pse_498.001 Wenn gar über Rede oder Gespräch nur mehr ein Bericht gegeben pse_498.002 wird, verliert sich das Reden der Personen vollkommen, pse_498.003 zugleich aber tritt eine starke Versachlichung ein, die wieder pse_498.004 von stilhafter Bedeutung für die Gesamterzählung sein kann.
pse_498.005 Eine besonders eigenartige Kunstform hat sich in der sogenannten pse_498.006 erlebten Rede ausgebildet. Ob der Ausdruck gut ist, pse_498.007 darüber hat man sich schon oft gestritten. Uns interessiert hier pse_498.008 ihr Wesen und ihre Bedeutung. "Gegen Mitternacht stand er pse_498.009 auf dem Fischmarkt und sah am Hause empor. Es war spät, pse_498.010 niemand mehr würde wach sein, wahrscheinlich würde er die pse_498.011 Nacht draußen bleiben müssen" (H. Hesse, Narziß und Goldmund). pse_498.012 In der Form fehlt jede Andeutung, daß es Rede ist. Es pse_498.013 steht die dritte Person, sehr häufig das unpersönliche "man", pse_498.014 als ob hier irgendwie die Entpersönlichung und Kollektivierung pse_498.015 unseres Zeitalters spürbar wäre. Aber es finden sich Ausrufe, pse_498.016 und innere Vorgänge werden gestaltet, die nur der Redende pse_498.017 kennt. Konjunktive wirken auch mit. Das Eigenartige pse_498.018 ist, daß hier der Erzähler zwar noch von der Person wie von pse_498.019 einem Objekt seines Erzählens spricht, sie aber doch zum Subjekt pse_498.020 macht, von dem aus die Sicht gestaltet wird. Der Erzähler pse_498.021 tritt zurück, aber er bleibt deutlich mitteilendes Organ. Es pse_498.022 tritt eine Verschmelzung zweier Blickpunkte ein, damit eine pse_498.023 perspektivische Verschiebung und etwas Zwielichtiges. Es ist pse_498.024 weder Rede einer Person noch fortlaufende epische Darstellung, pse_498.025 sondern beides zugleich. In der Lautbildung, im Wortschatz, pse_498.026 in Rhythmus, Satzbau und im Inhalt des Gesprochenen pse_498.027 läßt der Erzähler die Person durchklingen, durch die pse_498.028 dritte Person und durch die leise Deutung des Gesprochenen pse_498.029 macht er sich selbst vernehmbar. Sicher wird durch zu ausgedehnte pse_498.030 erlebte Rede der Erzähler verschwommen, ein pse_498.031 essayartiges oder ein lyrisches Bekenntnis wird so gefügt, als pse_498.032 ob es eine Erzählung wäre.
pse_498.033 Die erlebte Rede ist gerade in moderner Erzählkunst so pse_498.034 stark eingesetzt, daß man schon mehrere Arten unterscheiden pse_498.035 kann. Da können einmal die objektiven Bestände ins menschliche pse_498.036 Erleben hereingezogen werden und also in der erlebten pse_498.037 Rede in subjektiver Spiegelung dargestellt sein, wie das besonders pse_498.038 bei Kafka zu sehen ist. Oder es können innere Vorgänge
pse_498.001 Wenn gar über Rede oder Gespräch nur mehr ein Bericht gegeben pse_498.002 wird, verliert sich das Reden der Personen vollkommen, pse_498.003 zugleich aber tritt eine starke Versachlichung ein, die wieder pse_498.004 von stilhafter Bedeutung für die Gesamterzählung sein kann.
pse_498.005 Eine besonders eigenartige Kunstform hat sich in der sogenannten pse_498.006 erlebten Rede ausgebildet. Ob der Ausdruck gut ist, pse_498.007 darüber hat man sich schon oft gestritten. Uns interessiert hier pse_498.008 ihr Wesen und ihre Bedeutung. »Gegen Mitternacht stand er pse_498.009 auf dem Fischmarkt und sah am Hause empor. Es war spät, pse_498.010 niemand mehr würde wach sein, wahrscheinlich würde er die pse_498.011 Nacht draußen bleiben müssen« (H. Hesse, Narziß und Goldmund). pse_498.012 In der Form fehlt jede Andeutung, daß es Rede ist. Es pse_498.013 steht die dritte Person, sehr häufig das unpersönliche »man«, pse_498.014 als ob hier irgendwie die Entpersönlichung und Kollektivierung pse_498.015 unseres Zeitalters spürbar wäre. Aber es finden sich Ausrufe, pse_498.016 und innere Vorgänge werden gestaltet, die nur der Redende pse_498.017 kennt. Konjunktive wirken auch mit. Das Eigenartige pse_498.018 ist, daß hier der Erzähler zwar noch von der Person wie von pse_498.019 einem Objekt seines Erzählens spricht, sie aber doch zum Subjekt pse_498.020 macht, von dem aus die Sicht gestaltet wird. Der Erzähler pse_498.021 tritt zurück, aber er bleibt deutlich mitteilendes Organ. Es pse_498.022 tritt eine Verschmelzung zweier Blickpunkte ein, damit eine pse_498.023 perspektivische Verschiebung und etwas Zwielichtiges. Es ist pse_498.024 weder Rede einer Person noch fortlaufende epische Darstellung, pse_498.025 sondern beides zugleich. In der Lautbildung, im Wortschatz, pse_498.026 in Rhythmus, Satzbau und im Inhalt des Gesprochenen pse_498.027 läßt der Erzähler die Person durchklingen, durch die pse_498.028 dritte Person und durch die leise Deutung des Gesprochenen pse_498.029 macht er sich selbst vernehmbar. Sicher wird durch zu ausgedehnte pse_498.030 erlebte Rede der Erzähler verschwommen, ein pse_498.031 essayartiges oder ein lyrisches Bekenntnis wird so gefügt, als pse_498.032 ob es eine Erzählung wäre.
pse_498.033 Die erlebte Rede ist gerade in moderner Erzählkunst so pse_498.034 stark eingesetzt, daß man schon mehrere Arten unterscheiden pse_498.035 kann. Da können einmal die objektiven Bestände ins menschliche pse_498.036 Erleben hereingezogen werden und also in der erlebten pse_498.037 Rede in subjektiver Spiegelung dargestellt sein, wie das besonders pse_498.038 bei Kafka zu sehen ist. Oder es können innere Vorgänge
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zugleich aber tritt eine starke Versachlichung ein, die wieder pse_498.004
von stilhafter Bedeutung für die Gesamterzählung sein kann.
pse_498.005
Eine besonders eigenartige Kunstform hat sich in der sogenannten pse_498.006
erlebten Rede ausgebildet. Ob der Ausdruck gut ist, pse_498.007
darüber hat man sich schon oft gestritten. Uns interessiert hier pse_498.008
ihr Wesen und ihre Bedeutung. »Gegen Mitternacht stand er pse_498.009
auf dem Fischmarkt und sah am Hause empor. Es war spät, pse_498.010
niemand mehr würde wach sein, wahrscheinlich würde er die pse_498.011
Nacht draußen bleiben müssen« (H. Hesse, Narziß und Goldmund). pse_498.012
In der Form fehlt jede Andeutung, daß es Rede ist. Es pse_498.013
steht die dritte Person, sehr häufig das unpersönliche »man«, pse_498.014
als ob hier irgendwie die Entpersönlichung und Kollektivierung pse_498.015
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und innere Vorgänge werden gestaltet, die nur der Redende pse_498.017
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einem Objekt seines Erzählens spricht, sie aber doch zum Subjekt pse_498.020
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tritt zurück, aber er bleibt deutlich mitteilendes Organ. Es pse_498.022
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perspektivische Verschiebung und etwas Zwielichtiges. Es ist pse_498.024
weder Rede einer Person noch fortlaufende epische Darstellung, pse_498.025
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 498. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/514>, abgerufen am 24.11.2024.
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