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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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Persönlichkeit bespiegelt und für sie und ihre Gestaltung alles pse_391.002
mögliche aus der Welt bereitgestellt wird. Gegenüber einer pse_391.003
oft zu großen Sentimentalität von Dichtern des 19. Jahrhunderts pse_391.004
steht ein Zurücktreten des Menschen aus dem Gedicht in pse_391.005
unserem Jahrhundert. Er ist nicht mehr Akteur seines Inneren. pse_391.006
Aber das Menschliche bleibt immer im Grunde. Karl Krolow pse_391.007
sagt: "Aber selbstverständlich hat die zeitgenössische deutsche pse_391.008
Naturlyrik -- wie jede echte Dichtung -- ihr ganz bestimmtes pse_391.009
menschliches Pathos." Eine Frage der Terminologie ist es, pse_391.010
wie man das Wort "Erlebnisgedicht" verwenden soll. Wenn pse_391.011
ein menschliches, und zwar ein ganz persönliches Erlebnis, pse_391.012
dichterisch gestaltet wird, wie das sehr ausdrücklich in der pse_391.013
deutschen Romantik der Fall ist, kann man von Erlebnisgedicht pse_391.014
oder allgemeiner von Erlebnislyrik sprechen. Und man pse_391.015
scheidet davon dann alle Gedichte aus, in denen das Menschliche pse_391.016
etwas zurücktritt, oder wo, wie im Symbolismus, Bilder pse_391.017
für das menschliche Innere und seine Möglichkeiten geschaffen pse_391.018
werden. Aber man darf nicht vergessen, daß auch in pse_391.019
ihnen der ergriffene Weltbereich als erlebter gestaltet wird, pse_391.020
also dieses Ergreifen mit eingeformt erscheint.

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Es gibt nun wirklich eine andere Gruppe lyrischer Gedichte, pse_391.022
die vor allem den Eindruck vollendeter Kunstgebilde machen: pse_391.023
Gedichte, die in ihrer Vollendetheit und Geschlossenheit, abgelöst pse_391.024
von allem unmittelbaren Weltbezug, da sind und dadurch pse_391.025
wirken. Hier scheint das persönliche, menschliche Dabeisein pse_391.026
sehr stark zurückzutreten. Und man hat von hier aus oft pse_391.027
geradezu die Meinung geäußert, Gedichte seien reine Kunstgebilde, pse_391.028
die das Menschliche in der Form ganz ausgeschaltet pse_391.029
haben. Baudelaire hat einmal gesagt: "Es ist das wunderbare pse_391.030
Vorrecht der Kunst, daß das Schreckliche, kunstvoll ausgedrückt, pse_391.031
zur Schönheit wird, und daß der rhythmisierte, gegliederte pse_391.032
Schmerz den Geist mit einer ruhigen Freude erfüllt." pse_391.033
Von hier geht die symbolistische Formkunst aus. Aber pse_391.034
allzu neu sind solche Äußerungen nicht; schon Schiller hat pse_391.035
in seinen ästhetischen Schriften Ähnliches vertreten. Die hohe pse_391.036
Formkultur, die mit dem Symbolismus in Europa erneut einsetzt pse_391.037
und die schon in der Barockzeit gepflegt wurde, hat pse_391.038
ihren tieferen Sinn: es ist eine Rettung des Menschen vor dem

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Persönlichkeit bespiegelt und für sie und ihre Gestaltung alles pse_391.002
mögliche aus der Welt bereitgestellt wird. Gegenüber einer pse_391.003
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also dieses Ergreifen mit eingeformt erscheint.

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Es gibt nun wirklich eine andere Gruppe lyrischer Gedichte, pse_391.022
die vor allem den Eindruck vollendeter Kunstgebilde machen: pse_391.023
Gedichte, die in ihrer Vollendetheit und Geschlossenheit, abgelöst pse_391.024
von allem unmittelbaren Weltbezug, da sind und dadurch pse_391.025
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haben. Baudelaire hat einmal gesagt: »Es ist das wunderbare pse_391.030
Vorrecht der Kunst, daß das Schreckliche, kunstvoll ausgedrückt, pse_391.031
zur Schönheit wird, und daß der rhythmisierte, gegliederte pse_391.032
Schmerz den Geist mit einer ruhigen Freude erfüllt.« pse_391.033
Von hier geht die symbolistische Formkunst aus. Aber pse_391.034
allzu neu sind solche Äußerungen nicht; schon Schiller hat pse_391.035
in seinen ästhetischen Schriften Ähnliches vertreten. Die hohe pse_391.036
Formkultur, die mit dem Symbolismus in Europa erneut einsetzt pse_391.037
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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/407>, abgerufen am 22.11.2024.