmosphäre der Wochen- zimmer, und nicht die Cadaver des Leichenhauses auf unseren Vorwürfen hängen bleiben, wenn nach auffallend leichten
Hierauf haben wir Folgendes zu erwiedern: Wenn Prof. Schmidt deshalb nicht glauben will, dass das Leichenmiasma des Zeigefingers des touchirenden Studiosus der Berlinerin das Puerperalfieber bringt, weil derselbe Finger den normal Ent- bundenen nicht auch das Kindbettfieber bringt, so können wir unser Staunen über solch eine Behauptung nicht unterdrücken. Prof. Schmidt sagt Seite 491: »Seit mir die ärztliche Leitung der Gebäranstalt vom September 1844 anvertraut wurde, bis inclusive Mai 1850, sind von 2631 Wöchnerinnen überhaupt 442 auf andere Stationen verlegt, 7 sind in den ersten 5 Tagen nach der Geburt, 6 sind nach längerer Zeit in der Gebäran- stalt selbst gestorben. Und eben in dem Umstande, dass jede Wöchnerin verlegt wird, sobald sie verdächtig zu werden an- fängt, scheint mir ein Grund zu liegen, weshalb dieser grosse Würgengelder Gebäranstalten in der Charité selten vorkommt.«
Prof. Schmidt schickt von 2631 Wöchnerinnen 442 auf andere Stationen, und trotz dem Unglücke so vieler hundert Wöchnerinnen macht Prof. Schmidt nicht einmal die Erfah- rung, dass auch normal Entbundene häufig am Puerperalfieber erkranken.
Der Leser weiss, dass in Folge unverhütbarer Selbstin- fection nicht eine Wöchnerin von 100 Wöchnerinnen stirbt, folglich konnten von 2631 Wöchnerinnen höchstens 25 in Folge von Selbstinfection sterben.
In der Gebäranstalt selbst sind 13 Wöchnerinnen gestor- ben, wie viele mögen von den 442 an anderen Stationen ge- storben sein?
Der Tod so vieler Wöchnerinnen war nicht geeignet, Prof. Schmidt die Erfahrung machen zu lassen, dass der Würg- engel der Gebäranstalten auch in der Charité nur zu reichliche Beute hält.
Unser Staunen steigert sich noch durch die Behauptung Prof. Schmidt’s, dass die Nosocomial-Atmosphäre der Wochen- zimmer, und nicht die Cadaver des Leichenhauses auf unseren Vorwürfen hängen bleiben, wenn nach auffallend leichten
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0476"n="464"/><p>Hierauf haben wir Folgendes zu erwiedern: Wenn Prof.<lb/>
Schmidt deshalb nicht glauben will, dass das Leichenmiasma<lb/>
des Zeigefingers des touchirenden Studiosus der Berlinerin das<lb/>
Puerperalfieber bringt, weil derselbe Finger den normal Ent-<lb/>
bundenen nicht auch das Kindbettfieber bringt, so können wir<lb/>
unser Staunen über solch eine Behauptung nicht unterdrücken.<lb/>
Prof. Schmidt sagt Seite 491: »Seit mir die ärztliche Leitung<lb/>
der Gebäranstalt vom September 1844 anvertraut wurde, bis<lb/>
inclusive Mai 1850, sind von 2631 Wöchnerinnen überhaupt<lb/>
442 auf andere Stationen verlegt, 7 sind in den ersten 5 Tagen<lb/>
nach der Geburt, 6 sind nach längerer Zeit in der Gebäran-<lb/>
stalt selbst gestorben. Und eben in dem Umstande, dass jede<lb/>
Wöchnerin verlegt wird, sobald sie verdächtig zu werden an-<lb/>
fängt, scheint mir ein Grund zu liegen, weshalb dieser grosse<lb/>
Würgengelder Gebäranstalten in der Charité selten vorkommt.«</p><lb/><p>Prof. Schmidt schickt von 2631 Wöchnerinnen 442 auf<lb/>
andere Stationen, und trotz dem Unglücke so vieler hundert<lb/>
Wöchnerinnen macht Prof. Schmidt nicht einmal die Erfah-<lb/>
rung, dass auch normal Entbundene häufig am Puerperalfieber<lb/>
erkranken.</p><lb/><p>Der Leser weiss, dass in Folge unverhütbarer Selbstin-<lb/>
fection nicht eine Wöchnerin von 100 Wöchnerinnen stirbt,<lb/>
folglich konnten von 2631 Wöchnerinnen höchstens 25 in Folge<lb/>
von Selbstinfection sterben.</p><lb/><p>In der Gebäranstalt selbst sind 13 Wöchnerinnen gestor-<lb/>
ben, wie viele mögen von den 442 an anderen Stationen ge-<lb/>
storben sein?</p><lb/><p>Der Tod so vieler Wöchnerinnen war nicht geeignet,<lb/>
Prof. Schmidt die Erfahrung machen zu lassen, dass der Würg-<lb/>
engel der Gebäranstalten auch in der Charité nur zu reichliche<lb/>
Beute hält.</p><lb/><p>Unser Staunen steigert sich noch durch die Behauptung<lb/>
Prof. Schmidt’s, dass die Nosocomial-Atmosphäre der Wochen-<lb/>
zimmer, und nicht die Cadaver des Leichenhauses auf unseren<lb/>
Vorwürfen hängen bleiben, wenn nach auffallend leichten<lb/></p></div></body></text></TEI>
[464/0476]
Hierauf haben wir Folgendes zu erwiedern: Wenn Prof.
Schmidt deshalb nicht glauben will, dass das Leichenmiasma
des Zeigefingers des touchirenden Studiosus der Berlinerin das
Puerperalfieber bringt, weil derselbe Finger den normal Ent-
bundenen nicht auch das Kindbettfieber bringt, so können wir
unser Staunen über solch eine Behauptung nicht unterdrücken.
Prof. Schmidt sagt Seite 491: »Seit mir die ärztliche Leitung
der Gebäranstalt vom September 1844 anvertraut wurde, bis
inclusive Mai 1850, sind von 2631 Wöchnerinnen überhaupt
442 auf andere Stationen verlegt, 7 sind in den ersten 5 Tagen
nach der Geburt, 6 sind nach längerer Zeit in der Gebäran-
stalt selbst gestorben. Und eben in dem Umstande, dass jede
Wöchnerin verlegt wird, sobald sie verdächtig zu werden an-
fängt, scheint mir ein Grund zu liegen, weshalb dieser grosse
Würgengelder Gebäranstalten in der Charité selten vorkommt.«
Prof. Schmidt schickt von 2631 Wöchnerinnen 442 auf
andere Stationen, und trotz dem Unglücke so vieler hundert
Wöchnerinnen macht Prof. Schmidt nicht einmal die Erfah-
rung, dass auch normal Entbundene häufig am Puerperalfieber
erkranken.
Der Leser weiss, dass in Folge unverhütbarer Selbstin-
fection nicht eine Wöchnerin von 100 Wöchnerinnen stirbt,
folglich konnten von 2631 Wöchnerinnen höchstens 25 in Folge
von Selbstinfection sterben.
In der Gebäranstalt selbst sind 13 Wöchnerinnen gestor-
ben, wie viele mögen von den 442 an anderen Stationen ge-
storben sein?
Der Tod so vieler Wöchnerinnen war nicht geeignet,
Prof. Schmidt die Erfahrung machen zu lassen, dass der Würg-
engel der Gebäranstalten auch in der Charité nur zu reichliche
Beute hält.
Unser Staunen steigert sich noch durch die Behauptung
Prof. Schmidt’s, dass die Nosocomial-Atmosphäre der Wochen-
zimmer, und nicht die Cadaver des Leichenhauses auf unseren
Vorwürfen hängen bleiben, wenn nach auffallend leichten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 464. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/476>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.