pse_604.001 und eine dramatische Welt bilden. "Es ist das Rätsel pse_604.002 der Dichtung, daß ihre Vielheit der Personen im Epischen pse_604.003 und im Dramatischen nur aus einer Seele stammt, die ihnen pse_604.004 Leben gibt, aber welche Fülle von Leben!" (v. Wiese).
pse_604.005 Der Reichtum an wirkenden Aufbaukräften kann in der verschiedensten pse_604.006 Weise geschichtet und gefügt sein. Die Strukturenpse_604.007 der Dramen sind also zahlreich. So kann man verschiedene pse_604.008 Typen je nach der Struktur aufstellen. Wir haben bereits pse_604.009 Einortdramen und Bewegungsdramen unterschieden, ebenso pse_604.010 nach der Bedeutung der dramatischen Figuren Charakterdramen, pse_604.011 Handlungsdramen und Weltanschauungsdramen. pse_604.012 Hier sind wir schon ganz nah an einer anderen Einteilung pse_604.013 verschiedener Typen, die mit der in der Epik besprochenen pse_604.014 (S. 550) verwandt ist (W. Kayser). In einem ersten Typus pse_604.015 bildet eine einzelne Gestalt Zentrum und Kristallisationspunkt pse_604.016 des Dramas. Die Urgespaltenheit liegt dann entweder in der pse_604.017 Gestalt selbst oder in ihrem Verhältnis zur Welt. Man denke pse_604.018 an "Julius Cäsar", "Don Juan", "Empedokles", "Peer Gynt": pse_604.019 Figurendrama. Wenn eine ganze Welt von Figuren sich im pse_604.020 dramatischen Vorgang entfaltet, sprechen wir von Raumdrama. pse_604.021 Häufiger Schauplatzwechsel, Fülle der Figuren und pse_604.022 des Geschehens, Lockerheit der Szenenfolge sind seine Kennzeichen. pse_604.023 Hier besteht die Gefahr der Auflösung der künstlerischen pse_604.024 Form, zugleich die der Hinneigung zum Epischen. pse_604.025 Die entscheidende Frage ist auch hier, wie sich die dramatischen pse_604.026 Kernmerkmale in einer solchen Struktur ausprägen, pse_604.027 besonders die Urgespaltenheit. Sie offenbart sich hier in der pse_604.028 Tatsache, daß die in einem solchen Drama gestaltete Welt pse_604.029 durch und durch von Gegensätzen zerrissen ist, und zwar von pse_604.030 grundlegenden und unüberbrückbaren. Auch eine solche pse_604.031 Struktur ist also echte dramatische Kunst: "Hamlet", "Lear". pse_604.032 In einem dritten Typus steht ein einzelnes Ereignis im Mittelpunkt. pse_604.033 Dadurch gewinnt das Kunstwerk zeitliche Straffung, pse_604.034 strenge Verdichtung auf eine Handlung. Die Figuren selbst pse_604.035 haben außerhalb der Handlung kein Leben. Die Urgespaltenheit pse_604.036 und die Gespanntheit ist hier in den Handlungsablauf pse_604.037 hineinverdichtet: "Ödipus", "Zerbrochener Krug", "Die Braut pse_604.038 von Messina".
pse_604.001 und eine dramatische Welt bilden. »Es ist das Rätsel pse_604.002 der Dichtung, daß ihre Vielheit der Personen im Epischen pse_604.003 und im Dramatischen nur aus einer Seele stammt, die ihnen pse_604.004 Leben gibt, aber welche Fülle von Leben!« (v. Wiese).
pse_604.005 Der Reichtum an wirkenden Aufbaukräften kann in der verschiedensten pse_604.006 Weise geschichtet und gefügt sein. Die Strukturenpse_604.007 der Dramen sind also zahlreich. So kann man verschiedene pse_604.008 Typen je nach der Struktur aufstellen. Wir haben bereits pse_604.009 Einortdramen und Bewegungsdramen unterschieden, ebenso pse_604.010 nach der Bedeutung der dramatischen Figuren Charakterdramen, pse_604.011 Handlungsdramen und Weltanschauungsdramen. pse_604.012 Hier sind wir schon ganz nah an einer anderen Einteilung pse_604.013 verschiedener Typen, die mit der in der Epik besprochenen pse_604.014 (S. 550) verwandt ist (W. Kayser). In einem ersten Typus pse_604.015 bildet eine einzelne Gestalt Zentrum und Kristallisationspunkt pse_604.016 des Dramas. Die Urgespaltenheit liegt dann entweder in der pse_604.017 Gestalt selbst oder in ihrem Verhältnis zur Welt. Man denke pse_604.018 an »Julius Cäsar«, »Don Juan«, »Empedokles«, »Peer Gynt«: pse_604.019 Figurendrama. Wenn eine ganze Welt von Figuren sich im pse_604.020 dramatischen Vorgang entfaltet, sprechen wir von Raumdrama. pse_604.021 Häufiger Schauplatzwechsel, Fülle der Figuren und pse_604.022 des Geschehens, Lockerheit der Szenenfolge sind seine Kennzeichen. pse_604.023 Hier besteht die Gefahr der Auflösung der künstlerischen pse_604.024 Form, zugleich die der Hinneigung zum Epischen. pse_604.025 Die entscheidende Frage ist auch hier, wie sich die dramatischen pse_604.026 Kernmerkmale in einer solchen Struktur ausprägen, pse_604.027 besonders die Urgespaltenheit. Sie offenbart sich hier in der pse_604.028 Tatsache, daß die in einem solchen Drama gestaltete Welt pse_604.029 durch und durch von Gegensätzen zerrissen ist, und zwar von pse_604.030 grundlegenden und unüberbrückbaren. Auch eine solche pse_604.031 Struktur ist also echte dramatische Kunst: »Hamlet«, »Lear«. pse_604.032 In einem dritten Typus steht ein einzelnes Ereignis im Mittelpunkt. pse_604.033 Dadurch gewinnt das Kunstwerk zeitliche Straffung, pse_604.034 strenge Verdichtung auf eine Handlung. Die Figuren selbst pse_604.035 haben außerhalb der Handlung kein Leben. Die Urgespaltenheit pse_604.036 und die Gespanntheit ist hier in den Handlungsablauf pse_604.037 hineinverdichtet: »Ödipus«, »Zerbrochener Krug«, »Die Braut pse_604.038 von Messina«.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0620"n="604"/><lbn="pse_604.001"/>
und eine dramatische Welt bilden. »Es ist das Rätsel <lbn="pse_604.002"/>
der Dichtung, daß ihre Vielheit der Personen im Epischen <lbn="pse_604.003"/>
und im Dramatischen nur aus einer Seele stammt, die ihnen <lbn="pse_604.004"/>
Leben gibt, aber welche Fülle von Leben!« (v. Wiese).</p><p><lbn="pse_604.005"/>
Der Reichtum an wirkenden Aufbaukräften kann in der verschiedensten <lbn="pse_604.006"/>
Weise geschichtet und gefügt sein. Die <hirendition="#i">Strukturen</hi><lbn="pse_604.007"/>
der Dramen sind also zahlreich. So kann man verschiedene <lbn="pse_604.008"/>
Typen je nach der Struktur aufstellen. Wir haben bereits <lbn="pse_604.009"/>
Einortdramen und Bewegungsdramen unterschieden, ebenso <lbn="pse_604.010"/>
nach der Bedeutung der dramatischen Figuren Charakterdramen, <lbn="pse_604.011"/>
Handlungsdramen und Weltanschauungsdramen. <lbn="pse_604.012"/>
Hier sind wir schon ganz nah an einer anderen Einteilung <lbn="pse_604.013"/>
verschiedener Typen, die mit der in der Epik besprochenen <lbn="pse_604.014"/>
(S. 550) verwandt ist (W. Kayser). In einem ersten Typus <lbn="pse_604.015"/>
bildet eine einzelne Gestalt Zentrum und Kristallisationspunkt <lbn="pse_604.016"/>
des Dramas. Die Urgespaltenheit liegt dann entweder in der <lbn="pse_604.017"/>
Gestalt selbst oder in ihrem Verhältnis zur Welt. Man denke <lbn="pse_604.018"/>
an »Julius Cäsar«, »Don Juan«, »Empedokles«, »Peer Gynt«: <lbn="pse_604.019"/>
Figurendrama. Wenn eine ganze Welt von Figuren sich im <lbn="pse_604.020"/>
dramatischen Vorgang entfaltet, sprechen wir von Raumdrama. <lbn="pse_604.021"/>
Häufiger Schauplatzwechsel, Fülle der Figuren und <lbn="pse_604.022"/>
des Geschehens, Lockerheit der Szenenfolge sind seine Kennzeichen. <lbn="pse_604.023"/>
Hier besteht die Gefahr der Auflösung der künstlerischen <lbn="pse_604.024"/>
Form, zugleich die der Hinneigung zum Epischen. <lbn="pse_604.025"/>
Die entscheidende Frage ist auch hier, wie sich die dramatischen <lbn="pse_604.026"/>
Kernmerkmale in einer solchen Struktur ausprägen, <lbn="pse_604.027"/>
besonders die Urgespaltenheit. Sie offenbart sich hier in der <lbn="pse_604.028"/>
Tatsache, daß die in einem solchen Drama gestaltete Welt <lbn="pse_604.029"/>
durch und durch von Gegensätzen zerrissen ist, und zwar von <lbn="pse_604.030"/>
grundlegenden und unüberbrückbaren. Auch eine solche <lbn="pse_604.031"/>
Struktur ist also echte dramatische Kunst: »Hamlet«, »Lear«. <lbn="pse_604.032"/>
In einem dritten Typus steht ein einzelnes Ereignis im Mittelpunkt. <lbn="pse_604.033"/>
Dadurch gewinnt das Kunstwerk zeitliche Straffung, <lbn="pse_604.034"/>
strenge Verdichtung auf eine Handlung. Die Figuren selbst <lbn="pse_604.035"/>
haben außerhalb der Handlung kein Leben. Die Urgespaltenheit <lbn="pse_604.036"/>
und die Gespanntheit ist hier in den Handlungsablauf <lbn="pse_604.037"/>
hineinverdichtet: »Ödipus«, »Zerbrochener Krug«, »Die Braut <lbn="pse_604.038"/>
von Messina«.</p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[604/0620]
pse_604.001
und eine dramatische Welt bilden. »Es ist das Rätsel pse_604.002
der Dichtung, daß ihre Vielheit der Personen im Epischen pse_604.003
und im Dramatischen nur aus einer Seele stammt, die ihnen pse_604.004
Leben gibt, aber welche Fülle von Leben!« (v. Wiese).
pse_604.005
Der Reichtum an wirkenden Aufbaukräften kann in der verschiedensten pse_604.006
Weise geschichtet und gefügt sein. Die Strukturen pse_604.007
der Dramen sind also zahlreich. So kann man verschiedene pse_604.008
Typen je nach der Struktur aufstellen. Wir haben bereits pse_604.009
Einortdramen und Bewegungsdramen unterschieden, ebenso pse_604.010
nach der Bedeutung der dramatischen Figuren Charakterdramen, pse_604.011
Handlungsdramen und Weltanschauungsdramen. pse_604.012
Hier sind wir schon ganz nah an einer anderen Einteilung pse_604.013
verschiedener Typen, die mit der in der Epik besprochenen pse_604.014
(S. 550) verwandt ist (W. Kayser). In einem ersten Typus pse_604.015
bildet eine einzelne Gestalt Zentrum und Kristallisationspunkt pse_604.016
des Dramas. Die Urgespaltenheit liegt dann entweder in der pse_604.017
Gestalt selbst oder in ihrem Verhältnis zur Welt. Man denke pse_604.018
an »Julius Cäsar«, »Don Juan«, »Empedokles«, »Peer Gynt«: pse_604.019
Figurendrama. Wenn eine ganze Welt von Figuren sich im pse_604.020
dramatischen Vorgang entfaltet, sprechen wir von Raumdrama. pse_604.021
Häufiger Schauplatzwechsel, Fülle der Figuren und pse_604.022
des Geschehens, Lockerheit der Szenenfolge sind seine Kennzeichen. pse_604.023
Hier besteht die Gefahr der Auflösung der künstlerischen pse_604.024
Form, zugleich die der Hinneigung zum Epischen. pse_604.025
Die entscheidende Frage ist auch hier, wie sich die dramatischen pse_604.026
Kernmerkmale in einer solchen Struktur ausprägen, pse_604.027
besonders die Urgespaltenheit. Sie offenbart sich hier in der pse_604.028
Tatsache, daß die in einem solchen Drama gestaltete Welt pse_604.029
durch und durch von Gegensätzen zerrissen ist, und zwar von pse_604.030
grundlegenden und unüberbrückbaren. Auch eine solche pse_604.031
Struktur ist also echte dramatische Kunst: »Hamlet«, »Lear«. pse_604.032
In einem dritten Typus steht ein einzelnes Ereignis im Mittelpunkt. pse_604.033
Dadurch gewinnt das Kunstwerk zeitliche Straffung, pse_604.034
strenge Verdichtung auf eine Handlung. Die Figuren selbst pse_604.035
haben außerhalb der Handlung kein Leben. Die Urgespaltenheit pse_604.036
und die Gespanntheit ist hier in den Handlungsablauf pse_604.037
hineinverdichtet: »Ödipus«, »Zerbrochener Krug«, »Die Braut pse_604.038
von Messina«.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 604. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/620>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.