pse_511.001 Person gespiegelt. Herrscht nun nicht die Spiegelung, die pse_511.002 persönliche Ergriffenheit in der Gestaltung vor, sondern rollt pse_511.003 vor uns in dieser Darstellung durch die redende Person das pse_511.004 Geschehen, allerdings geformt und bestimmt durch deren pse_511.005 Ergriffenheit davon, mit aller Eindrücklichkeit ab, so rückt pse_511.006 damit das Gedicht ins Epische herüber, ordnet sich ein in den pse_511.007 Typus der Ballade. Vielfach sind ja diese "Monologe" eigentlich pse_511.008 aus Zwiegesprächen hervorgegangen; ein (morphologischer, pse_511.009 nicht historischer) Rest ist ja die Tatsache, daß die Personen pse_511.010 in solchen Gedichten immer zu jemandem Bestimmten pse_511.011 sprechen, der nur vor Mitgerissenheit nicht zu Worte kommt. pse_511.012 Das ist besonders deutlich in Brownings Gedicht "My last pse_511.013 duchess".
pse_511.014 Im Bereich der Prosa ist die bedeutendste Art der strengen pse_511.015 Kurzepik die Novelle. Freilich ist ihr Wesen schwer zu bestimmen, pse_511.016 weil hier geschichtliche Entwicklungen stark pse_511.017 hereinspielen. Aber gerade dadurch ist die Novelle zu einer pse_511.018 der bedeutendsten und interessantesten epischen Arten geworden. pse_511.019 Das Wort hatte ursprünglich eine juristische Bedeutung: pse_511.020 Änderungen an Gesetzen. Erst in der Renaissance pse_511.021 wird es zu einem literarischen Begriff. Von vornherein steht pse_511.022 kein fester Typus am Anfang der Novellengeschichte; so pse_511.023 konnten sich die Novellen in reichster Weise entfalten, vielfach pse_511.024 scheint ein Gemeinsames kaum vorhanden zu sein, aber pse_511.025 es ist doch merkwürdig, daß der Name mit ziemlicher Sicherheit pse_511.026 jeweils gesetzt wird. Nur die Theorie hat früh schon, pse_511.027 nämlich zu Zeiten Boccaccios, Forderungen an Novellendichter pse_511.028 gestellt. In Deutschland bemühen sich dann neben pse_511.029 Goethe die Brüder Schlegel um die Theorie. Bekannt wurde pse_511.030 weiter auch Heyses Falkentheorie nach der Falkennovelle pse_511.031 Boccaccios: daß die Novelle in einem einzigen Kreise einen pse_511.032 einzigen Konflikt zu gestalten habe. Heute kann man zwei pse_511.033 theoretische Richtungen beobachten: Dichter vor allem pse_511.034 suchen wieder zur strengen Kunstform vorzustoßen: so Paul pse_511.035 Ernst und Thomas Mann. Theoretiker und Historiker lehnen pse_511.036 eine Art oder einen Typus "Novelle" manchmal ab (W. Pabst) pse_511.037 und betonen, es gebe keine Novelle, nur Novellen. Andere pse_511.038 verwässern den Begriff völlig, wenn sie sagen, Novellen seien
pse_511.001 Person gespiegelt. Herrscht nun nicht die Spiegelung, die pse_511.002 persönliche Ergriffenheit in der Gestaltung vor, sondern rollt pse_511.003 vor uns in dieser Darstellung durch die redende Person das pse_511.004 Geschehen, allerdings geformt und bestimmt durch deren pse_511.005 Ergriffenheit davon, mit aller Eindrücklichkeit ab, so rückt pse_511.006 damit das Gedicht ins Epische herüber, ordnet sich ein in den pse_511.007 Typus der Ballade. Vielfach sind ja diese »Monologe« eigentlich pse_511.008 aus Zwiegesprächen hervorgegangen; ein (morphologischer, pse_511.009 nicht historischer) Rest ist ja die Tatsache, daß die Personen pse_511.010 in solchen Gedichten immer zu jemandem Bestimmten pse_511.011 sprechen, der nur vor Mitgerissenheit nicht zu Worte kommt. pse_511.012 Das ist besonders deutlich in Brownings Gedicht »My last pse_511.013 duchess«.
pse_511.014 Im Bereich der Prosa ist die bedeutendste Art der strengen pse_511.015 Kurzepik die Novelle. Freilich ist ihr Wesen schwer zu bestimmen, pse_511.016 weil hier geschichtliche Entwicklungen stark pse_511.017 hereinspielen. Aber gerade dadurch ist die Novelle zu einer pse_511.018 der bedeutendsten und interessantesten epischen Arten geworden. pse_511.019 Das Wort hatte ursprünglich eine juristische Bedeutung: pse_511.020 Änderungen an Gesetzen. Erst in der Renaissance pse_511.021 wird es zu einem literarischen Begriff. Von vornherein steht pse_511.022 kein fester Typus am Anfang der Novellengeschichte; so pse_511.023 konnten sich die Novellen in reichster Weise entfalten, vielfach pse_511.024 scheint ein Gemeinsames kaum vorhanden zu sein, aber pse_511.025 es ist doch merkwürdig, daß der Name mit ziemlicher Sicherheit pse_511.026 jeweils gesetzt wird. Nur die Theorie hat früh schon, pse_511.027 nämlich zu Zeiten Boccaccios, Forderungen an Novellendichter pse_511.028 gestellt. In Deutschland bemühen sich dann neben pse_511.029 Goethe die Brüder Schlegel um die Theorie. Bekannt wurde pse_511.030 weiter auch Heyses Falkentheorie nach der Falkennovelle pse_511.031 Boccaccios: daß die Novelle in einem einzigen Kreise einen pse_511.032 einzigen Konflikt zu gestalten habe. Heute kann man zwei pse_511.033 theoretische Richtungen beobachten: Dichter vor allem pse_511.034 suchen wieder zur strengen Kunstform vorzustoßen: so Paul pse_511.035 Ernst und Thomas Mann. Theoretiker und Historiker lehnen pse_511.036 eine Art oder einen Typus »Novelle« manchmal ab (W. Pabst) pse_511.037 und betonen, es gebe keine Novelle, nur Novellen. Andere pse_511.038 verwässern den Begriff völlig, wenn sie sagen, Novellen seien
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Person gespiegelt. Herrscht nun nicht die Spiegelung, die pse_511.002
persönliche Ergriffenheit in der Gestaltung vor, sondern rollt pse_511.003
vor uns in dieser Darstellung durch die redende Person das pse_511.004
Geschehen, allerdings geformt und bestimmt durch deren pse_511.005
Ergriffenheit davon, mit aller Eindrücklichkeit ab, so rückt pse_511.006
damit das Gedicht ins Epische herüber, ordnet sich ein in den pse_511.007
Typus der Ballade. Vielfach sind ja diese »Monologe« eigentlich pse_511.008
aus Zwiegesprächen hervorgegangen; ein (morphologischer, pse_511.009
nicht historischer) Rest ist ja die Tatsache, daß die Personen pse_511.010
in solchen Gedichten immer zu jemandem Bestimmten pse_511.011
sprechen, der nur vor Mitgerissenheit nicht zu Worte kommt. pse_511.012
Das ist besonders deutlich in Brownings Gedicht »My last pse_511.013
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pse_511.014
Im Bereich der Prosa ist die bedeutendste Art der strengen pse_511.015
Kurzepik die Novelle. Freilich ist ihr Wesen schwer zu bestimmen, pse_511.016
weil hier geschichtliche Entwicklungen stark pse_511.017
hereinspielen. Aber gerade dadurch ist die Novelle zu einer pse_511.018
der bedeutendsten und interessantesten epischen Arten geworden. pse_511.019
Das Wort hatte ursprünglich eine juristische Bedeutung: pse_511.020
Änderungen an Gesetzen. Erst in der Renaissance pse_511.021
wird es zu einem literarischen Begriff. Von vornherein steht pse_511.022
kein fester Typus am Anfang der Novellengeschichte; so pse_511.023
konnten sich die Novellen in reichster Weise entfalten, vielfach pse_511.024
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es ist doch merkwürdig, daß der Name mit ziemlicher Sicherheit pse_511.026
jeweils gesetzt wird. Nur die Theorie hat früh schon, pse_511.027
nämlich zu Zeiten Boccaccios, Forderungen an Novellendichter pse_511.028
gestellt. In Deutschland bemühen sich dann neben pse_511.029
Goethe die Brüder Schlegel um die Theorie. Bekannt wurde pse_511.030
weiter auch Heyses Falkentheorie nach der Falkennovelle pse_511.031
Boccaccios: daß die Novelle in einem einzigen Kreise einen pse_511.032
einzigen Konflikt zu gestalten habe. Heute kann man zwei pse_511.033
theoretische Richtungen beobachten: Dichter vor allem pse_511.034
suchen wieder zur strengen Kunstform vorzustoßen: so Paul pse_511.035
Ernst und Thomas Mann. Theoretiker und Historiker lehnen pse_511.036
eine Art oder einen Typus »Novelle« manchmal ab (W. Pabst) pse_511.037
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 511. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/527>, abgerufen am 28.11.2024.
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