pse_444.001 stark, daß man kaum mehr von Lehrstücken reden wird.
pse_444.002 Die Lehrdichtung hat nicht bloß offene Grenzen zu den pse_444.003 anderen Dichtungsgattungen, sondern sie stößt auch an den pse_444.004 Rand der Sachdarstellung, zumindest an den Bereich der pse_444.005 Sprachwerke, in denen Gedankengänge mitgeteilt werden pse_444.006 sollen, wenn auch manchmal in künstlerischer Form. So pse_444.007 können wir eine erste Randform darin erkennen, daß einfach pse_444.008 irgendwelche Sachdarstellungen versifiziert werden. Grammatische pse_444.009 Regeln werden in gereimte Verse gebracht, weil pse_444.010 solche rhythmisierte Sprache besser ins Gedächtnis eingeht, pse_444.011 geographische, astronomische, physikalische und geschichtliche pse_444.012 Kenntnisse werden in Versen vermittelt. Wir haben es pse_444.013 hier nicht mit Dichtung zu tun. Verse und Reime allein sind pse_444.014 keine Kriterien für dichterische Sprache. Aber die Problematik pse_444.015 der Lehrdichtung setzt dort ein, wo künstlerische Gestaltung pse_444.016 mit der theoretischen Darstellung eines Wissenschaftsgebietes pse_444.017 zusammentrifft. Denn hier sollen zwei Arten pse_444.018 sprachlicher Darstellung verbunden werden, die wir zunächst pse_444.019 scharf getrennt haben: theoretische und ästhetische. Der tiefe pse_444.020 Unterschied beider hat uns beschäftigt, als wir die Struktur pse_444.021 der Sprachkunst von der der Sachdarstellung abgehoben pse_444.022 haben. Theoretische Darstellung will Kenntnisse vermitteln, pse_444.023 Gedankenzusammenhänge festhalten für jederzeitige Verfügbarkeit. pse_444.024 Sprache weist hier über sich hinaus auf Außersprachliches, pse_444.025 Sprache ist Dienerin. In der ästhetischen Gestaltung, pse_444.026 wie sie uns am reinsten in der Dichtung entgegentritt, pse_444.027 baut die Sprache aus ihren eigenen Kräften eine Welt pse_444.028 auf, die im Sprachlichen gegründet und damit sprachgeschlossen pse_444.029 ist. Hier weist die sprachliche Gestaltung nicht pse_444.030 mehr auf Außersprachliches hin. Das sind sehr starke Gegensätze, pse_444.031 und in diese Gegensätzlichkeit gerät die Didaktik. pse_444.032 Goethe im schon erwähnten Aufsatz spricht davon: "Gar pse_444.033 mancher würde begreifen, wie schwer es sei, ein Werk aus pse_444.034 Wissen und Einbildungskraft zusammenzuweben, zwei einander pse_444.035 entgegengesetzte Elemente in einen lebendigen Körper pse_444.036 zu verbinden." Dabei macht es einen Unterschied, in welcher pse_444.037 Kulturepoche solche Lehrdichtungen entstehen. Denn in pse_444.038 frühen Zeiten waren die einzelnen Kulturgebiete noch nicht
pse_444.001 stark, daß man kaum mehr von Lehrstücken reden wird.
pse_444.002 Die Lehrdichtung hat nicht bloß offene Grenzen zu den pse_444.003 anderen Dichtungsgattungen, sondern sie stößt auch an den pse_444.004 Rand der Sachdarstellung, zumindest an den Bereich der pse_444.005 Sprachwerke, in denen Gedankengänge mitgeteilt werden pse_444.006 sollen, wenn auch manchmal in künstlerischer Form. So pse_444.007 können wir eine erste Randform darin erkennen, daß einfach pse_444.008 irgendwelche Sachdarstellungen versifiziert werden. Grammatische pse_444.009 Regeln werden in gereimte Verse gebracht, weil pse_444.010 solche rhythmisierte Sprache besser ins Gedächtnis eingeht, pse_444.011 geographische, astronomische, physikalische und geschichtliche pse_444.012 Kenntnisse werden in Versen vermittelt. Wir haben es pse_444.013 hier nicht mit Dichtung zu tun. Verse und Reime allein sind pse_444.014 keine Kriterien für dichterische Sprache. Aber die Problematik pse_444.015 der Lehrdichtung setzt dort ein, wo künstlerische Gestaltung pse_444.016 mit der theoretischen Darstellung eines Wissenschaftsgebietes pse_444.017 zusammentrifft. Denn hier sollen zwei Arten pse_444.018 sprachlicher Darstellung verbunden werden, die wir zunächst pse_444.019 scharf getrennt haben: theoretische und ästhetische. Der tiefe pse_444.020 Unterschied beider hat uns beschäftigt, als wir die Struktur pse_444.021 der Sprachkunst von der der Sachdarstellung abgehoben pse_444.022 haben. Theoretische Darstellung will Kenntnisse vermitteln, pse_444.023 Gedankenzusammenhänge festhalten für jederzeitige Verfügbarkeit. pse_444.024 Sprache weist hier über sich hinaus auf Außersprachliches, pse_444.025 Sprache ist Dienerin. In der ästhetischen Gestaltung, pse_444.026 wie sie uns am reinsten in der Dichtung entgegentritt, pse_444.027 baut die Sprache aus ihren eigenen Kräften eine Welt pse_444.028 auf, die im Sprachlichen gegründet und damit sprachgeschlossen pse_444.029 ist. Hier weist die sprachliche Gestaltung nicht pse_444.030 mehr auf Außersprachliches hin. Das sind sehr starke Gegensätze, pse_444.031 und in diese Gegensätzlichkeit gerät die Didaktik. pse_444.032 Goethe im schon erwähnten Aufsatz spricht davon: »Gar pse_444.033 mancher würde begreifen, wie schwer es sei, ein Werk aus pse_444.034 Wissen und Einbildungskraft zusammenzuweben, zwei einander pse_444.035 entgegengesetzte Elemente in einen lebendigen Körper pse_444.036 zu verbinden.« Dabei macht es einen Unterschied, in welcher pse_444.037 Kulturepoche solche Lehrdichtungen entstehen. Denn in pse_444.038 frühen Zeiten waren die einzelnen Kulturgebiete noch nicht
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Die Lehrdichtung hat nicht bloß offene Grenzen zu den pse_444.003
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Rand der Sachdarstellung, zumindest an den Bereich der pse_444.005
Sprachwerke, in denen Gedankengänge mitgeteilt werden pse_444.006
sollen, wenn auch manchmal in künstlerischer Form. So pse_444.007
können wir eine erste Randform darin erkennen, daß einfach pse_444.008
irgendwelche Sachdarstellungen versifiziert werden. Grammatische pse_444.009
Regeln werden in gereimte Verse gebracht, weil pse_444.010
solche rhythmisierte Sprache besser ins Gedächtnis eingeht, pse_444.011
geographische, astronomische, physikalische und geschichtliche pse_444.012
Kenntnisse werden in Versen vermittelt. Wir haben es pse_444.013
hier nicht mit Dichtung zu tun. Verse und Reime allein sind pse_444.014
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der Lehrdichtung setzt dort ein, wo künstlerische Gestaltung pse_444.016
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scharf getrennt haben: theoretische und ästhetische. Der tiefe pse_444.020
Unterschied beider hat uns beschäftigt, als wir die Struktur pse_444.021
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Sprache weist hier über sich hinaus auf Außersprachliches, pse_444.025
Sprache ist Dienerin. In der ästhetischen Gestaltung, pse_444.026
wie sie uns am reinsten in der Dichtung entgegentritt, pse_444.027
baut die Sprache aus ihren eigenen Kräften eine Welt pse_444.028
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ist. Hier weist die sprachliche Gestaltung nicht pse_444.030
mehr auf Außersprachliches hin. Das sind sehr starke Gegensätze, pse_444.031
und in diese Gegensätzlichkeit gerät die Didaktik. pse_444.032
Goethe im schon erwähnten Aufsatz spricht davon: »Gar pse_444.033
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/460>, abgerufen am 22.11.2024.
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