pse_391.001 Persönlichkeit bespiegelt und für sie und ihre Gestaltung alles pse_391.002 mögliche aus der Welt bereitgestellt wird. Gegenüber einer pse_391.003 oft zu großen Sentimentalität von Dichtern des 19. Jahrhunderts pse_391.004 steht ein Zurücktreten des Menschen aus dem Gedicht in pse_391.005 unserem Jahrhundert. Er ist nicht mehr Akteur seines Inneren. pse_391.006 Aber das Menschliche bleibt immer im Grunde. Karl Krolow pse_391.007 sagt: "Aber selbstverständlich hat die zeitgenössische deutsche pse_391.008 Naturlyrik -- wie jede echte Dichtung -- ihr ganz bestimmtes pse_391.009 menschliches Pathos." Eine Frage der Terminologie ist es, pse_391.010 wie man das Wort "Erlebnisgedicht" verwenden soll. Wenn pse_391.011 ein menschliches, und zwar ein ganz persönliches Erlebnis, pse_391.012 dichterisch gestaltet wird, wie das sehr ausdrücklich in der pse_391.013 deutschen Romantik der Fall ist, kann man von Erlebnisgedicht pse_391.014 oder allgemeiner von Erlebnislyrik sprechen. Und man pse_391.015 scheidet davon dann alle Gedichte aus, in denen das Menschliche pse_391.016 etwas zurücktritt, oder wo, wie im Symbolismus, Bilder pse_391.017 für das menschliche Innere und seine Möglichkeiten geschaffen pse_391.018 werden. Aber man darf nicht vergessen, daß auch in pse_391.019 ihnen der ergriffene Weltbereich als erlebter gestaltet wird, pse_391.020 also dieses Ergreifen mit eingeformt erscheint.
pse_391.021 Es gibt nun wirklich eine andere Gruppe lyrischer Gedichte, pse_391.022 die vor allem den Eindruck vollendeter Kunstgebilde machen: pse_391.023 Gedichte, die in ihrer Vollendetheit und Geschlossenheit, abgelöst pse_391.024 von allem unmittelbaren Weltbezug, da sind und dadurch pse_391.025 wirken. Hier scheint das persönliche, menschliche Dabeisein pse_391.026 sehr stark zurückzutreten. Und man hat von hier aus oft pse_391.027 geradezu die Meinung geäußert, Gedichte seien reine Kunstgebilde, pse_391.028 die das Menschliche in der Form ganz ausgeschaltet pse_391.029 haben. Baudelaire hat einmal gesagt: "Es ist das wunderbare pse_391.030 Vorrecht der Kunst, daß das Schreckliche, kunstvoll ausgedrückt, pse_391.031 zur Schönheit wird, und daß der rhythmisierte, gegliederte pse_391.032 Schmerz den Geist mit einer ruhigen Freude erfüllt." pse_391.033 Von hier geht die symbolistische Formkunst aus. Aber pse_391.034 allzu neu sind solche Äußerungen nicht; schon Schiller hat pse_391.035 in seinen ästhetischen Schriften Ähnliches vertreten. Die hohe pse_391.036 Formkultur, die mit dem Symbolismus in Europa erneut einsetzt pse_391.037 und die schon in der Barockzeit gepflegt wurde, hat pse_391.038 ihren tieferen Sinn: es ist eine Rettung des Menschen vor dem
pse_391.001 Persönlichkeit bespiegelt und für sie und ihre Gestaltung alles pse_391.002 mögliche aus der Welt bereitgestellt wird. Gegenüber einer pse_391.003 oft zu großen Sentimentalität von Dichtern des 19. Jahrhunderts pse_391.004 steht ein Zurücktreten des Menschen aus dem Gedicht in pse_391.005 unserem Jahrhundert. Er ist nicht mehr Akteur seines Inneren. pse_391.006 Aber das Menschliche bleibt immer im Grunde. Karl Krolow pse_391.007 sagt: »Aber selbstverständlich hat die zeitgenössische deutsche pse_391.008 Naturlyrik — wie jede echte Dichtung — ihr ganz bestimmtes pse_391.009 menschliches Pathos.« Eine Frage der Terminologie ist es, pse_391.010 wie man das Wort »Erlebnisgedicht« verwenden soll. Wenn pse_391.011 ein menschliches, und zwar ein ganz persönliches Erlebnis, pse_391.012 dichterisch gestaltet wird, wie das sehr ausdrücklich in der pse_391.013 deutschen Romantik der Fall ist, kann man von Erlebnisgedicht pse_391.014 oder allgemeiner von Erlebnislyrik sprechen. Und man pse_391.015 scheidet davon dann alle Gedichte aus, in denen das Menschliche pse_391.016 etwas zurücktritt, oder wo, wie im Symbolismus, Bilder pse_391.017 für das menschliche Innere und seine Möglichkeiten geschaffen pse_391.018 werden. Aber man darf nicht vergessen, daß auch in pse_391.019 ihnen der ergriffene Weltbereich als erlebter gestaltet wird, pse_391.020 also dieses Ergreifen mit eingeformt erscheint.
pse_391.021 Es gibt nun wirklich eine andere Gruppe lyrischer Gedichte, pse_391.022 die vor allem den Eindruck vollendeter Kunstgebilde machen: pse_391.023 Gedichte, die in ihrer Vollendetheit und Geschlossenheit, abgelöst pse_391.024 von allem unmittelbaren Weltbezug, da sind und dadurch pse_391.025 wirken. Hier scheint das persönliche, menschliche Dabeisein pse_391.026 sehr stark zurückzutreten. Und man hat von hier aus oft pse_391.027 geradezu die Meinung geäußert, Gedichte seien reine Kunstgebilde, pse_391.028 die das Menschliche in der Form ganz ausgeschaltet pse_391.029 haben. Baudelaire hat einmal gesagt: »Es ist das wunderbare pse_391.030 Vorrecht der Kunst, daß das Schreckliche, kunstvoll ausgedrückt, pse_391.031 zur Schönheit wird, und daß der rhythmisierte, gegliederte pse_391.032 Schmerz den Geist mit einer ruhigen Freude erfüllt.« pse_391.033 Von hier geht die symbolistische Formkunst aus. Aber pse_391.034 allzu neu sind solche Äußerungen nicht; schon Schiller hat pse_391.035 in seinen ästhetischen Schriften Ähnliches vertreten. Die hohe pse_391.036 Formkultur, die mit dem Symbolismus in Europa erneut einsetzt pse_391.037 und die schon in der Barockzeit gepflegt wurde, hat pse_391.038 ihren tieferen Sinn: es ist eine Rettung des Menschen vor dem
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Aber das Menschliche bleibt immer im Grunde. Karl Krolow pse_391.007
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Naturlyrik — wie jede echte Dichtung — ihr ganz bestimmtes pse_391.009
menschliches Pathos.« Eine Frage der Terminologie ist es, pse_391.010
wie man das Wort »Erlebnisgedicht« verwenden soll. Wenn pse_391.011
ein menschliches, und zwar ein ganz persönliches Erlebnis, pse_391.012
dichterisch gestaltet wird, wie das sehr ausdrücklich in der pse_391.013
deutschen Romantik der Fall ist, kann man von Erlebnisgedicht pse_391.014
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scheidet davon dann alle Gedichte aus, in denen das Menschliche pse_391.016
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/407>, abgerufen am 22.11.2024.
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