pse_589.001 und wichtig diese Passivität im echten Drama ist. Die Urgespaltenheit, pse_589.002 verwirklicht im Konflikt, überfällt die Hauptgestalt pse_589.003 wie ein großes Unglück, sie steht im Wirbel des Furchtbaren pse_589.004 und muß es irgendwie überstehen. Passivität, d. h. nicht pse_589.005 selbst durch Handeln Ereignisse, Unglücksfälle schaffen, sondern pse_589.006 in ihnen stehen und sie durchhalten, ist durchaus nicht pse_589.007 undramatisch. Alle drei Kernmerkmale der Dramatik können pse_589.008 auch hier sehr stark ausgeprägt sein. Ja, es gibt mehr passive pse_589.009 Züge in Hauptgestalten als man so obenhin meint: Wallenstein, pse_589.010 Maria Stuart, Demetrius, Homburg, Woyzeck usw. Die Passivität pse_589.011 kann verschieden sein. In Rudolf II. im "Bruderzwist" ist es pse_589.012 ein bewußtes Beharren, ein Nichthandeln aus Grundsatz und pse_589.013 Weltanschauung. Bei Johannes Vockerat ist es ein Zurückweichen; pse_589.014 am wichtigsten ist das Durchhalten, das man am pse_589.015 eindrucksvollsten in den barocken Märtyrerdramen erlebt, pse_589.016 z. B. im "Standhaften Prinzen" oder im "Papinianus" des pse_589.017 Gryphius; ganz anders nimmt sich diese Passivität im "Woyzeck" pse_589.018 aus. Der Vorgang ereignet sich um die Selbstbehauptung pse_589.019 oder den Untergang der Hauptgestalt. In ihr ist dem Dichter pse_589.020 die reichste Möglichkeit gegeben, einen vollen Menschen in pse_589.021 all seinen Zügen und Schichten herauszustellen. Im Zusammenstoß pse_589.022 der personellen Art und der Gegenwirkung des pse_589.023 Schicksals entfaltet sich der innere Reichtum des Helden. Die pse_589.024 Dramatik kann sogar der Ich-Spaltung der Hauptgestalt entspringen. pse_589.025 Wir finden diese Art der Dramatik besonders im pse_589.026 modernen grotesken Spiel, etwa bei L. Pirandello. Die Urgespaltenheit pse_589.027 bricht hier in einem Individuum auf und zeigt pse_589.028 so aufs neue die Gefährlichkeit menschlichen Daseins, hier pse_589.029 auf ganz neuer Ebene.
pse_589.030 Die Hauptgestalt kann auch durch eine ganze Menschengruppe pse_589.031 gebildet sein: in "Wallensteins Lager", im "Tell", in pse_589.032 den "Webern". Die Fülle dieses Gruppenindividuums bricht pse_589.033 der Dichter dann in einzelnen Gestalten, die je bestimmte pse_589.034 Züge des Ganzen herauskehren; im "Tell" gliedert sich das pse_589.035 Volk in die Stände, Alter, Geschlechter, in Einzelgänger, pse_589.036 Werdende, Feste und endlich nach dem Wohnraum. Damit pse_589.037 spaltet sich die Handlung in einzelne Bewegungen auf, aber sie pse_589.038 treffen an wesentlichen Punkten zusammen. Ein anderes Baugesetz
pse_589.001 und wichtig diese Passivität im echten Drama ist. Die Urgespaltenheit, pse_589.002 verwirklicht im Konflikt, überfällt die Hauptgestalt pse_589.003 wie ein großes Unglück, sie steht im Wirbel des Furchtbaren pse_589.004 und muß es irgendwie überstehen. Passivität, d. h. nicht pse_589.005 selbst durch Handeln Ereignisse, Unglücksfälle schaffen, sondern pse_589.006 in ihnen stehen und sie durchhalten, ist durchaus nicht pse_589.007 undramatisch. Alle drei Kernmerkmale der Dramatik können pse_589.008 auch hier sehr stark ausgeprägt sein. Ja, es gibt mehr passive pse_589.009 Züge in Hauptgestalten als man so obenhin meint: Wallenstein, pse_589.010 Maria Stuart, Demetrius, Homburg, Woyzeck usw. Die Passivität pse_589.011 kann verschieden sein. In Rudolf II. im »Bruderzwist« ist es pse_589.012 ein bewußtes Beharren, ein Nichthandeln aus Grundsatz und pse_589.013 Weltanschauung. Bei Johannes Vockerat ist es ein Zurückweichen; pse_589.014 am wichtigsten ist das Durchhalten, das man am pse_589.015 eindrucksvollsten in den barocken Märtyrerdramen erlebt, pse_589.016 z. B. im »Standhaften Prinzen« oder im »Papinianus« des pse_589.017 Gryphius; ganz anders nimmt sich diese Passivität im »Woyzeck« pse_589.018 aus. Der Vorgang ereignet sich um die Selbstbehauptung pse_589.019 oder den Untergang der Hauptgestalt. In ihr ist dem Dichter pse_589.020 die reichste Möglichkeit gegeben, einen vollen Menschen in pse_589.021 all seinen Zügen und Schichten herauszustellen. Im Zusammenstoß pse_589.022 der personellen Art und der Gegenwirkung des pse_589.023 Schicksals entfaltet sich der innere Reichtum des Helden. Die pse_589.024 Dramatik kann sogar der Ich-Spaltung der Hauptgestalt entspringen. pse_589.025 Wir finden diese Art der Dramatik besonders im pse_589.026 modernen grotesken Spiel, etwa bei L. Pirandello. Die Urgespaltenheit pse_589.027 bricht hier in einem Individuum auf und zeigt pse_589.028 so aufs neue die Gefährlichkeit menschlichen Daseins, hier pse_589.029 auf ganz neuer Ebene.
pse_589.030 Die Hauptgestalt kann auch durch eine ganze Menschengruppe pse_589.031 gebildet sein: in »Wallensteins Lager«, im »Tell«, in pse_589.032 den »Webern«. Die Fülle dieses Gruppenindividuums bricht pse_589.033 der Dichter dann in einzelnen Gestalten, die je bestimmte pse_589.034 Züge des Ganzen herauskehren; im »Tell« gliedert sich das pse_589.035 Volk in die Stände, Alter, Geschlechter, in Einzelgänger, pse_589.036 Werdende, Feste und endlich nach dem Wohnraum. Damit pse_589.037 spaltet sich die Handlung in einzelne Bewegungen auf, aber sie pse_589.038 treffen an wesentlichen Punkten zusammen. Ein anderes Baugesetz
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und wichtig diese Passivität im echten Drama ist. Die Urgespaltenheit, pse_589.002
verwirklicht im Konflikt, überfällt die Hauptgestalt pse_589.003
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Maria Stuart, Demetrius, Homburg, Woyzeck usw. Die Passivität pse_589.011
kann verschieden sein. In Rudolf II. im »Bruderzwist« ist es pse_589.012
ein bewußtes Beharren, ein Nichthandeln aus Grundsatz und pse_589.013
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am wichtigsten ist das Durchhalten, das man am pse_589.015
eindrucksvollsten in den barocken Märtyrerdramen erlebt, pse_589.016
z. B. im »Standhaften Prinzen« oder im »Papinianus« des pse_589.017
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aus. Der Vorgang ereignet sich um die Selbstbehauptung pse_589.019
oder den Untergang der Hauptgestalt. In ihr ist dem Dichter pse_589.020
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all seinen Zügen und Schichten herauszustellen. Im Zusammenstoß pse_589.022
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Die Hauptgestalt kann auch durch eine ganze Menschengruppe pse_589.031
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den »Webern«. Die Fülle dieses Gruppenindividuums bricht pse_589.033
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 589. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/605>, abgerufen am 23.11.2024.
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